Museen-Geheimtipps (6)
Deutsche Phonomuseum in St. Georgen erzählt Anfänge der Tonwiedergabe
Phonographen, Trichtergrammophone und Plattenspieler: Im Deutschen Phonomuseum in St. Georgen im Schwarzwald wird die Ur- und Frühgeschichte der Tonwiedergabe ausgestellt.
Fr, 17. Feb 2017, 0:00 Uhr
Schwarzwald-Baar-Kreis
Thema: Museen-Geheimtipps
Im Deutschen Phonomuseum in St. Georgen im Schwarzwald wird die Ur- und Frühgeschichte der Tonwiedergabe ausgestellt. Anders gesagt: Hier gibt es Phonographen, Trichtergrammophone und Plattenspieler zu sehen. Alles, womit früher die Musik ins Wohnzimmer kam. Oder in die Kneipe; einige Grammophone haben einen Einwurfschlitz für Zehn-Pfennig-Münzen. Auch ins Grüne konnte man die Töne mitnehmen: Bei den kleinen Reisegrammophonen gibt es eines mit einem faltbaren Trichter aus Leder.
Fast 400 Ausstellungsstücke stehen in dem Museum auf zwei Stockwerke verteilt. Warum aber in St. Georgen? Weil die Schwarzwaldstadt einst ein großer Standort der Phonoindustrie war. Dual und Perpetuum Ebner, kurz PE, hießen die Firmen, die seit den 1920er-Jahren Grammophone bauten.
Ab Anfang der 50er-Jahre fabrizierte Dual als erste Firma in Europa Plattenspieler für die neuen Singles und LPs aus Vinyl, in den 60er-Jahren wurden in St. Georgen die ersten deutschen HiFi-Plattenspieler entwickelt. Der Erfolg war immens: Dual hatte in den 60er-Jahren neben dem Firmensitz vom Elsass bis Friedrichshafen zehn weitere Werke und zeitweise 3500 Mitarbeiter. 1500 waren es in den besten Zeiten bei PE, die Firma zählte ebenfalls zu den größten Phonoherstellern Europas.
Von der Truhe bis zum Designobjekt
Heute ist davon nicht mehr viel übrig. 1982 ging Dual in Konkurs. Die Konkurrenz aus Japan und die neue CD-Technologie hatten das Geschäft der Schwarzwälder mit dem Plattenspieler einbrechen lassen. Nur eine kleine Nachfolgefirma hält die Marke vor Ort lebendig und stellt noch Plattenspieler der gehobenen Preisklasse her. Auch PE ist heute als eigene kleine Firma wiederbelebt.
1972 nämlich hatte Dual den pleitegegangenen Konkurrenten übernommen. Besser gesagt: die Bruderfirma. Denn die Geschichte von Dual und PE ist die Geschichte zweier Brüder. Josef und Christian Steidinger hatten Ende des 19. Jahrhunderts in der väterlichen Werkstatt gelernt. Die Familie stellte, wie so viele andere Familien im Schwarzwald, seit Generationen im Heimgewerbe Uhrenteile her – und dann auch selbst entwickelte Werkzeuge für die Uhrenherstellung.
Die Brüder hatten das Tüftlertalent ihres Vaters geerbt. Erst getrennt, dann zusammen, dann wieder getrennt bauten sie ihre Firmen auf. Federwerke für Grammophone waren ihre Spezialität, ehe sie dann die Phonoapparate in Gänze produzierten. Die Unternehmensgeschichte von Dual und PE ist im Phonomuseum dokumentiert, so ist es auch ein wenig Heimatmuseum. Zumal es auch eine Abteilung für Schwarzwälder Uhren gibt.
Es geht um "mechanische Tonaufnahme und -wiedergabe"
In der Hauptsache aber geht es, wie Jürgen Weisser sagt, um "mechanische Tonaufnahme und -wiedergabe". Weisser hat selbst von 1958 bis 1972 bei PE gearbeitet. Sein Onkel Gottlob Weißer, auch bei PE beschäftigt, hatte Mitte der 50er-Jahre damit begonnen, historische Phonogeräte zu sammeln, nach seinem Tod übernahm das der Neffe. Bei Dual gab es auch einen werkseigenen Sammler, Walter Grieshaber. 1972 wurden beider Bestände zusammengeführt, im neuerbauten St. Georgener Rathaus wurde damit das städtische Phonomuseum eröffnet. Vor sechs Jahren ist es in die heutigen Räume umgezogen, die zuvor die Filiale einer Kaufhauskette beherbergt hatten. Auf der stillgelegten Rolltreppe stehen heute Grammophone.
Getragen von der Stadt, wird das Museum betrieben von einem Arbeitskreis – zehn Leute, im Alter von 59 bis 80 Jahren, die meisten Ehemalige von Dual und PE, wie Weisser berichtet. In den Museumsräumen haben sie sich auch eine Werkstatt eingerichtet – "auf dem Stand der 70er-, 80er-Jahre", so Weisser. Dort werden neu erworbene Ausstellungsstücke restauriert, aber auch Dual- und PE-Geräte von Privatleuten repariert.
Wie kommen Töne aus Rillen?
Jürgen Weisser bekommt einige Wochenstunden von der Stadt honoriert. Wenn er Besucher durch die Sammlung führt, erklärt der Elektromechaniker gerne, wie alles hier funktioniert. Wie zum Beispiel bei den Phonographen des US-amerikanischen Erfinders Thomas Alva Edison Schallschwingungen in die Schwingungen einer Nadel übersetzt wurden und diese eine Rille in eine Walze aus weichem Wachs ritzte. Wenn man die Walze härten ließ und die Nadel wiederum durch die Rille gleiten ließ, kamen die Töne wieder heraus.
Das Problem: Jede Walze war ein Original, vervielfältigen ging nicht. Erst als Emil Berliner, Deutsch-Amerikaner, die flache Schallplatte erfand, war das möglich, von einer Matrize konnten viele Exemplare gepresst werden. Und so trat das Grammophon seinen Siegeszug an. In den 20er-Jahren gab es rund 200 Hersteller solcher Geräte allein in Deutschland.
Im St. Georgener Phonomuseum stehen nun allerlei Exemplare. Eines, ein Unikat, hat einen übergroßen Trichter, der mit Schlangenhaut überzogen ist – warum auch immer. Dann gibt es ein Modell mit bunten Lichtern und einer Art Diskokugel, die sich dreht. Es stand früher in einem Gasthaus in Schönwald.
Wie ein Schwarzwälder Bauernhaus gestaltet
Auch Modelle ohne Trichter gibt es, denn den empfand das Publikum irgendwann als stillos. Stattdessen ging der Trend zur Truhe: Der Ton wurde durch einen Unterbau verstärkt. Zum Beispiel bei dem Grammophon, das wie ein Schwarzwälder Bauernhaus gestaltet ist. Nur dass die Stalltüren vorne sind, damit man sie öffnen und den Ton herauslassen konnte. Zehntausend solcher Modelle hat Dual, so berichtet Weisser, verkauft, vor allem in die USA.
Weissers Lieblingsobjekt in der Ausstellung aber ist eine edle englische Grammophontruhe, ganz aus Holz, dem Material, das die Schallschwingungen besonders gut überträgt. Der berühmte Firmenname His Masters Voice steht auch auf der Schellackplatte, die Weisser auf den Teller in der Truhe legt. Ein gewisser Jack Hylton singt "Wedding of the Painted Doll".
Kuriositäten der technischen Entwicklung
Nicht nur Sachen, die sich durchgesetzt haben, sind im Phonomuseum zu sehen, auch Kuriositäten der technischen Entwicklung. Zum Beispiel ein Grammophon, das mit einem Heißluftmotor samt Spiritusbrenner angetrieben wurde – so manches Exemplar dieser Gattung soll in Flammen aufgegangen sein. Oder ein Konzertgrammophon mit zwei parallel stehenden Tonarmen für eine Art Stereowiedergabe. Oder die Schallplatten mit einem halben Meter Durchmesser, die auf dem französischen "System Pathé" abgespielt wurden.
Fast zu kurz kommen bei all diesen Wunderdingen die modernen Plattenspieler, die später von Dual und PE gebaut wurden, als Elektromotoren die Federwerke ablösten. In den späten 60ern wurden von Dual pro Jahr fünf bis acht neue Typen auf den Markt gebracht, eine "Inflation" meint Weisser.
Wer ein Faible für die gute Gestaltung von Geräten hat, für den wird das Phonomuseum zum Designmuseum: Hölzerne Gehäuse und leichtmetallene Tonarme, verschiedene Arten von Schaltern für die Laufgeschwindigkeiten, Stroboskope am Plattentellerrand – alles schön anzusehen. Vor allem wenn man zu den ja wieder zahlreicher werdenden Leuten gehört, die Musik auf Langspielplatten kaufen.
Deutsches Phonomuseum
Adresse: Bärenplatz 1, 78112
St. Georgen, Tel. 07724 /85 99 138
www.deutsches-phono-museum.de
Öffnungszeiten
Mai bis Oktober: Dienstag bis Sonntag 11 bis 17 Uhr, Dezember bis April: Mittwoch bis Sonntag 11 bis 17 Uhr. Eintritt: Erwachsene 5 Euro, Kinder und Jugendliche (ab 7) 2,50 Euro.
Programm
Regelmäßig werden Sonderführungen für Familien (mit Grammophon-Basteln) angeboten.
Für wen?
Historisch Interessierte, Technikbegeisterte, Musikhörer
Auch interessant
Das Heimatmuseum Schwarzes Tor, ebenfalls in St. Georgen, das in einem alten Bauernhaus nicht nur das Leben von einst illustriert, sondern in zwei Räumen auch das heimische Uhrmacherhandwerk. Im Schwarzwaldmuseum in Triberg gibt es eine Saba-Radiosammlung zu sehen.
Einen kleinen Umweg wert
Die Anreise mit der Bahn – von Offenburg aus fährt die legendäre Schwarzwaldbahn nach St. Georgen.
Geheimtipp
Wer nach dem Museumsbesuch Lust auf Schokolade hat, wird in der Genusswerkstatt am Bärenplatz 12 fündig.