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BZ-Interview über den Wahnsinn des Lehreralltags mit dem Kabarettisten Marc Hofmann

Max Schuler
  • Do, 19. Februar 2015
    Denzlingen

"Da lass’ ich den Zyniker von der Leine": Kabarettist Marc Hofmann tritt im Denzlinger Roccafé auf

Marc Hofmann: „Das Schulsystem hat etwas kafkaeskes.“  | Foto: Brit schilling (privat)
Marc Hofmann: „Das Schulsystem hat etwas kafkaeskes.“ Foto: Brit schilling (privat) 

DENZLINGEN. Er ist selbst Lehrer – seine Schauergeschichten über die Zustände an deutschen Gymnasien sind also nicht aus der Luft gegriffen. Der Kabarettist Marc Hofmann kommt mit seinem Programm "Der Klassenfeind – Ein Lehrer im Sog des Irrsinns" nach Denzlingen ins Roccafé. Mit Max Schuler sprach Hofmann über Lügen in der Lehrerausbildung, den Unsinn von Gedichtsinterpretationen und den unterdrückten Wunsch der Lehrer, renitente Schüler mal so richtig anzubrüllen.

BZ: Was ist die größte Lüge, die einem im Lehramtsstudium über den Lehrerberuf aufgetischt wird?
Hofmann: Ich glaube nicht, dass man angelogen wird. Es wird einem nur nicht die ganze Wahrheit erzählt. Im Studium hat man leider nur wenig mit richtigen Lehrern zu tun. Im Grunde lernt man das meiste in den anderthalb Jahren Referendariat, den Rest dann, oft schmerzlich, im späteren Berufsalltag.


BZ:
Was wird denn verschwiegen?
Hofmann: Etwa ein Drittel aller Lehrer gehen zum Beispiel vorzeitig in Pension. Nur wenigen gelingt es, über Jahre mehr Freude als Frust an diesem Beruf zu empfinden.


BZ:
Worin liegen die Gründe?
Hofmann: Das größte Problem ist, dass man da sehr idealistisch reingeht und zu allem ’Ja’ sagt. Nach ein paar Jahren merkt man, dass man den Aufwand so nicht betreiben kann. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Man zieht sich zurück, macht Dienst nach Vorschrift und entwickelt sich zum Zyniker. Oder man macht weiter und wird erst frustriert und dann krank. Das beobachte ich.

BZ:
Sie haben den dritten Weg eingeschlagen und lassen auf der Bühne einfach alles raus.
Hofmann: Genau. Auf der Bühne lass’ ich den Zyniker von der Leine. Die Idee dazu kam im Schulalltag. Da gibt es täglich Situationen, die einem keiner glaubt, der nicht selbst Lehrer ist.

BZ: Was aus Ihrem Programm haben Sie wirklich so erlebt, was ist erfunden?
Hofmann: Ich thematisiere Standardsituationen. Dabei könnte man natürlich alles idealistisch beschreiben, erzählen, was gelingt und den guten Willen dahinter sehen. Doch das lasse ich alles weg. Ich beschreibe, was alles falsch läuft, nicht gelingt oder was ich im subjektiven Empfinden als absurd wahrnehme.

BZ:
Gibt es eine Schülerausrede, bei der Sie ausrasten?
Hofmann: Ich raste nicht mehr aus.

BZ:
Auf der Bühne reagieren Sie doch öfters mal impulsiver.
Hofmann: Auf der Bühne trage ich die Antworten vor, die man in diesen Momenten im Schulalltag gerne geben würde. Da fallen dann auch drastische Worte und Beschimpfungen. Dadurch wird es dann im Idealfall witzig. Für das Publikum. Nicht für den Lehrer.

BZ:
Was war der dreisteste Spickzettel, den Schüler in ihrem Unterricht verwendet haben?
Hofmann: Grundsätzlich ist es witzig, dass die Schüler glauben, man kapiert nichts davon. Die Lehrer sehen eine Menge, ignorieren es aber, weil man sich da nur zum Affen machen kann. Die Frage ist für mich, wie ernst man Klassenarbeiten überhaupt nimmt.

BZ:
Klassenarbeiten bringen nichts?
Hofmann: Die Idee der Klassenarbeit ist ein Abprüfen von eingetrichtertem Wissen, das man reproduziert, am besten auswendig lernt.Was sagt das schon über einen Menschen aus? Das wird ganz deutlich, wenn Schüler in Deutschaufsätzen aus Lektürehilfen zitieren. Da merkt man genau: Das ist weder ihre Sprache, noch haben sie im Ansatz verstanden, was sie da schreiben. Letztlich will der Schüler eine gute Note haben und der Lehrer glaubt, er hat gute Arbeit gemacht, wenn die Schüler, soviel wie möglich auswendig gelernt haben.

BZ:
Was schlagen Sie als Alternative vor?
Hofmann: Dass ein Lehrer seine Wochenenden und Ferien damit verbringt, diese oft dadaistischen Aufsätze zu lesen und eine Zahl darunter zu schreiben ist halt irgendwie praktisch und wird schon immer so gemacht. Man kann den jeweiligen Leistungsstand aber auf viele Arten dokumentieren. Ausführliche schriftliche oder mündliche Rückmeldungen über Stärken und Schwächen scheinen sich hier als nachhaltiger zu erweisen.
BZ: Die 17-jährige Naina hat mit einem Tweet eine Debatte über die deutsche Bildungslandschaft ausgelöst. Sie könne eine Gedichtsanalyse in vier Sprachen schreiben aber keine Steuererklärung ausfüllen. Was halten Sie von der Kritik?
Hofmann: Das unterschreibe ich natürlich sofort. Die Schule thematisiert bestimmte Inhalte viel zu wenig. Das Thema Geld kommt kaum vor und wenn dann nur sehr abstrakt. Die Gedichtsanalyse ist dagegen so was von egal, aber es wurde irgendwann entschieden, sie als Teil unseres Bildungsideals anzusehen. Vielleicht ist es auch systemgewollt, dass man gar nicht will, dass jeder alles kapiert.

BZ:
Ihre Schüler müssen also keine Gedichte interpretieren können.
Hofmann: Persönlich ist mir das egal, aber es ist Teil des Abiturs und darum bereite ich sie darauf vor. Aber natürlich versuche ich den Schülern durch Literatur etwas übers Leben und die Welt beizubringen und sie anzuregen, über Grundfragen nachzudenken.

BZ:
Was wird bei Ihnen im Unterricht gelesen?
Hofmann: Vieles wird leider vorgegeben. Ich habe mich gefreut, als vor einigen Jahren der Prozess von Kafka Abiturthema war. Da konnte man etwas über eine bestimmte Sicht der Welt lernen. Dieses absurde Gefühl, dass man nicht versteht, was vor sich geht. Alle anderen scheinen es aber zu verstehen, was vermutlich aber dann doch nicht der Fall ist. Im Grunde hat dieses ganze Schulsystem auch etwa kafkaeskes an sich. Wenn man als Einzelner diesem Apparat gegenübersteht, verspürt man schon eine gewisse Ohnmacht.

BZ:
An Grundschulen herrscht ein Mangel an männlichen Lehren. Was bedeutet das für die Entwicklung der Kinder?
Hofmann: Es gibt ein paar Tendenzen, die bei Jungs deutlicher sind als bei Mädchen. Schwierigkeiten mit dem ruhigen Sitzenbleiben, sich auf ein Thema konzentrieren und strukturiert denken zu können. Was genau Ursache und Wirkung ist, kann ich nicht sagen. Ein Aspekt, der da mit rein kommt, ist aber, dass die Jungs zu wenig männliche Bezugspersonen haben. Die vielen Frauen, mit denen sie zu tun haben, durchschauen nicht ganz, was die Jungs bräuchten: nämlich rumrennen, Fußball spielen und sich mal spielerisch fünf Minuten kloppen. Ein Mann könnte die Jungs da besser verstehen. Andererseits merke ich als männlicher Lehrer, dass mir pubertierende Mädchen als Lebensform völlig fremd sind.

BZ:
Trotz der Erfahrungen, die Sie gemacht haben: Sind Sie gerne Lehrer?
Hofmann: Ich bin total gerne Lehrer. Es ist nach wie vor der ideale Beruf für mich. Ich bin froh, dass ich nicht verkaufen muss, dass ich nicht bewertet werde nach Bilanzen. Ich bin froh, dass ich auf eine andere Art widergespiegelt bekomme, wie erfolgreich ich in meinem Beruf bin. Zudem habe ich etwas Oberlehrerhaftes in meinem Charakter und bin froh, dass ich das nicht nur an meiner Frau und meiner Tochter auslassen muss.

Info: Marc Hofmann tritt am Samstag, 21. Februar, um 20 Uhr im Roccafé in Denzlingen auf. Er präsentiert eine Mischung aus Lesung, Musik und Kabarett: "Der Klassenfeind: Ein Lehrer im Sog des Irrsinns". Karten gibt es im Vorverkauf für 13 Euro pro Stück bei Schreibwaren Markstahler und im Roccafé.

ZUR PERSON: MARC HOFMANN

Marc Hofmann stammt aus dem Markgräflerland ist 42 Jahre alt und unterrichtet Englisch und Deutsch am Kolleg St. Sebastian, einem katholischen Privatgymnasium in Stegen. Außerdem bildet er Referendare aus am Seminar für Lehrerbildung in Freiburg. Zudem ist er Kabarettist und spielt in der Band "Die Ständige Vertretung". Er ist verheiratet und hat eine siebenjährige Tochter.

Ressort: Denzlingen

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 19. Februar 2015: PDF-Version herunterladen

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