"Sie möchten cool sein und dazu gehören"

ZISCHUP-INTERVIEW mit der Psychotherapeutin Julia Stolberg darüber, ob Jugendliche heute tatsächlich so schlimm sind, wie manche Erwachsene behaupten.  

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Das trägt die Jugend von heute – lila Haare, Mütze und Kopfhörer. Foto: oneinchpunch (fotolia)

Es gibt Menschen, die behaupten, noch nie sei die Jugend so respektlos, so desinteressiert, kurz so schlimm wie heute gewesen. Behaupten kann man viel. Aber stimmt das auch? Die beiden Zischup-Reporterinnen Chiara Kwaschny und Arbëreshë Shabani, beide Klasse 8d des Goethe-Gymnasiums in Emmendingen, habe Julia Stolberg befragt, eine Psychotherapeutin.

Zischup: Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?
Stolberg: Während des Medizinstudiums fand ich das Fach Psychosomatik und Psychotherapie besonders interessant und faszinierend und habe dann beschlossen, mich in dieser Fachrichtung als Ärztin ausbilden zu lassen.
Zischup: Viele Menschen sagen, die heutige Jugend sei schlimmer geworden. Können Sie etwas zu diesem Thema sagen?
Stolberg: Die heutige Jugend ist wahrscheinlich weniger leicht einzuschüchtern und in mancher Hinsicht weniger diszipliniert, aber ich weiß nicht, ob das etwas Schlimmes ist. Mein subjektives Erleben in meinem eigenen Umfeld ist, dass die meisten Jugendlichen ziemlich einfühlsam und nett sind. Insgesamt verhalten sich Jugendliche auch zunehmend weniger selbstgefährdend. Der Alkohol- und Nikotinkonsum ist seit rund zehn Jahren rückläufig, und was die Jugendkriminalität betrifft, gibt es meines Wissens keine Verschlechterung. Natürlich gibt es aber auch nicht die eine Jugend, sondern viele, viele unterschiedliche Jugendliche, von denen sicher einige schlimm sind, aber viele auch super!
Zischup: Kommen mehr Erwachsene oder mehr Jugendliche zu Ihnen?
Stolberg: Mehr Erwachsene.
Zischup: Ist das so, weil es Ihr Gebiet ist, oder gibt es allgemein wenig Jugendliche, die dieses Angebot annehmen?
Stolberg: Es hat mehr mit der Ausrichtung unserer Praxis zu tun. Wir sind eher auf Erwachsenentherapie eingestellt. Es besteht aber bundesweit ein großer Bedarf für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Mittlerweile gibt es aber in Freiburg und im Kreis Emmendingen relativ viele Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und die Nachfrage sollte einigermaßen gedeckt sein. In anderen Regionen herrscht aber zum Teil großer Mangel.
Zischup: Womit haben die meisten Jugendlichen zu kämpfen?
Stolberg: Jugendliche sind mit der eigenen Identitätsfindung beschäftigt, möchten in der Regel cool sein und dazu gehören, und das ist manchmal nicht so einfach. Die meisten kommen aber mehr oder weniger zurecht, ohne Krankheitssymptome zu entwickeln. Bei einigen zeigen sich aber Schwierigkeiten bei der Problembewältigung und es kommt zu psychischen Symptomen und Krankheitsbildern wie zum Beispiel ADHS, Essstörungen oder Konsum von Drogen.
Zischup: Reden Sie direkt mit den Eltern, wenn ein Jugendlicher freiwillig zu Ihnen kommt?
Stolberg: Mit den Eltern würde ich dann reden, wenn der Jugendliche nicht nur ein oder zwei Gespräche führen, sondern eine längere Therapie machen will, denn hierfür ist das Einverständnis der Erziehungsberechtigten vorgeschrieben. Für den Inhalt der Gespräche gilt aber auch den Eltern gegenüber die Schweigepflicht! Ich würde also nicht darüber reden, was mir ein Jugendlicher erzählt, es sei denn, er gibt mir hierfür sein Einverständnis.
Zischup: Sind Jugendliche eher offen oder verschlossen?
Stolberg: Jugendliche sind eher nicht so offen und haben meistens Mühe, über ihre Probleme zu reden. Außerdem kommen sie in der Regel nicht aus eigenem Antrieb in Therapie, sondern weil besorgte Eltern oder Lehrer darauf drängen. Das ist natürlich keine leichte Ausgangsposition, um eine Vertrauensbasis aufzubauen, kann aber trotzdem funktionieren.
Zischup: Kommen mehr Jugendliche im Vergleich zu früher?
Stolberg: Wenn ihr mit früher die letzten 20 Jahre meint, dann auf jeden Fall. Allgemein ist es so, dass mehr Menschen in Psychotherapie gehen, also auch Jugendliche. Psychotherapie ist inzwischen nicht mehr so etwas Außergewöhnliches, und die Hemmschwelle, sie in Anspruch zu nehmen, ist glücklicherweise nicht mehr so hoch.

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