Das Augenmerk auf die Blaumeise
Die Zählung der Wintervögel könnte zeigen, ob sich die Bestände der beliebten Tiere erholt haben.
Sie sind dabei wahre Artisten: Als Leichtgewichte können die Blaumeisen mit ihren kräftigen Füßchen auch an äußersten Zweigspitzen herumturnen und hängend nach Insekten angeln. Cyanistes caeruleus, wie die Biologen sie nennen, gehört zu den "Standvögeln". Wenn überhaupt, ziehen Blaumeisen nur kurze Strecken nach Südwesten. Zudem sind häufig Winterflüchtlinge aus Osteuropa in den Meisenschwärmen, die mit Kleibern und Wintergoldhähnchen fliegen. An Meisenringen und Futterspendern lassen sie sich jetzt beobachten. Dadurch eignen sie sich gut für die bundesweite "Stunde der Wintervögel", einer Mitmachaktion, die der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) mit seiner bayerischen Schwesterorganisation, dem Landesbund für Vogelschutz (LBV), für den 8. bis 10. Januar ausgerufen hat.
"Ganz einfach durch eine Stunde Beobachtung von der eigenen Wohnung, dem Garten oder Balkon aus kann jeder mithelfen, eine detaillierte Momentaufnahme der Vogelwelt in unseren Städten und Dörfern zu ermöglichen", erklärt Gerhard Eppler, Landesvorsitzender des Nabu Hessen. Im Klartext: Eine Stunde gucken, zählen, wie viele Blaumeisen man in der Zeit sieht, und die Zahl an den Nabu melden. Im Januar 2020 haben 134 000 Vogelfreunde mitgemacht.
Seit 2005 rufen Nabu und LBV die Bürger zweimal jährlich zur Vogelzählung auf. Bei der "Stunde der Gartenvögel" im Mai 2020 bestätigte sich eine schlimme Vermutung: Die Zahl der Blaumeisen
hatte gegenüber dem Vorjahr um 22 Prozent abgenommen. Auch wenn es noch geschätzt acht Millionen erwachsene Tiere in Deutschland gab, war sie innerhalb eines halben Jahres von Rang drei der häufigsten Vogelarten in Deutschland auf Rang sechs gerutscht.
Was war geschehen? Schon im März gab es viele Meldungen über kranke und sterbende Blaumeisen. Apathie, gesträubtes Gefieder, Atemnot und unstillbarer Durst waren Symptome einer Lungenentzündung, der viele Blaumeisen zum Opfer fielen. Am schlimmsten war es in einem Gürtel, der von Belgien über das südliche Nordrhein-Westfalen und Mittelhessen bis ins westliche Thüringen reichte.
Ursache für das Blaumeisensterben war das Bakterium Suttonella ornithocola, das erstmals 1996 in Großbritannien nachgewiesen worden war. In Deutschland trat es erst im April 2018 auf. Zu einem Massensterben wie im Frühjahr 2020 kam es aber zuvor noch nie. Auch Tannenmeisen, Kohlmeisen und Schwanzmeisen waren betroffen, wenn auch nicht im selben Ausmaß wie die Blaumeisen. Kein Risiko besteht für Menschen und Haustiere.
"Wir wünschen uns bei der Winterzählung ein besonderes Augenmerk auf die Blaumeisen", sagt Markus Erlwein, Pressesprecher beim LBV. "Wir sollten frühzeitig sagen, wenn etwas falsch läuft, und nicht immer warten, bis ein Vogel die Rote Liste erreicht."