Neu im Kino

"Wir sind Juden aus Breslau" ist eine spannende Doku

Sie werden immer weniger: Zeitzeugen, die die NS-Zeit noch aus eigener Anschauung kennen. Der Film "Wir sind die Juden aus Breslau" bringt einige von ihnen mit Jugendlichen von heute zusammen.  

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War  im Frauenorchester von Auschwitz: Anita Lasker-Wallfisch   | Foto: Kaper
War im Frauenorchester von Auschwitz: Anita Lasker-Wallfisch Foto: Kaper
Sie sehen müde aus, die Gesichter, die da zu Beginn nacheinander schweigend ins Bild kommen, während ein eingeblendeter Text biografische Daten liefert. Müde und traurig. Das von Abraham Ascher zum Beispiel, das von Esther Adler, Walter Laquer, Pinchas Rosenberg oder einem der anderen zehn Protagonisten des Dokumentarfilms "Wir sind Juden aus Breslau”. Natürlich, es sind die Gesichter alter Menschen: Geboren wurden sie zwischen 1921 und 1931 in der Hauptstadt der Provinz Niederschlesien, dem heutigen Wrocław. Aber was ihre Augen so leer macht, ist nicht das Alter, sondern die Erinnerung an den Holocaust.

Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, heißt es bei Paul Celan, aber diese 14 Jugendlichen hat er nicht gekriegt. Begleitet hat er sie dennoch ihr Leben lang, der Meister aus Nazideutschland, vom Sturz aus der Kindheit in der blühenden jüdischen Gemeinde von Breslau (wo 1925 knapp 25000 Juden lebten) über Verfolgung, Flucht, Verhaftung, Ermordung der Familie, KZ und Todesmärsche bis zum Neuanfang in Palästina oder Amerika. Der zumindest äußerlich gelungen ist, was die eindrucksvollen Karrieren belegen. Der Schatten der Vergangenheit aber liegt bis heute auf den Gesichtern.

Die Berliner Filmemacher Karin Kaper und Dirk Szuszies machen die gestohlenen Jahre erlebbar und lebendig, mit vielen historischen Bildern und Filmszenen von New York bis zur Côte d’Azur. Diese 14, die zu den letzten Zeitzeugen der Shoa gehören (einer von ihnen, der große Historiker Fritz Stern, ist mittlerweile gestorben), sind von weit hergekommen, um in Wrocław mit Jugendlichen aus Deutschland und Polen auf Zeitreise zu gehen. In ihr Breslau, zu den Synagogen (vor 1938 gab es zehn), auf den Balkon, von dem Hitler sprach, zur Schule, ins Gefängnis. Sie zeigen ihre Heimatstadt, die es so nicht mehr gibt, und vermitteln die einstige Vielfalt jüdischen Lebens zwischen Reformjuden und Orthodoxen, Deutschen, Polen und Ostjuden.

Als sie mit ihrer Schwester auf die Deportation wartete, erzählt die Cellistin Anita Lasker-Wallfisch, hätten sie schnell wirkendes Gift dabei gehabt, das sei ja damals Mode gewesen, lieber so sterben als in Auschwitz. "Wir haben dann gemeinsam gezählt, eins, zwei, drei, und uns das Gift auf die Zunge geträufelt. Aber – wir sind gar nicht tot umgefallen." Pause, dann kommt die Erklärung: Ein Freund hatte das Zyankali zuvor gegen Zucker ausgetauscht. Die jungen Leute blicken die alte Dame verstört an, wie kann sie so flapsig von "Fashion" reden, von Mode, wenn es um Vorkehrungen für den Suizid geht, wie so nüchtern von Todeserwartung und zufälligem Überleben?

Vielleicht ist es die Erfahrung der Hölle, die dem jüdischen Humor so viel Sarkasmus verleiht. Der Hölle als junge Musikerin in Auschwitz oder als kindlicher Totengräber halbverwester Leichen. Für Larmoyanz jedenfalls ist kein Platz im hart erkämpften Leben dieser 14 starken Persönlichkeiten. Für Ironie und Lachen schon, was ihre jugendlichen Gesprächspartner mitunter schwer irritiert. Der Film verschont auch seine Zuschauer nicht, aber er enthält sich genauso jeder aufgeregten Empörung. Und ist gerade deshalb so nachhaltig berührend.

Die spannende und mehrfach preisgekrönte Dokumentation erzählt und zeigt einfach, was Sache war. Und ist: Am Jahrestag der Reichspogromnacht macht sich die heutige jüdische Gemeinde von Wrocław mit den Shoa-Überlebenden und vielen Bürgern auf einen "Marsch der gegenseitigen Achtung", zwei Tage später marschieren grölend polnische Nationalisten auf und verbrennen eine "Judenpuppe" mit Schläfenlocke und Europaflagge. Allein diese Szene zeigt, warum Filme wie "Wir sind Juden aus Breslau" unverzichtbar sind.

"Wir sind Juden aus Breslau" von Karin Kaper und Dirk Szuszies läuft in Freiburg, Emmendingen und Lörrach. (Ab 12)

Die Regisseurin kommt zum Publikumsgespräch: am 14. 11. um 19.30 Uhr ins Kommunale Kino Freiburg, am 15. 11. um 19 Uhr ins CineMaja Emmendingen und am 16. 11. um 19 Uhr ins Union Filmtheater Lörrach.

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