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Eine Sauerei auf Leinwand

  • Kristin Palitza (dpa)

  • Di, 14. Juni 2022
    Panorama

     

Die expressionistischen Bilder von Pigcasso, dem malenden Schwein aus Südafrika, verkaufen sich in der Kunstszene bestens.

Eine 500 Kilo schwere Künstlerin am Werk. Die Bilder sind sauteuer.  | Foto: Joanne Lefson
Eine 500 Kilo schwere Künstlerin am Werk. Die Bilder sind sauteuer. Foto: Joanne Lefson

. Eigentlich ist Pigcasso ein ganz normales Schwein. Es frisst für sein Leben gern, liebt Schlammbäder und ist gern faul. Doch die sechsjährige Sau, die auf einem Gnadenhof im südafrikanischen Winzerdorf Franschhoek lebt, hat ein ungewöhnliches Hobby: Sie malt Bilder, und das mit großer künstlerischer Begabung – und finanziellem Erfolg.

Zwei, drei Mal pro Woche greift Pigcasso zum Pinsel. Ihre Halterin Joanne Lefson stellt Leinwand und Farbtöpfe auf, den Rest macht das Schwein allein. Mit der Schnauze ergreift es die Pinsel mit extra breitem Griff und schwenkt den Kopf mal hoch, mal runter, mal nach rechts und im Bogen wieder nach links. Zwischendurch gibt es viele Pausen, in denen Pigcasso als Belohnung begierig Äpfel, Schrot, Melonen und andere Leckereien mampft.

Zwar wählt Lefson die Farben aus, rückt die Leinwand zurecht und entscheidet, wann ein Bild fertig ist. Doch auf Pigcassos kreativen Prozess nehme sie keinen Einfluss, beteuert die Tierliebhaberin. Zum Beweis, dass keine menschliche Hand im Spiel ist, filmt sie die Anfertigung jedes schweinischen Kunstwerks, das Pigcasso zum Abschluss mit der Schnauze signiert. Jeder Käufer erhält eine Kopie des Videos, ein Echtheitszertifikat sowie ein Foto der tierischen Künstlerin mit dem Bild.

Lefson verweist offen auf ihre Rolle als menschliche Partnerin der Künstlerin Pigcasso: "Es ist eine menschlich-nichtmenschliche Kollaboration." Somit steht auch Lefsons Name neben Pigcassos Signatur. Die Arbeit der Sau, die Lefson als Ferkel von einem Schlachthof rettete, bezeichnet sie als "einzigartiges Geschenk". Eigentlich sollte Pigcasso über sechs Monate gemästet und dann geschlachtet werden. Doch sie hat Schwein gehabt. Seit 2016 lebt die heute 500 Kilo schwere Sau auf Lefsons Gnadenhof zusammen mit anderen Schweinen, Hühnern, Ziegen, Kühen und Schafen.

Lefson, eine überzeugte Tieraktivistin, warf Pigcasso Spielzeuge in den Stall, doch die Sau zerstörte jeden Ball. Nur an ein paar alten Pinseln zeigte sie Interesse. "Ich dachte mir: Vielleicht ist da was dran", erzählt Lefson, die einst Kunst und Zoologie studierte. "Ich habe Pigcasso beigebracht, wie man einen Pinsel hält. Aber ihre expressionistische Technik hat sie selbst entwickelt", sagt Lefson.

Pigcassos Malerei war Hobby, bis ein Ehepaar aus New York, das den Hof besuchte, ein Bild erwerben wollte. "Von da an wurde die Sache zum Selbstläufer", meint Lefson. Pigcassos Talent sprach sich herum. Touristen aus aller Welt wollten das malende Schwein sehen und seine Werke erstehen. Inzwischen ist Pigcassos Kunst weltberühmt – und sauteuer. Eine Leinwand ist ab 1500 Euro zu haben, ein Kunstdruck für rund 200 Euro.

Im Dezember ging die tierische Künstlerin offiziell ins Guinness-Buch der Rekorde ein: Ein deutscher Kunstsammler hatte Pigcassos Bild "Wild and Free" für 22 000 Britische Pfund (umgerechnet knapp 26 000 Euro) erworben – das teuerste Werk eines nichtmenschlichen Künstlers. Der Rekord des Schimpansen Congo war damit gebrochen, dessen Bild einst für 14 000 Pfund einbrachte.

Deutsche seien generell Pigcassos beste Kunden, erzählt Lefson, gefolgt von Schweizern, Briten und Amerikanern. Die Sau hat in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Uhrenhersteller Swatch eine limitierte Armbanduhr herausgebracht. Für nächstes Jahr steht die Veröffentlichung einer Pigcasso-Biografie an. Hierfür hat die britische Verhaltensforscherin Jane Goodall das Vorwort geschrieben. Ab Juli werden Pigcassos Werke für drei Monate im niedersächsischen Hannoversch-Münden ausgestellt – ihre erste Ausstellung in Deutschland.

Pigcasso ist nicht das einzige Tier mit künstlerischem Talent. In den USA malt etwa Labrador-Golden-Retriever-Mischling DogVinci Bilder für gute Zwecke. In Thailand leben im Thai Elephant Conservation Centre in der Nähe der nördlichen Stadt Chiang Mai malende Elefanten. Im Zoo von Denver in Colorado brachte einst ein Spitzmaulnashorn namens Msindhi Farbe zu Papier. Im Hakkeijima Sea Paradise Aquarium in Yokohama, Japan, wurde ein malender Beluga-Wal weltbekannt.

Tiere seien mit Sicherheit innovativ, bestätigt Allison Kaufman, eine Tierforscherin an der Universität von Connecticut in den USA. Sie könnten beispielsweise eine neue Art der Nahrungssuche erfinden oder neue Wege, um einen Partner zu beeindrucken. In menschlicher Obhut könne einem Tier das Malen genauso beigebracht werden wie jedes andere Verhalten, meint die Forscherin. Solange es freiwillig sei, sei so ein Training gut für die Tiere, da es sie kognitiv stimuliere.

Allerdings könne niemand definitiv sagen, ob ein Tier sich seiner selbst bewusst sei oder ob ein Gemälde absichtlich Kunst sei, betont Kaufman. "Tiere haben nicht viel Bedarf an emotionalem Ausdruck – zumindest soweit wir wissen. Das bedeutet aber nicht, dass wir Tierkunst nicht genießen sollten", meint die Forscherin.

Für Lefson ist Pigcassos Begabung Mittel zum Zweck. Die Erlöse der Bilder fließen zurück in den Gnadenhof, sagt Lefson, um den würdevollen Lebensabend Dutzender Bauernhoftiere zu finanzieren, die ursprünglich auf dem Abendbrotteller hätten landen sollen. "Mir geht es um weit mehr als Pigcassos Berühmtheit. Ich will zeigen, dass Schweine Wert haben, dass sie es verdienen, besser behandelt zu werden", sagt Lefson. Sie hofft, dass sich die Liebhaber von Pigcassos Kunst auch für humanere Viehhaltung einsetzen oder es sich zumindest zweimal überlegen, bevor sie im Supermarkt nach Schinken und Haxen greifen. Denn wer weiß, vielleicht wäre das Schwein, das in der Pfanne brutzelt, der nächste van Gogh gewesen.

Ressort: Panorama

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 14. Juni 2022: PDF-Version herunterladen

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