Die Austauschschülerin bringt auch kulinarische Bereicherung

Seit September lebt die Chilenin Tracy Arancibia Cortes bei der Sexauer Familie Schurr - und hat hier den ersten richtigen Winter ihres Lebens überstanden.  

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Seit nun fast acht Monaten teilen meine Familie und ich nicht nur unser Haus, sondern auch unser Leben mit Tracy Arancibia Cortes, unserer Austauschschülerin aus Chile. Der Kontakt kam durch die Austauschorganisation AFS (American Field Service) zustande, mit der jedes Jahr Jugendliche aus aller Welt nach Deutschland kommen und deutsche Jugendliche ins Ausland reisen.

Im September 2003 holten wir ein 17-jähriges, noch fremdes, schüchternes Mädchen in Freiburg am Bahnhof ab und konnten uns nur mit körperlichen Hochleistungen verständigen, da sie noch keinerlei Deutschkenntnisse hatte. Alle Beteiligten waren unglaublich nervös und aufgeregt. Am ersten Abend jedoch freundeten Tracy und ich uns schon an und entdeckten viele Gemeinsamkeiten. In kürzester Zeit wurde Tracy zu einem Familienmitglied - den einen zur Tochter, den anderen zur Schwester - und brachte viele neue Aspekte in unseren deutschen Alltag.

Tracys Aufgabe war es nun Deutsch zu lernen und sich einer neuen Kultur anzupassen, die so alles andere als südamerikanisch ist. Rein landschaftlich könnten Tracys Heimatstadt Arica und ihr jetziger Wohnort Sexau wohl auch kaum unterschiedlicher sein. Arica ist eine Stadt von rund 160 000 Einwohnern im äußersten Norden Chiles an der Grenze zu Peru. "Stadt des ewigen Frühlings" wird Arica genannt, weil es genau zwischen Atacamawüste und Pazifikküste von wunderbar mildem Klima begünstigt ist. Ganz anders eben als unser kleines Dorf im Schwarzwald. Als Tracy ankam, hatte sie noch nie richtigen Regen, geschweige denn Schnee erlebt. Und im Winter, als alles weiß wurde, sagte sie erst immer: "Ist das schön!" Später wurde es lausig kalt und das Schneien nahm kein Ende - da verließ selbst Tracy die Wintereuphorie. Und nun wandelt sie sogar im Mai noch im Mantel oder eingehüllt in einer Wolldecke im Haus herum.

"Sobald ich mein Abi habe, werde ich im Flieger nach Chile sitzen." Marie Schurr, Gastschwester

Tracy sagt, es habe etwa einen Monat gedauert, bis sie sich völlig eingelebt hatte und sie sich nicht mehr als "Gast" wahrnahm, obwohl sie meine Eltern schon am ersten Tag "Mama" und "Papa" nannte. Unsere Aufgabe als Gastfamilie ist es, ein Zuhause und Unterstützung zu bieten, auch manchmal zu bremsen, wenn das Einkaufen ausartet oder die Anrufe und Internetkontakte nach Chile zu viel werden. Aber größtenteils ist Tracy selbst für das verantwortlich, was sie von hier mitnimmt und was nicht. Nach vier Wochen Deutschkurs begann sie ihr Schulleben am Erasmus-Gymnasium-Denzlingen - so richtig Gefallen hat sie daran noch nicht gefunden. "So langweilig", ist die gleich bleibende Antwort auf "wie war dein Tag?" Und: "Ich verstehe den Lehrer nicht." Das liegt auch an ihrer Einstellung, denn sie hat ihren Schulabschluss in Chile schon bestanden und wird nach ihrer Heimkehr auf die Uni in Santiago gehen.

Wozu also sollte sie sich hier anstrengen? Zum Beispiel, um Leute kennen zu lernen, was für die meisten Austauschschüler zur schwierigsten Aufgabe wird. Tracy hat recht schnell Freunde gefunden und unternimmt auch viel mit anderen Austauschschülern. Natürlich geht sie auch gerne auf Parties, um ihren Tanzdrang zu stillen und jedes Mal stellt sie fest, dass es äußerst kompliziert ist in der Disko einen deutschen Jungen kennen zu lernen. "Die sind hier so zurückhaltend", meint sie, ein chilenischer Chico ginge da ganz anders vor.

Dennoch ist sie fasziniert von den männlichen blauäugigen "Blondinen", die in Chile kaum zu finden sind. Im Gegensatz zu den meisten Jugendlichen hier feiert Tracy unermüdlich, ohne mit Alkohol nachzuhelfen. Sie wundert sich auch, dass es fast unmöglich ist, durch Freiburg zu laufen, ohne jemandem mit einer Bierflasche in der Hand zu begegnen. "Das wäre in Chile unmöglich", meint sie, ohne jedoch darüber zu urteilen.

Ich frage Tracy, was für sie die Hauptunterschiede zwischen Deutschland und Chile sind? "Alles ist anders, Menschen, Häuser, Schule, alles." So ist sie es beispielsweise gewohnt, Hauspersonal zu haben, wie es in Südamerika in wohlhabenden Familien üblich ist. Bei uns wird die Arbeit in der Familie eben geteilt - auch mit ihr. Das stellte allerdings nie ein Problem da, es war nur neu für sie. Sie scheint es sogar gerne zu tun.

Ein Austauschschüler ist im besten Fall nicht nur kulturell, sondern auch kulinarisch eine Bereicherung - und Tracy verwöhnt uns oft mit chilenischen Köstlichkeiten. Aber andersherum hat es ihr auch die deutsche Küche angetan, zum Beispiel Fleischkäse und Maultaschen.

Dank Tracy entwickelten sich auch die Spanischkünste meiner Familie weiter. Das gemeinsame Kochen ist Vokabeltraining: Tracy muss alle Zutaten auf Deutsch und mein Vater auf Spanisch lernen. Anfangs klebten noch überall Zettel zur Hilfe, so bekam der Kühlschrank den Zweitnamen "Refrigerador". Heute ist das nicht mehr nötig.

Einmal in Europa hat Tracy auch das Reisefieber gepackt: Angefangen mit Basel, München und Hamburg soll es nun am liebsten auch noch nach Paris, Rom und Barcelona gehen. Schon im Juli werden wir uns wieder trennen müssen und das wird für keinen leicht. Eines steht fest, sobald ich mein Abi hinter mir habe, werde ich im Flieger nach Chile sitzen und meine Schwester besuchen. Dann kann sie sich über meine Spanischversuche lustig machen und der Spieß wird umgedreht. Wie alle Geschwister geht einem auch der Austauschschüler mal auf die Nerven, aber im Großen und Ganzen ist es ein schönes Erlebnis.

Marie Schurr

Infos über Austausch: http://www.afs.de oder http://www.afs-freiburg.de

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