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Zischup-Schreibwettbewerb Frühjahr 2018

Sind Regeln ein Problem?

  • Laetitia Graefe, Klasse 8c, Max-Planck-Gymnasium (Lahr)

  • Mo, 18. Juni 2018, 17:59 Uhr
    Schreibwettbewerb Zischup

Laetitia Graefe aus der Klasse 8c des Max-Planck-Gymnasiums in Lahr hat sich lange mit dem Thema "Regeln" beschäftigt. Dabei stieß sie auf das Modell des Psychologen Eric Berne.

Regeln findet man in jeder Gesellschaft, sei es in Familien, in der Schule oder in Vereinen. Sie sind nicht nur Alltag, sondern häufig auch ein Streitpunkt. Sie werden oft nur widerwillig oder gar nicht eingehalten. Ich finde nicht, dass das Problem die Regeln sind, sondern vielmehr die fehlende Kommunikation. Oft verstehen Kinder die Beweggründe der Eltern oder die Eltern die Beweggründe der Kinder nicht. Meine Recherchen haben mich zu einem kaum bekannten, dennoch wichtigen Modell geführt. Es wurde vom dem Arzt und Psychologen Eric Berne (1910–1970) erfunden und nennt sich "Transaktionsanalyse". Dieses Modell soll helfen, Konflikte beziehungsweise Kommunikationsstörungen zu verstehen und zu entschärfen. Es macht sozusagen Selbst- und Fremdverständnis bewusst, hilft also, sich selbst zu verstehen (Was wünsche ich mir? Was möchte ich?) und das Gegenüber zu verstehen (Was wünscht sich mein Gegenüber?).

Eric Berne entwickelte daraus auch ein neues Identitätsverstehen, das jeder Mensch, egal welchen Alters, besitzt. Es besteht zunächst aus dem "Kind-Ich", es ist von Geburt an vorhanden und denkt nur an das Jetzt. Es verfolgt seine eigenen Wünsche, lässt sich emotional leiten und verhält sich wie ein Kind in einer bestimmten Entwicklungsstufe. Es wird zum Beispiel sichtbar bei erwachsenen Männern, die gebannt ein Fußballspiel anschauen, wenn die Wunschmannschaft ein Tor schießt und manche sich wie ein kleines Kind schreiend darüber freuen. Der zweite Ich-Zustand ist das "Erwachsene Ich", es entwickelt sich im Alter von ungefähr zwei Jahren. Das Kind erkennt, dass ein ausschließliches: "Ich will was, ich will sofort!" (wie schreienden Kinder, die an der Kaufhauskasse unbedingt ihre Schokolade wollen) zu Konflikt und Ablehnung führt und entscheidet sich – idealerweise – dafür, die Welt mit den anderen zu teilen.

Das erwachsene Ich überlegt, wie sich die eigenen Wünsche mit den Wünschen und Grenzen der anderen am besten koordinieren und verhandeln lassen. Auch ist an die Zukunft zu denken und sie zu planen eine Aufgabe des erwachsenen Ichs. Diese kann es so gut erfüllen, wie es informiert und trainiert ist. Zum Beispiel können kleine Kinder noch keine guten Prüfungen absolvieren, weil sie noch nicht über die Informationen und das Training verfügen, wie so etwas geht. Das dritte Ich ist das "Eltern-Ich", es entwickelt sich ab dem Alter von ungefähr 14 Jahren. Es ist vergleichbar mit einem Wertesystem, zum Beispiel, dass es richtig ist, respektvoll, sachlich und konstruktiv mit den Mitmenschen umzugehen (auch, wenn das Kind-Ich dem anderen gegenüber am liebsten schreien und toben würde).

Doch hilft dieses Modell wirklich? Was sagt ein Psychologe zu diesem Modell? Ich habe es herausgefunden und einen Spezialisten von der Psychologischen Beratungsstelle Lahr interviewt.

Zischup:
Ist die fehlende Kommunikation zwischen den verschiedenen Ebenen in Familien, die Probleme haben, eigentlich öfters das Hauptproblem oder eher eine "Nebensächlichkeit"?
Experte: Probleme zeigen sich in der Art der Kommunikation. Aber die Art der Kommunikation ist nicht unbedingt das Problem. Hinter der Art der Kommunikation liegt das eigentliche Problem. Art der Kommunikation bedeutet zum Beispiel, Eltern verlangen von Kindern und Jugendlichen: "Du musst das so und so machen", und Jugendliche meinen darauf: "Nein, ich will das nicht machen". So entsteht ein Machtkampf. Und das Problem, zum Beispiel Hausaufgaben, wird nicht gelöst. Hintergrund dieses Kampfes sind oft Ängste der Eltern und ein: "Ich will selber bestimmen,wie ich meine Aufgaben erledige." Beispielsweise haben Eltern Angst um die Schulleistungen ihres Kindes, dass der Jugendliche schlechte Noten schreibt oder gar sitzenbleibt. Sie haben Angst, dass sie selbst von anderen Eltern schräg angesehen werden oder andere denken, dass sie ihr Kind nicht im Griff haben. Dadurch versuchen sie es mit: "Du musst!". Und der Hintergrund bei vielen Eltern ist Angst, und bei Jugendlichen geht’s um Verselbstständigung, selber Sachen zu machen, eigene Lösungen zu finden. Die Lösungen von Mama und Papa sind ja nicht unbedingt dieselben wie von den Jugendlichen. Und die Jugendlichen haben die Entwicklungsaufgabe, ihren eigenen Weg und ihre eigenen Lösungen zu finden und sie kennen ihren "Arbeitsplatz" inklusive der "Chefs" mit ihren unterschiedlichen Eigenheiten und Anforderungen besser als die Eltern. Und das ist ja auch wahr: Eltern waren zwar früher in der Schule, aber das macht sie nicht zu Experten für die Schule und die konkreten Lehrer heute.

Zischup: Arbeiten Sie oft mit dem Modell?
Experte: Ich wende dieses Modell sehr oft an, denn das Modell hilft Menschen, dass sie sich selbst und den anderen verstehen. Und dann können gerade Familien über das Modell miteinander sprechen. Dadurch brauchen sie mich weniger und emanzipieren sich. Denn bei vielen Beratungen ist oft ein Problem, dass erwartet wird, dass der Berater gute Lösungen findet, während eigentlich die Aufgabe ist, durch die Beratung selber gute Lösungen zu finden.

Zischup: Würden Sie sagen, dass bei Mädchen und Jungen die verschiedenen Ebenen verschieden stark ausgeprägt sind?
Experte: Dazu muss man viele Faktoren bedenken. Zum einen leben wir ja in einer Gesellschaft, in einer Kultur, die auch einen Einfluss hat. Noch vor 50 Jahren wurde ja gesagt, dass Mädchen keine Naturwissenschaften und keine Mathematik können. Das heißt, es gab einen starken kulturellen Einfluss, der sich überall zeigt. Das führte oftmals dazu, dass Mädchen gar nicht daran glaubten, dass sie das können. Wenn man denkt, man kann etwas nicht, dann ist es tatsächlich so, dass man es nicht kann. An dieser Stelle hat sich viel verändert. Unsere Kultur ist heute so, dass klargemacht wird, dass Mädchen und Jungen die gleichen Chancen haben und gleiche Fähigkeiten. Natürlich, körperlich gibt es Unterschiede. Das sieht man dann einfach auch beim Sport, Männer sind da einfach anders gebaut als Frauen. Aber von den mentalen Fähigkeiten her können Männer und Frauen alles. Wir haben unterschiedliche Neigungen, ja, das schon.

Zischup: Ist das Geschlecht abhängig davon, wann sich verschiedene Ebenen bei Jungen und Mädchen entwickeln?
Experte: Naja, das betrifft ja, welchen Einfluss die Biologie hat, also die körperliche und die mentale. Ist diese bei Jungs und Mädchen unterschiedlich? Ja! Sie ist unterschiedlich. Dann spielen auch Erziehung und Kultur eine Rolle. Welchen Einfluss hat das? Und Erziehung heißt auch Erziehung zur Selbstständigkeit. Ich denke, dass 10-Jährige beispielsweise durchaus in der Lage sind, den ganzen Haushalt zu führen, wenn man ihnen das beibringt und wenn man sie dafür nicht unter Druck setzt. Die Fähigkeiten dazu haben sie. Die Frage ist, wird das gefördert von Eltern oder nicht? Die Wahrnehmung ist von Familie zu Familie unterschiedlich.

Zischup: Welches der Ichs empfinden Sie als das wichtigste?
Experte: Sie sind alle gleichermaßen wichtig, es kommt auf die Situation an. Zum Beispiel auf einer Party ist das Kind-Ich total wichtig, denn da erleben wir Spaß, Freude, Interesse und Fantasie. Das erwachsene Ich ist zum Beispiel wichtig, wenn es konkret um das Lösen einer Matheaufgabe geht oder um das Durchdenken eines Problems. Das Eltern-Ich ist wichtig, um zu sagen: "Nein, so nicht!" wenn zum Beispiel in der Gruppe mehrere eine "gute Idee" haben, bei der allerdings jemand zu Schaden kommen könnte. Gerade in einer Gruppe möchte das Kind-Ich so unbedingt dazu gehören, dass es sich zu sehr fürchtet, zu widersprechen und abgelehnt zu werden.

Zischup: Also würden Sie sagen, dass das situationsbedingt ist?
Experte: Ja, je nach Situation aktiviere ich den passenden Ich-Zustand.
Zischup: Das Modell wurde ja von dem Arzt und Psychologen Eric Berne erfunden. Würden Sie nach Ihrer jahrelangen Erfahrung etwas an dem Modell verbessern oder etwas hinzufügen?
Zischup: Nein, das Modell würde ich nicht verändern. Das Modell ist stimmig, passend und gut beschrieben. Die Art und Weise, wie man damit umgeht, das hat sich über die Jahre verändert. Früher war das so, dass der Berater grundsächlich im Erwachsenen-Ich sein und vernünftig sein sollte und immer darauf achten musste, wie die Realität ist und seine Klienten dazu einladen sollte, auch vernünftig zu sein. Ich mache das mittlerweile anders, denn ich bringe auch mein kindliches Ich in die Beratung mit ein. Dadurch habe ich mehr Spaß und lade gleichzeitig meine Klienten dazu ein, auch Spaß zu haben, denn bei jeder Lösung, bei jedem Problem braucht man ja eine Motivation, um das Problem überhaupt zu lösen. Die Motivation ist natürlich, dass es mal besser wird, die Motivation kommt vom Kind-Ich: Das Kind-Ich wünscht sich ruhigere Beziehungen, mehr Spaß, mehr Frieden, vielleicht mehr freudvollen Umgang und dabei bin ich dadurch ein Vorbild.

Insgesamt werde ich öfters an dieses Modell denken, wenn ich mit anderen Menschen kommuniziere, ich habe sehr viel durch meine Recherchen und das Interview mit dem Experten gelernt und hoffe, dass ich es gut anwenden kann.

Ich ziehe daraus ein klares Fazit: Meiner Meinung nach sind nicht Regeln das Problem. Das eigentliche Problem liegt in der Kommunikation begründet.

Ressort: Schreibwettbewerb Zischup

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