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"Die Entfremdung hat sich weiter verstärkt"

Florian Kech
  • Do, 10. September 2020
    Ausland

BZ-INTERVIEWmit dem SPD-Politiker und Russland-Experten Gernot Erler über das Verhältnis zu Moskau nach dem Anschlag auf den Kremlkritiker Alexej Nawalny.

Alexei Nawalny ist das bekannteste Ges...er bei einem Auftritt im Sommer 2019).  | Foto: Pavel Golovkin (dpa)
Alexei Nawalny ist das bekannteste Gesicht der russischen Opposition (hier bei einem Auftritt im Sommer 2019). Foto: Pavel Golovkin (dpa)

. Der Anschlag auf den Oppositionspolitiker Alexej Nawalny vergiftet das deutsch-russische Verhältnis. Während der 44-Jährige in der Berliner Charité behandelt wird, verlangt die Bundesregierung eine Stellungnahme des Kreml, der jede Verantwortung von sich weist. Droht eine bilaterale Eiszeit? Gernot Erler, einer der erfahrensten Russland-Experten des Landes, analysiert die Lage im Gespräch mit BZ-Redakteur Florian Kech.

BZ: Die Ärzte der Berliner Charité haben Alexej Nawalny aus dem künstlichen Koma geholt. Wie gut kennen Sie ihn?
Erler: Ich freue mich, dass sein Leben weitergeht, und kann nur hoffen, dass keine Schäden bleiben. Wir sind uns nur einmal begegnet bei der Beisetzung von Boris Nemzow 2015, einem anderen Regimegegner, den ich sehr gut kannte.

BZ: Nawalny wirft der Putin-Partei unentwegt Korruption vor. Wie bewerten Sie seine Auftritte als Oppositioneller?
Erler: Er ist bestimmt der unerschrockenste und mutigste Oppositionelle. Er war sich immer der Gefahr bewusst und hat ja schon mehrere Attentate erlitten. 2019 hat er mehrere Tage in Haft verbracht und ist dann mit einem geschwollenen Gesicht herausgekommen. Er hat auch eigenartige Beziehungen zur rechten Szene in Russland gepflegt. Persönliche Sympathie ist daher bei mir nie aufgekommen, aber Respekt davor, dass er die Dinge beim Namen nennt.

BZ: Merkel sprach von einem "zweifelsfreien Nachweis", dass Nawalny vergiftet worden sei. Sie ließ auch keinen Zweifel daran, wen sie verdächtigt: die russische Regierung. Sind Sie sich auch so sicher?
Erler: Wir wissen, dass das Gift aus der Nowitschok-Familie stammt. Ich habe keinen Grund, an den Angaben der Charité zu zweifeln. Zumal es sich ja wiederholt. Ich erinnere an den Fall Sergej Skripal, der zusammen mit seiner Tochter 2018 ebenfalls mit Nowitschok vergiftet wurde und überlebt hat. Insofern ist das ein Hinweis darauf, dass wir es mit einer ähnlichen Tat wie damals zu tun haben.

BZ: Die russische Seite bestreitet eine Täterschaft.
Erler: Es werden Nebelkerzen geworfen, bis am Ende keiner mehr irgendetwas glaubt.

BZ: Sie waren immer jemand, der sich im Umgang mit Russland um Diplomatie bemüht hat. Waren sie überrascht von den deutlichen Worten der Kanzlerin?
Erler: Na ja, deutliche Worte ist ein dehnbarer Begriff. Es ist deutlich gesagt worden, man behalte sich Sanktionen vor. Insofern geht das über das übliche diplomatische Geplänkel hinaus. Das ist richtig. Aber bisher ist unklar geblieben, welches nun die tatsächliche Reaktion sei.


BZ: In der Bundesregierung wird offen diskutiert, die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 zu beerdigen. Ein angemessener Schritt?
Erler: Hier sollte man bedenken, dass die amerikanische Ablehnung von Nord Stream 2 bereits Früchte trägt. Die Arbeiten an der Pipeline sind eingestellt, weil die Sanktionsdrohungen aus Washington gewirkt haben und die beteiligten Konzerne sich nicht trauen, weiterzumachen. Wenn wir also jetzt Sanktionen gegen das Projekt verhängen, dann liefe das darauf hinaus, dass die Schadensersatzforderungen nicht auf die USA, sondern auf Deutschland und Europa zukämen. Da stellt sich die Frage: Ist das klug, sich ausgerechnet ein solches Projekt auszusuchen als politische Reaktion auf den Fall Nawalny?

BZ: Glauben Sie, Putin wird sich von solchen Drohungen beeindrucken lassen?
Erler: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich Russland als internationale Ordnungsmacht versteht und immer darauf verweist, dass andere Staaten wie die USA oder China, mit denen sich Russland auf Augenhöhe sieht, Dinge getan haben, die gegen das Völkerrecht verstoßen – Stichwort Kosovo-Krieg, Irak-Krieg und so weiter –, aber sanktionsfrei davonkommen. Das sind die sogenannten Doppelstandards, die von meinen russischen Kollegen immer ins Spiel gebracht werden. Die sagen: Das lassen wir uns nicht mehr gefallen. Das muss man im Hinterkopf haben, wenn man überlegt, was Sanktionen anrichten sollen. Der Anspruch, Weltmacht zu sein, bedeutet, dass man sich auch wie eine verhält. Also beispielsweise wie Amerika und China: Trump führt Strafzölle ein mit der Folge, dass China auch welche verhängt. Im Fall Skripal wiesen die Europäer jeweils zwei russische Botschaftsangehörige aus mit der Folge, dass Russland genau auch je zwei Personen aus dem Land geschickt hat. Das heißt nicht, dass man nichts machen soll, aber man darf nicht erwarten, dass es auch Erfolg hat.

BZ: Was wäre denn dann das richtige Druckmittel?
Erler: Es gibt eine Sache, die Russland getroffen hat: die europäische Einigkeit in der Ukraine-Krise. Es ist bemerkenswert, dass alle EU-Mitgliedstaaten jedes Jahr einstimmig beschließen, dass die Sanktionen verlängert werden. Alle Versuche von Moskau, die Europäer auseinanderzubringen, sind gescheitert. Deswegen wäre meine Erwartung, dass die Bundesregierung sich um eine europäische Antwort bemüht. Ein deutscher Sonderweg ist nicht vernünftig.
BZ: Angenommen, die russische Regierung steckt hinter dem Anschlag. Haben Sie eine Erklärung für den Zeitpunkt?
Erler: Am 13. September werden viele Parlamente in Russland neu gewählt. Nawalny hat viele Kandidaten aufgeboten und kluge Absprachen getroffen. Damit hatte er in der Vergangenheit schon Erfolge erzielt. Es könnte sein, dass die Regierungspartei angesichts des nicht gerade erfolgreichen Kampfs gegen die Pandemie oder all der wirtschaftlichen Probleme fürchtet, dass Nawalny zu einer echten Gefahr wird. Hinzu kommt die Angst im Kreml vor einem Überschwappen des Aufstands in Belarus. Möglicherweise entschied man sich in dieser Situation für einen Schuss vor den Bug.

BZ: Vor sieben Jahren riefen Sie in einem Gastbeitrag in der "Zeit" dazu auf, mit dem "Russland-Bashing" endlich Schluss zu machen. Darin warfen Sie dem Westen vor, mit Putins Reich zu hart ins Gericht zu gehen. Sehen Sie das immer noch so?
Erler: Ja. Viele Entfremdungsprozesse sind dadurch entstanden, dass man die russischen Doppelstandard-Vorwürfe nicht ernstgenommen hat. Mit großem Bedauern muss ich heute feststellen, dass die Entfremdung sich immer weiter verstärkt hat.

BZ: Deutschland und Russland – was ist das für eine Beziehung?
Erler: Im Augenblick erinnert mich die Rhetorik an den Kalten Krieg.

BZ: Wie belastbar ist das deutsch-russische Verhältnis?
Erler: Ich vertraue darauf, dass es immer noch mehr gemeinsame als gegensätzliche Interessen gibt. Wirtschaftlich sind beide Länder in jüngster Zeit zusammengewachsen. Aber auch sicherheitspolitisch haben wir inzwischen eine Lage, in der ohne Russland eine Verständigung nicht mehr denkbar ist. Im Syrienkonflikt trägt Russland eine hohe Verantwortung für Bombardierungen von Krankenhäusern und Zivileinrichtungen. Aber Amerika hat sich unter Trump aus der Region abgemeldet, und diese Rolle hat nun mal Russland übernommen. Es gibt genug Anknüpfungspunkte für eine realistische, aber auch partnerschaftliche Politik mit Russland.

Gernot Erler (76) war von 2014 bis 2018 Russland-Beauftragter der Bundesregierung. 30 Jahre lang vertrat er die SPD im Bundestag. Er lebt in Freiburg.

Ressort: Ausland

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 10. September 2020: PDF-Version herunterladen

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