Drei marokkanische Jugendliche warten auf ihr Urteil

Hinter Gittern wegen eines Kusses

Die Festnahme dreier Teenager wegen eines Kussfotos auf Facebook empört Menschenrechtler und Jugendliche in Marokko. Manche fragen sich: Sieht so der viel propagierte gesellschaftliche Modernisierungsprozess im Königreich aus?  

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Eigentlich ganz harmlos – so ein Kuss.  | Foto: dpa
Eigentlich ganz harmlos – so ein Kuss. Foto: dpa
Für Chakib Al-Khayari ist die Welt in Marokko auf den Kopf gestellt. Es sei bedauerlich, dass "es in diesem Land ein Verbrechen ist, ein Mädchen zu küssen, aber nicht, es zu schlagen". Mit diesen Worten reagierte der 33-jährige Präsident der Menschenrechtsgruppe ADRH-RIF im Gespräch mit der spanischen Agentur efe auf das Schicksal eines 15-jährigen Schülers und dessen 14-jähriger Freundin aus Nador, einer Küstenstadt im besonders konservativen Nordosten Marokkos. Die beiden landeten hinter Gittern, weil sie ein Kussbild von sich auf Facebook gepostet hatten. Auch der Fotograf, ein Freund des Paares, sitzt wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses in einer Jugendanstalt.

Die Jugendlichen müssen eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren befürchten. Dabei war das Bild, wie das Nachrichtenportal Lakome.com es beschreibt, völlig harmlos. Es zeige "zwei sichtlich verliebte Teenager, die sich in die Arme nehmen und küssen". Medien veröffentlichten das Foto, einige wetterten, es handele sich um Anstiftung zur Veröffentlichung unzüchtiger Inhalte. Dies wiederum rief die "Organisation für die Menschenrechte und öffentliche Freiheiten" – eine erzkonservative regionale Gruppe, wie es sie in Marokko ungeachtet des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses noch viele gibt – auf den Plan. Prompt wurde Anzeige erstattet. Man sei davon überzeugt, das Richtige getan zu haben, denn "solche Bilder können von gewissen Menschen für Pornografie missbraucht werden", erklärte Organisationschef Fayçal El Morsi auf Anfrage von Lakome.

Während die drei Teenager auf ihren Prozess am Freitag nächster Woche warten, wuchs die Empörung in Marokko am Wochenende an. Die Entrüstung sei stark, berichtet das angesehene Portal Bladi.net. Immer mehr Facebook- und Twitter-User seien dabei, aus Solidarität Kussfotos zu posten. Allen voran die Frauenrechtlerin Ibtissame Lachgar, Mitgründerin der "Alternativen Bewegung für die Individuellen Freiheiten" (MALI).

Lachgar, eine 38-jährige Psychologin, die daheim inzwischen "unerwünschte Person" ist und daher in Frankreich lebt, klagt, auch nach den Demos und der Verfassungsreform von 2011 habe es bei den individuellen Freiheiten im Königreich kaum Fortschritte gegeben. In der Tat ist Marokko in Nordafrika vor allem für Frauen das restriktivste Land. Abtreibungen sind auch bei Vergewaltigungen noch verboten, die Haftstrafen können bis zu zwei Jahre betragen. Selbst die Regierung räumt ein, dass in Marokko sechs Millionen Frauen regelmäßig Opfer von Gewalt werden. In mehr als der Hälfte aller Fälle schlagen die Ehemänner zu – ohne dass der Staat eingreift. Ein Vergewaltiger kommt ohne Strafe davon, wenn er das Opfer heiratet. Nach dem schockierenden Selbstmord einer 16-Jährigen, die ihren Vergewaltiger hatte heiraten müssen, kam es im Frühjahr 2012 vor dem Parlament zu Großdemos. Wütende Proteste gab es in Rabat erneut im August, als ein Pädophiler von König Mohammed VI. begnadigt wurde und nach Spanien floh. Ein Irrtum, beteuerte das Königshaus.

Vor diesem Hintergrund mutet die "Facebook-Affäre" nach Meinung vieler Marokkaner wie ein Witz an. Vor der Jugendanstalt in Nador veranstalteten Dutzende am Samstag einen Sitzprotest. "Machen wir der Heuchelei ein Ende", wurde am Samstag auf der Facebook-Seite "Solidarität mit den Jugendlichen von Nador – ein Kuss ist kein Verbrechen", die am Sonntag – anderthalb Tage nach Einrichtung – mehr als 4200 Likes hatte, gefordert. Auf der Gegenseite sieht man das Ganze anders. El Morsi von der "Organisation für die Menschenrechte und öffentliche Freiheiten" will nun auch die Eltern des Paares anzeigen. "Wir wollen nicht Jugendliche terrorisieren, nur gewisse Dinge klären." Vor dem Hintergrund des wachsenden Protests bat jedoch auch er um Freilassung der "Täter". Aktivistin Lachgar sieht sich in Marokko derweil ins Spätmittelalter zurückversetzt. "Das ist wie die Inquisition", klagte sie jüngst in einem Interview.

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