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BZ-Dossier Gegenwind: Gestern

Vorbereitungen für das größte Pfingsten aller Zeiten

  • Manuel Kaiser

  • Di, 02. Juni 2009, 12:13 Uhr

Das Pfingstfest am Kolleg St. Blasien ist der Höhepunkt im Jubiläumsjahr. In der Woche davor verspüren die Schüler hauptsächlich Nervosität und Stress.

Jubiläumsfahnen am Eingang Ost des Kollegs. Foto: Manuel Kaiser
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Als Tom Murau um sieben Uhr morgens aufsteht, ist alles meist wie immer: Er hat verschlafen, muss sich beim Frühstück beeilen, der Weg zum Speisesaal erscheint viel zu lang und alle Hausaufgaben hat er auch nicht erledigt. Doch heute freut sich Tom, weil er schulfrei hat und sich um das Pfingsttheater kümmern darf. Genau wie die anderen Schüler, die mit ihm die Theateraufführung für das Jubiläums-Pfingstfest proben: "Romeo und Julia" von William Shakespeare.

Tom Murau ist ein interner Schüler am Kolleg St. Blasien, den viele für den Durchschnittsschüler halten. Tom Murau gibt es nicht. Aber es gibt viele, die ihm ähnlich sind: Mehr als vierzig Schüler arbeiten am diesjährigen Pfingsttheater mit. Die internen, die im Internat wohnen, und die externen, die jeden Tag von zu Hause ans Kolleg kommen.

An den Samstagen, Sonntagen und Feiertagen wird immer bis spät in den Nachmittag hinein geprobt, seit mehreren Monaten schon. An den Sonntagen sind die internen Schüler vom eigentlich verpflichtenden Gottesdienstbesuch befreit. Und jetzt, in der letzten Woche vor Pfingsten, gibt es für die Proben schulfrei. Eine Generalprobe jagt die nächste. Es könnte ein ganz normales Pfingsttheater sein, wie jedes Jahr – wenn die Gruppe nicht auf zwei Bühnen parallel üben würde: auf der Bühne in der Mehrzweckhalle und auf einer eigens errichteten Freilichtbühne im Westhof.

Von Tag zu Tag wird Tom Murau nervöser. Er ist gespannt, wie das Wetter an Pfingsten werden wird. Vom schlimmsten Fall wollen die meisten Mitwirkenden gar nicht sprechen – unvorstellbar, was passieren würde, wenn es an beiden Theaterabenden regnen würde. Der Hauptdarsteller – Romeo – fährt sich durch die Haare. "Hoffentlich können wir im Innenhof spielen. Das wäre natürlich nochmal besser als in der Halle." Er will die neue Wettervorhersage hören, obwohl er genau weiß, dass er sie nicht ändern könnte.

Natürlich hoffen alle, dass die Freilichtbühne bespielt werden kann, es wäre ein Novum in der Geschichte des Pfingsttheaters. Zwar wäre es auch in der Halle ein grandioses Schauspiel, da ist sich Tom Murau sicher. Nicht umsonst hatten sie immer doppelt geprobt und zwei Bühnenbilder entworfen. Aber vielleicht lässt sich das gute Wetter ja beschwören?

Erst einmal die Sonne genießen

Sieben Tage zuvor ist noch ein normaler Schulsamstag. Wer heute etwas für Pfingsten vorbereitet, ist eher geschäftig denn nervös: Vieles muss noch erledigt werden. Doch die meisten genießen das Wochenende und nehmen sich eine Pause von den Vorbereitungsarbeiten.

"Herr Präsident, ja, ich nehme die Wahl an", hört man den im Amt bestätigten Bundespräsidenten Horst Köhler aus dem Fernseher sprechen. Im Gruppenraum verfolgen einige Schüler live die Wahl. Einen Zwölftklässler hat das schöne Wetter in den Schulgarten gezogen, wo er sich auf die Geschichtsprüfung am Montag vorbereiten will.

Er ärgert sich. Über den Lehrer, über seine Motivationslosigkeit und ein bisschen auch über das schöne Wetter, das ihn vom Lernen abhält. "In der Woche vor Pfingsten dürften wir gar keine Klausuren mehr schreiben," sagt er, " die Woche ist ja nicht umsonst für Pfingstvorbereitungen reserviert!"

Währenddessen hallt ein langgezogenes "Zocken!" durch den Gang der Abiturienten-Internatsgruppe. Die meisten von ihnen haben heute die letzte Schulklausur ihres Lebens geschrieben, in einer Woche ist der Unterricht für sie Geschichte. Das Jubiläums-Pfingstfest wird das letzte Pfingsten sein, das sie als Schüler am Kolleg miterleben. In ihren letzten Kollegstagen haben sie viel Spaß und beobachten die Vorbereitungen um sich herum.

Was die Unterstufler im Internat jetzt machen müssen, braucht die Abiturienten nicht mehr zu kümmern: den "Pfingstfragebogen" ausfüllen, auf dem man angeben muss, wie viel Gäste anreisen und welche größeren Veranstaltungen diese besuchen wollen. Pfingsten soll nämlich als gemeinsames Fest gefeiert werden.

Alles neu macht Pfingsten

Nach dem Wochenende scheint es, als sei plötzlich irgendein Schalter umgelegt worden. Die Länderflaggen vor dem östlichen Zufahrtsweg sind allesamt durch solche mit dem 75-Jahre-Kolleg-Motiv ersetzt worden. Im Gebäude montieren Handwerker Wegweiser-Schilder. Auch außerhalb des Kollegs werden große Metalltafeln einbetoniert. Ein Luftbild des Kollegs ist darauf zu sehen, "Ihr Standort" und "Hunde sind unbedingt an der Leine zu führen".

Ob die neuen Wegweiser nach Pfingsten wohl stehen bleiben? Kollegsdirektor Pater Johannes Siebner scherzt: "Nee, die werden direkt am Pfingstmontag alle wieder abgebaut!" Natürlich bleiben die Schilder stehen, so Siebner weiter, sie sind Teil einer längerfristigen Investition. "Wir haben uns jetzt motiviert, das noch vor Pfingsten zu schaffen", sagt Siebner. "Manche denken, wir würden hier alles nur für Pfingsten machen. Aber das sind in der Tat längerfristig angelegte Aktionen."

Stress! Und Fritz in der Alb

Nach dem Mittagessen hat der Internatsleiter Pater Bödefeld ein Treffen im Clubraum anberaumt. Er hat ein gutes Dutzend Warnwesten dabei, auf dem Rücken groß mit dem Kollegslogo bedruckt. "Letztes Jahr waren die aber gelb", sagt ein Schüler aus der Runde und beäugt die rot-orangenen Westen ein wenig enttäuscht. Er wird vor dem Gottesdienst am Pfingstsonntag Parkeinweiser spielen, spielen müssen. Das ist seine ganz persönliche Aufgabe; eine solche muss er wie jeder andere interne Schüler an Pfingsten übernehmen. Der Parkeinweiser-Posten ist für manche Schüler aber besonders attraktiv: Die Westen mit dem Kollegslogo darf man nach dem Fest behalten. Und das finden die meisten der Einweiser "ziemlich cool".

Der Zwölftklässler mit der Geschichtsklausur hat unter einigem Protest die Arbeit nun doch geschrieben. Als er den Klassenraum verlässt, kommen ihm drei Kameraden und ein Lehrer entgegen, die alle schwer tragen: die Pakete mit den Sonderausgaben der Schülerzeitung sind angekommen. Die Hefte müssen nun verteilt, Belegexemplare versendet und das Wechselgeld für die Verkaufsstände ausgeteilt werden. Die Redakteure der Schülerzeitung sind nicht die einzigen, die beschäftigt durch die Gänge laufen: Auch der Geschäftsführer huscht mit Unterlagen von einem Zimmer zum nächsten und das Kollegsfernsehen macht die letzten Aufnahmen für seine Pfingstsendung. Bei den Aushängen der Arbeitsgemeinschaften am Schwarzen Brett ist immer häufiger von "absoluter Anwesenheitspflicht" und "Wichtig: bitte kommt alle!" zu lesen.

Dossier: 75 Jahre Kolleg St. Blasien

Am meisten Stress herrscht in diesen Tagen aber wohl bei der Leitung des Kollegs. Siebner etwa hat so viel zu organisieren wie fast nie im Schuljahr. Es sind besonders viele Gäste eingeladen, Sponsoren für das Pfingsttheater wollen versorgt sein, die Sekretärin hat fünf Rückrufwünsche auszurichten, und dann "rutscht Fritz noch in den Fluss", wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet. Letzteres geht zum Glück glimpflich aus. Siebner erfährt, dass der verletzte Schüler auf dem Weg ins Krankenhaus sei und es ihm gut gehe. "Alles in Ordnung" – diese Worte hört der Kollegsdirektor in den Tagen vor Pfingsten gerne.

Siebner hat in den vergangenen Monaten viele Zeitungs-Interviews gegeben, unzählige Artikel über das 75-jährige Jubiläum sind erschienen. "Damit Schule nicht so wichtig ist", sagt er der Herder Korrespondenz, oder auch "Ich bin überzeugt vom Nutzen des Nutzlosen" (Südkurier). In der Südwestdeutschen Zeitung spricht er vom Jesuitenordnen als dem Bildungsorden schlechthin: "Wir machen das seit 450 Jahren." Über die Schule wird berichtet, das Erfolgsmodell in St. Blasien, über das Jubliäum und die zugehörigen Projekttage im Jahr davor. Das Interesse am Kolleg im Jubiläumsjahr ist groß.

Endspurt: Die Stimmung steigt

Ein Schüler eilt in Richtung Lehrerzimmer. "Ich war gerade in der Wetterstation, da sind irgendwie alle Sicherungen rausgeflogen. Ich hab‘ sie alle wieder reingetan, aber die Geräte funktionieren trotzdem nicht." Hat ein Blitz aus dem gestrigen Gewitter die gerade neu angeschaffte Messtechnik gegrillt? Am nächsten Tag Entwarnung: Die Geräte sind nicht beschädigt, die Pfingstpräsentation der Wetterstation ist gerettet.

Als Tom Murau von der ersten Generalprobe in der Mehrzweckhalle zurückkommt, ist er bei einem Blick in den Westhof überrascht. Innerhalb eines Tages haben die freiwilligen Helfer der Domfestspiele aus der Stadt zwei Tribünen hochgezogen, die ein wenig wie ein flaches Baugerüst aussehen und mit blauen Kunststoffstühlen bestückt sind. Dass es so schnell gehen würde, hätte er nicht gedacht.

Vor dem Abendessen verabschiedet Tom Murau die Externen unter den Theaterleuten. Sie essen zu Hause, weil es dort bekanntermaßen besser schmeckt und weil sie nach den langen Proben sowieso endlich nach Hause wollen. Unternimmt man zwischen fünf und sechs Uhr abends einen kleinen Spaziergang durch St. Blasien, so sieht man eine ganze Reihe Schüler Richtung Busbahnhof laufen, die Heimkehrer, der Gedanke drängt sich unwillkürlich auf. Sie sehen erschöpft und zufrieden aus.

Romeo beschwert sich beim Essen darüber, dass er nach der langen Probe heiser geworden ist. Vor zwei Jahren ist ihm das beinahe vor der Pfingstaufführung passiert, als er am Abend zuvor im Partykeller war. Im Partykeller des Kollegs wird an den Pfingstabenden immer gefeiert, das Gewölbe ist rappelvoll, auch wegen der vielen Altkollegianer. Aber das gehört ebenfalls zum Pfingstfest: zusammen feiern und Spaß haben. Das Gröhlen wird sich der Romeo-Darsteller diesmal allerdings verkneifen, immerhin will er an den Pfingstvorstellungen voll einsatzfähig sein.

Wenn Tom Murau am nächsten Morgen um sieben Uhr aufsteht, ist wieder alles so wie immer. Heute muss er wieder in die Schule, weil er nicht auf dem Probenplan steht. Sein Klassenlehrer erinnert ihn daran, dass "Pfingsttheater" keine Ausrede für vergessene Hausaufgaben sei. Aber Tom bekommt das gar nicht mit: Er ist bereits wieder in das Schiffe versenken mit seinem Tischnachbarn vertieft. Trotz aller Pfingstvorbereitungen ein ganz normaler Tag eben.

Dossier: Gegenwind

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