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Tierdrama

Wie zwei Rehkitz-Waisen in Neustadt aufgepäppelt werden

  • Peter Stellmach (Text), Sebastian Wolfrum (Video)

  • Mo, 16. Juni 2014, 17:00 Uhr
    Titisee-Neustadt

Diese Schwarzwälder Tiergeschichte geht ans Herz: Bei einem Wildunfall kommen zwei Rehkitze zur Welt, während ihre Mutter stirbt. Nun werden die Kleinen am Titisee aufgepäppelt.

So fotogen: Die Rehkinder in der umfunktionierten Hundehütte Foto: Peter Stellmach
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Bangen muss man schon, Günter Schwarte will gar keine übertriebenen Hoffnungen wecken. Aber ein bisschen zuversichtlich darf man sein, dass der Tierarzt seine jüngsten Schützlinge durchbekommt und das Tierdrama vom Wochenende ein glückliches Ende nimmt. Die beiden Rehkitze, die heute drei Tage alt werden, staksen auf dünnen Beinchen durch den Garten am Titisee und sind gut Freund mit Mensch und Hund.

Samstag, 0.30 Uhr. Ein Autofahrer erkennt auf der Kreisstraße von Bärental Richtung Titisee bei der Abzweigung zur Erlenbruck ein querendes Reh – zu spät. Er kann nicht rechtzeitig anhalten, das Tier ist sofort tot. Im Gras neben der Unfallstelle findet die Polizei bei der Unfallaufnahme zwei neugeborene Kitze. Offenbar hat der Unfall bei der Mutter die Geburt ausgelöst, sagt Tierarzt Schwarte.

Die Polizei hat die kleinen Rehbabys aufgenommen. Schwarte erzählt, wie liebevoll sich der junge Polizist um die Tierbabys gekümmert hat, als er sie brachte, eingehüllt in eine weiße Decke in einer grünen Plastikkiste. Im Freiburger Mundenhof hatten sie kein Quartier bekommen. Die Polizei habe alles richtig gemacht, sagt der Tiermediziner, der 40 Jahre lang eine Praxis betrieb und sich jetzt, fünf Jahre im Ruhestand, ganz selbstverständlich um die Kleinen kümmert.

Grundsätzlich sind die Überlebensaussichten ungewiss. In der Schule hat man ja gelernt: ja nicht anfassen! Aber das Problem stellt sich nicht, die Mutter lebt nicht mehr. Schwarte hat auch schon Rehkitze aus der Wiese getragen, die der Bauer gerade gemäht hatte. "Wir probieren es", sagt er mit Entschlossenheit.

Milch und zarte Blätter

"Wir" sind er und seine Frau Helga, die sich abwechseln, um die Kleinen alle drei Stunden zu päppeln. Schwarte hat von den Geißenhöfen am Zastler und in Menzenschwand Kolostrum (Biestmilch) bekommen, die von den Ziegenzüchtern eingefroren wird für den Fall, dass eine Ziege ihre Jungen nicht säugen kann.

Wie die Kleinen diese Nahrung in den nächsten Tage und Wochen annehmen, wird entscheidend sein. Beim Besuch der BZ-Reporter säugen Brüderchen (etwas heller) und Schwesterchen (dunkler, mit kräftigerer Fellzeichnung) auf dem Schoß, aber eines der Fläschchen von 150 Milliliter wird nicht ganz leer, wie Günter Schwarte sorgenvoll feststellt. Dann wird eben nicht drei Stunden abgewartet bis zum nächsten Füttern, erklärt seine Frau. Außerdem bekommen die Kleinen, die übrigens schon am zweiten Tag aufgestanden sind und sich seither in Schwartes Garten umtun, zarte Blätter von Buche und Haselnuss, auch Löwenzahn. Sie lassen sich ohne weiteres aufnehmen und streicheln, sie lecken an der Hand und suchen die Finger.

Hündin Ronja wird zur Ersatzmama

Übrigens: Genau genommen kümmern sich Schwartes zu dritt um die Kitze. Ronja, die Hannoveraner Schweißhündin, hat sie sofort angenommen, sie fühlt sich ganz offenkundig wohl in ihrer Rolle als Ersatzmama. Ganz besorgt ist sie um sie herum und verfolgt jeden Tritt der Rehkinder, die jedes gerade drei Pfund leicht sind. Wenn eins fiept, kümmert sich Ronja eilends darum, dass Herrchen und Frauchen nach dem Rechten schauen.

Das machen die aber sowieso. "Natürlich", sagt Günter Schwarte, selbst nach so vielen Jahren im Beruf gehe ihm das doch noch ans Herz. Alternativen zu dieser Hilfe gibt es. Ohne Mutter wären sie in der Natur chancenlos gewesen. Schwartes werden, wenn alles gut geht, die Rehgeschwister bis ins nächste Frühjahr bei sich behalten. Erst dann wären sie erwachsen und stark genug, dass man sie in ein Gehege geben könnte oder doch den Versuch wagen, sie auszuwildern.
Stichwort: Kolostrum

Kolostrum (lat. Colostrum) oder Erstmilch oder Vormilch oder Kolostralmilch ist bei Säugetieren die erste Milch, die von der weiblichen Milchdrüse produziert wird, um das Neugeborene in den ersten Tagen optimal zu ernähren. Bei Kühen wird Kolostrum auch als Biestmilch oder Biest bezeichnet. Es enthält wie die später gebildete Milch Proteine, Enzyme, Vitamine, Mineralien, Wachstumsfaktoren, Aminosäuren und Antikörper, jedoch teilweise in höheren Anteilen. Damit wird das Kind oder Jungtier gestärkt und seine Immunabwehr unterstützt.

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Ressort: Titisee-Neustadt

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 17. Juni 2014: PDF-Version herunterladen

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