Brutalstmögliche Hilfsbereitschaft
SOZIALKOMÖDIE: "Die Kunst der Nächstenliebe".
Nicht ignorieren kann sie aber die neue Sprachlehrerin Elke, an die sie Schüler verliert. Um Punkte zu sammeln, will sie einen zerzausten Taxifahrer dazu bringen, ihren Schützlingen Gratisfahrstunden zu erteilen. "Sie sind eine Bourgeoise und machen auf sozial, ich bin ein Prolo und mache auf Business", sagt Attila. Dass er selbst migrantischer (nämlich ungarischer) Abstammung und also auch irgendwie "Opfer" ist, begreift Isabelle als Möglichkeit, Fördergelder für eine "soziale Fahrschule" lockerzumachen. Mit solch gepfefferten Szenen wird in dieser Tragikomödie das Risiko eingegangen, den Beifall der falschen Seite zu kriegen.
Dank der großartigen Agnès Jaoui gerät die übergriffige Wohltäterin nie zur Karikatur. Man lacht nicht über Isabelle, die tatsächlich ein guter Mensch ist, sondern über die Reaktionen auf ihr passiv-aggressives Verhalten. In der Verzahnung von Privatem und Politischem wird ein munteres, oft albernes Spiel mit kognitiven Dissonanzen und Klischees getrieben. Dann wieder ergeben sich leise, herzzerreißende Momente familiärer Grausamkeit. Letztlich mündet Isabelles Versuch, das wahre Leben im falschen zu führen, in handfesten Pragmatismus: Ist doch egal, ob ihr Weltverbesserertum auch die Kompensation einer Neurose ist, solange sie Gutes bewirkt. Das Erfreulichste an Gilles Legrands Sittenkomödie "Die Kunst der Nächstenliebe" über die Sollbruchstellen des Wohlfahrtsstaates und die Ursachen des Helfersyndroms ist, dass ein Frauencharakter in all seiner Widersprüchlichkeit zur Geltung kommen darf. (Läuft in Freiburg und Titisee-Neustadt, ab 0)
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