Aus dem Tagebuch eines Gefangenen

Ein Mitgefangener in der Freiburger Justizvollzugsanstalt überließ einem Zischup-Schüler seine täglichen Aufzeichnungen für einen Artikel.  

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Zelle in der Sicherheitsverwahrung  | Foto: Ingo Schneider
Zelle in der Sicherheitsverwahrung Foto: Ingo Schneider
Es ist 6.45 Uhr, ein Gong ertönt. Der Schlüssel kracht gegen die Außentür: Lebendkontrolle. Nach einer kühlen Begrüßung und einer Blickkontrolle lässt der Bedienstete die schwere Metalltür wieder ins Schloss fallen. Die Nachtruhe ist vorbei, der graue Rauch der ersten Morgenzigarette durchdringt die kleine, spärlich eingerichtete Einmannzelle. Es wird ein langer Tag, ein weiterer Tag wie die Tage zuvor. Und obwohl das schöne Herbstwetter mit den letzten warmen Sonnenstrahlen auftrumpft, bleibt die Stimmung bedrückend.

Das Wasser kocht, der letzte Teelöffel Instantkaffee wird in die Plastiktasse eingerührt. Die Milch ist alle, denke ich, während ich die leere Wand vor mir anstarre. Wie es jetzt wohl meiner kleinen Tochter ergeht. Die Familienverhältnisse sind zerrüttet. Eltern, Geschwister, Freunde. Nichts wird wieder so, wie es einmal war – die Zukunft ist ungewiss. Es ist zehn Uhr, seit nunmehr zwei Stunden vollziehe ich den Zellenrundlauf, vier Schritte zur Tür und vier Schritte zurück zum Deckenfenster, immer und immer wieder, wie ein Tier im Käfig.

Die negativen Gedanken lassen sich nicht abschütteln – ich komme nicht zur Ruhe. Frische Luft – das ist es, denke ich. Ich stelle den Stuhl an die Wand und steige zum Deckenfenster empor. Ein wunderbares Wetter. Beim Betrachten der frühherbstlichen Natur fallen mir die traurigen, blassen Gesichter einiger Mitinsassen hinter den Fenstergittern des Nachbarflügels auf. Man kennt sich, ein flüchtiger Blickkontakt erhellt plötzlich die trübe Stimmung, man winkt sich zu, und gestikuliert miteinander. Solche Momente sind angenehm, man sieht, dass noch jemand da ist. Zwischenzeitlich ist es 11.25 Uhr, in fünf Minuten ist Mittagsaufschluss, ich freue mich schon auf das Mittagessen. Der Gong ertönt, die Zellentüren sind entsperrt, alle Insassen strömen in den Flur.

Es ist soweit, ich treffe heute zum ersten Mal auf Menschen, die Stimmung unter den Gefangenen ist gut, man freut sich, einander zu sehen, man grüßt sich, spricht miteinander. Zwölf Uhr: Mahlzeit, Essensausgabe, Einschluss. Allein zu essen, ist eine Umstellung. Das Mittag- und Abendessen war in meinem früheren Leben ein familiäres Ereignis, heute bleiben nur noch Erinnerungen an die guten, alten Zeiten. Es gibt Spaghetti Bolognese, die Zubereitung ist unsern Anstaltsköchen gut gelungen.

Es ist nun kurz vor zwei Uhr, die erste Freizeit des Tages steht bevor, es sind exakt 40 Minuten. Es ist Zeit, den Gemeinschaftsbesen zu holen und die Zelle auf Vordermann zu bringen. Im Flur herrscht dabei reges Treiben. Plötzlich ist es lebhaft geworden, man hört angeregte Unterhaltungen, Gelächter. Es ist ein sehr gutes Gefühl, von Menschen umgeben zu sein, Menschen zu hören. Ich beeile mich mit dem Aufräumen, es sind nur 25 Minuten von der Freizeit übrig und ich will noch unbedingt eine Partie Backgammon mit meinem Zellennachbarn spielen. Das Spielbrett ist schnell aufgestellt. Lass uns eine Partie spielen, sagt er lächelnd, die paar Minuten Freizeit sind zu kostbar, um sie mit Aufräumen zu vergeuden. Kurz vor Abschluss unserer Partie läutet der Gong, das Klimpern des Schlüsselbundes ist bereits hörbar, nun muss alles schnell gehen, Verspätungen bei der Rückkehr in die Zelle werden bestraft.

Plötzlich herrscht absolute Ruhe, die Stille ist bedrückend, die Stimmung fällt auf den Nullpunkt.Die Einsamkeit und die Wehmut kehren zurück. Es ist 14.40 Uhr, der nächste Aufschluss ist gegen 17.30 Uhr. Die Einsamkeit ist der perfekte Nährboden für negative Gedanken und eine depressive Grundstimmung, es gilt nun, sich abzulenken. Ich beginne meinen erneuten Zellenrundlauf. Die Zeit scheint still zu stehen.

Ich lese die Zeitung vom letzten Samstag noch einmal durch, das bringt Ablenkung. Endlich ist es 17.30 Uhr, das Abendessen wird ausgeteilt, in zehn Minuten ist Hofgang. Für 60 Minuten am Tag werden die Gefangenen in den Hof geführt. Diese Stunde vergeht wie im Fluge, einige Augenblicke später wird das Hofgangende über die Lautsprecher verkündet. Die jetzt kommenden 30 Minuten werden besonders stressig. Auf dem Programm stehen Duschen, Wäschetausch und ein Telefonat mit Ehefrau und Tochter. Für etwa 40 Mann steht ein Duschraum mit vier Duschplätzen zur Verfügung.

Sie teilen sich auch ein Telefon. Heute hatte ich Glück, ich konnte relativ zügig einen Duschplatz ergattern und mit meiner Familie telefonieren – leider nur fünf Minuten. Mit dem Gong wird auch das Gespräch mit meiner Ehefrau am Telefon unterbrochen. Dann folgt der letzte Einschluss. 15 lange Stunden gilt es wieder zu überwinden ...

Es ist 0.20 Uhr. Die Nachtkälte finde ich sehr angenehm, den leichten Regen beruhigend. Ich kann nicht einschlafen, so viele Gedanken gehen mir in meinem Kopf herum. Während ich zu Bett gehe, höre ich aus den Zellenfenstern des Nachbarflügels leise Musik, in vielen Fenstern brennt noch Licht. Für viele Gefangenen wird dies eine weitere schlaflose Nacht werden.

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