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Neu im Kino: "Willkommen bei den Hartmanns"

  • Do, 03. November 2016, 00:00 Uhr
    Kino

     

Ein Jahr nach Merkels "Wir schaffen das" macht Simon Verhoevens "Willkommen bei den Hartmanns" den Umgang der Deutschen mit der Flüchtlingskrise zum Gegenstand einer Komödie.

Wohlstandsfamilie mit Afrikanerkind: d...allo (Eric Kabongo, Zweiter von links)  | Foto: dpa
Wohlstandsfamilie mit Afrikanerkind: die Hartmanns und Diallo (Eric Kabongo, Zweiter von links) Foto: dpa
"Nein, Deutschlehrer haben wir mehr als genug. Die ganzen Rentner rennen uns hier die Bude ein", sagt der Leiter des Flüchtlingsheimes freundlich, aber bestimmt. So hatte sich das Angelika Hartmann (Senta Berger) nicht vorgestellt. Die ehemalige Schuldirektorin wollte helfen und Gutes tun, wo sie heute morgen die arme Maus schon nicht vor dem tödlichen Zugriff der Katze retten konnte. Sie müsse endlich einsehen, dass sie nicht die ganze Welt retten könne, hatte ihr Mann Richard (Heiner Lauterbach) vom Balkon der Münchner Stadtrandvilla herunter gespöttelt.

Aber ganz so selbstlos ist Angelikas Helferwunsch nun auch nicht. Seit ihrer Pensionierung macht sich eine große Leere in ihrem Leben breit, die sie zunehmend mit gutem Rotwein zu füllen versucht. Die Kinder – Sohn Philip (Florian David Fitz), ein Workaholic, Tochter Sophie (Palina Rojinski), eine Dauerstudentin – sind längst aus dem viel zu großen Haus. Ehemann Richard scheint bis zum Umfallen an seinem Chefarztposten festhalten zu wollen, lässt sich beim Schönheitschirurgen die Falten wegspritzen und hat neuerdings sogar einen Facebook-Account.

Als Angelika beim Familienessen verkündet, dass sie einen Flüchtling im Haus aufnehmen will, legt Richard mit großer patriarchaler Geste und ohne Erfolg sein Veto ein. Die Wahl fällt schließlich auf den jungen Nigerianer Diallo (Eric Kabongo), der mit neugierigem Blick die dysfunktionalen Familienverhältnisse der Hartmanns erkundet.

Kaum mehr als ein Jahr nach Merkels "Wir schaffen das" macht Simon Verhoevens "Willkommen bei den Hartmanns" den Umgang der Deutschen mit der Flüchtlingskrise zum Gegenstand einer Komödie. Angesichts der Situation im Lande ist vielen Menschen das Lachen vergangen – und vielleicht ist das gerade der beste Grund für eine komödiantische Herangehensweise. Verhoeven nähert sich dem Thema mit einer scheinbar sorglosen Attitüde, die ihm sicherlich viele zum Vorwurf machen werden. Sein Film nimmt die Wohlstandsperspektive der Münchner oberen Mittelklasse ein, die keine anderen Sorgen hat außer sich selbst.

Ohne moralische Wertungen und politische Posen

Zum gutbürgerlichen Familienchaos bietet der Nigerianer Diallo, der vor dem islamistischen Terror der Boko Haram nach Deutschland geflüchtet ist, einen starken Kontrast. Verhoeven inszeniert den Zusammenprall der Kulturen jedoch in einem abgesicherten Modus. Die Figur des Flüchtlings wird zum Katalysator im zerrütteten Familiengefüge und verschiebt mit einem sehr viel realeren und tragischeren Schicksal die selbstbespiegelnde Problemperspektive der Hartmanns. Dieses Verfahren entspricht sicherlich nicht den Standards politisch korrekter Reinheitsgebote.

Obwohl "Willkommen bei den Hartmanns" in seiner Machart auf ein breites Publikum ausgelegt ist, will, kann und wird diese Komödie es nicht allen recht machen.

Verhoeven stürzt sich mitten hinein in die widersprüchlichen, emotionalen Zustand des Landes und zeigt die durchaus bizarren Effekte, die beim Aufeinanderprallen bundesdeutscher Luxusprobleme und Flüchtlingsschicksale freigesetzt werden. Er tut dies ohne moralische Wertungen und politische Posen, sondern mit einer offensiven Leichtigkeit, die dem realen, gesellschaftlichen Diskurs längst abhanden gekommen ist. Dennoch findet sein Film im humoristischen Getümmel Zeit, Raum und eine prägnante Form für die Darstellung der traumatischen Fluchterlebnisse, die über eine bloße Alibifunktion hinaus geht.

Aber auch auf der Komödienebene spielt "Willkommen bei den Hartmanns" mit schnellen Pointen immer wieder die realpolitischen Verhältnisse an, macht ein paar Anleihen beim politisch-inkorrekten "Monsieur Claude"-Humor und spürt die komischen Dissonanzen zwischen Mitgefühl und kultureller Ignoranz in der bundesdeutschen Willkommenskultur auf. Das alles hätte sicher sehr viel schärfer und satirischer formuliert werden können, und es wird hoffentlich noch andere, bissigere Komödien zu diesem Thema geben. Aber mit "Willkommen bei den Hartmanns" ist schon mal ein guter Anfang gemacht.

"Willkommen bei den Hartmanns" (Regie: Simon Verhoeven) läuft flächendeckend. (Ab 12 Jahren)

Ressort: Kino

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 03. November 2016: PDF-Version herunterladen

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