"Auf Papier kriege ich es nicht hin"

Wie ein Studierender mit Lese-Rechtschreib-Störung den Hochschulalltag erlebt – und was er sich von Dozierenden wünscht.  

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Etwa vier Prozent aller Studierenden h... das Deutsche Studierendenwerk aus.     | Foto: dpa
Etwa vier Prozent aller Studierenden haben eine Lese-Rechtschreib-Störung – davon geht das Deutsche Studierendenwerk aus. Foto: dpa

Wenn Oli (Name der Redaktion bekannt) einen Satz schreibt, dann fehlen oft ganze Wörter – ohne dass er es merkt. Der 25-Jährige aus Freiburg hat eine Lese-Rechtschreib-Störung. Trotzdem studiert er zwei Sprachen: Französisch und Polnisch. Entdeckt wurde Olis Problem erst kurz vor dem Abitur. Wie studiert es sich mit Legasthenie? Kerstin Ernst hat mit ihm gesprochen.

Fudder: Oli, als Legastheniker hat man Probleme mit dem Lesen und Schreiben: Wie äußert sich das bei Dir?
Oli: Hauptsächlich beim Schreiben. Ich schreibe einen Satz und jemand, oft meine Schwester, liest ihn sich durch – und erkennt die Fehler. Sie fordert mich dann immer wieder auf, den geschriebenen Satz laut vorzulesen, damit ich erkenne, dass dort ein Wort oder Satzteil fehlt. Vorgelesen habe ich die Variante, wie ich sie in meinem Kopf hatte, diese Version ist richtig, stimmt allerdings nicht mit dem überein, was ich geschrieben habe. Im Mündlichen bin ich besser als im Schriftlichen. Wenn ich gezwungen bin, etwas zu schreiben, fällt mir das nicht so leicht, wie zu reden.

Fudder: Warum hast Du Dich entschieden, trotzdem Sprachen zu studieren?
Oli: Es fragen mich viele, warum ich nicht lieber irgendwas mit Zahlen studiere. Meine Leidenschaft ist es seit der Grundschule, Sprachen zu lernen. Ich möchte es mir nicht verbieten lassen, Sprachen zu lernen, nur weil ich mit dem Schreiben Probleme habe.

Fudder: Wo liegen die Schwierigkeiten speziell beim Sprachenstudium für Dich?
Oli: Gerade in Sprach- und Grammatikkursen, wo es um Rechtschreibung und Grammatik geht, habe ich größere Schwierigkeiten. Da ist es auch für viele Dozenten schwer, mich zu bewerten, trotz Berücksichtigung meines Problems. Sie begründen das mit ihren Bewertungskriterien, die sie in dem Kurs einhalten müssen. So etwas ist ärgerlich, denn ich kann ja normal und richtig sprechen, nur auf dem Papier kriege ich es halt nicht hin. In Frankreich hat das in den Übersetzungs-Kursen komischerweise sehr gut funktioniert. Vielleicht lag es an der Umgebung, dass dort alle meine Legasthenie angenommen und berücksichtigt haben.

Fudder: Du warst für ein Auslandssemester in Frankreich. Wie war das dort?
Oli: Dort waren die Leute an der Uni viel offener und zuvorkommender. Da fühlte man sich gleich viel entspannter, weil man so akzeptiert wird. Bei meinem Erasmus-Aufenthalt in Frankreich meinte die Zuständige für Leute mit Handicap, dass ungefähr jeder Dritte damit an die Uni kommt und es viele verschiedene Möglichkeiten an Hilfsmitteln gibt. Hier in Deutschland ist es schwieriger mit dem Nachteilsausgleich, weil der bürokratische Aufwand mit den Anträgen und den Bescheinigungen größer ist. Ich musste bei meinem Antrag in Deutschland zusätzlich zu dem ärztlichen Nachweis auch angeben, welche Probleme ich konkret habe und begründen, welche Hilfsmittel ich brauche. Dann muss ich jedes Semester mit jedem Dozenten von Neuem sprechen und eine Lösung aushandeln. In Frankreich musste man nur den Nachweis vorzeigen und es wurde mit dem oder der Zuständigen individuell besprochen, welche Hilfsmittel man benötigt. Dort durfte ich in der Klausur an einem PC schreiben mit einer Rechtschreibkorrektur, sodass ich meine Fehler selbst erkennen und korrigieren konnte.

Fudder: Jedes Semester musst Du also mit Deinen Dozenten die gleichen Gespräche führen. Wie reagieren die?
Oli: Manchmal habe ich den Eindruck, dass manche Dozenten meinen, ein Legastheniker sollte keine Sprachen studieren. Meine Erfahrungen mit den meisten Dozenten sind aber relativ positiv. Sie gehen offen damit um und sind bemüht, mir zu helfen.

Fudder: Was sagen Deine Kommilitoninnen und Kommilitonen?
Oli: Es gibt immer noch das Vorurteil, dass Legasthenie gleich Dummheit bedeutet. Meine Kommilitoninnen und Kommilitonen gehen aber grundsätzlich positiv damit um. Es wissen aber auch nicht alle davon, hauptsächlich die Dozenten und ein paar enge Freunde. Ich möchte so normal wie möglich behandelt werden und keine Sonderbehandlung. Die meisten Kommilitonen wundern sich bei Klausuren, warum ich länger schreiben darf. Meistens fragen sie aber nicht weiter danach. Manche Freunde meinten zu mir, wenn ich es nicht gesagt hätte, wäre ihnen gar nichts aufgefallen.

Fudder: Du bekommst einen Nachteilsausgleich, der Dir in Klausuren und Hausarbeiten helfen soll: Wie sieht der aus?
Oli: Bei Hausarbeiten habe ich keinen Nachteilsausgleich, weil ich die ja von zu Hause schreiben kann. Bei Klausuren ist zunächst einmal fest geregelt, dass ich mehr Zeit bekomme. Merke ich aber, dass ein Kurs bestimmte Anforderungen hat, die es mir noch schwieriger machen, dann frage ich beim Dozenten nach, ob ich noch mehr Zeit bekomme, um mich besser konzentrieren zu können. Ich bin aber trotzdem immer wieder erleichtert, wenn es eine mündliche Prüfung oder ein Referat gibt – denn reden kann ich.

Fudder: Deine Legasthenie ist lange unentdeckt geblieben. Was hast Du nach der Diagnose gemacht?
Oli: Da wurde mir vorgeschlagen, eine Therapiegruppe zu besuchen. Ich dachte mir: Ich bin jetzt so weit gekommen ohne Hilfe, da brauche ich keine Therapiegruppe, um mir irgendetwas zeigen zu lassen. Ich wollte das selbstständig ohne fremde Hilfe schaffen. Ich habe dann angefangen, viel mehr zu schreiben: Mit Freunden am Handy, viele E-Mails, wie es an der Uni üblich ist, aber auch Texte für die Uni. Irgendwann hat es Klick gemacht und das Schreiben wurde immer besser. Inzwischen sind es meistens nur Wörter, die falsch sind.

Legasthenie im Studium

Menschen mit Lese-Rechtschreib-Störung haben Schwierigkeiten, mündliche Sprache in Schrift oder Geschriebenes in gesprochene Sprache umzuwandeln.
Das kann sehr unterschiedlich aussehen: Betroffene können Probleme mit Rechtschreibung, Satzbau oder Grammatik haben, aber auch Schwierigkeiten beim Lesen. Legasthenie wird oft fehlerhaft mit einer verminderten Intelligenz gleichgesetzt, da viele Legastheniker einen niedrigeren Schulabschluss haben.
Dabei tritt sie auch bei normal und überdurchschnittlich intelligenten Menschen auf. In Deutschland sind laut dem Deutschen Studierendenwerk etwa elf Prozent aller Studierenden von einer studienerschwerenden Beeinträchtigung betroffen.Bei etwa vier Prozent wirkt sich diese Teilleistungsstörung, wie zum Beispiel Legasthenie, besonders studienerschwerend aus, das heißt, die Betroffenen sind mit vielen Schwierigkeiten im Studium konfrontiert und benötigen zusätzliche Hilfe.

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