Gericht
BZ-Leser erhalten Einblicke in die Arbeit der Lörracher Justiz
Wie arbeitet das Lörracher Amtsgericht? Darüber informierte die stellvertretende Direktorin Birgitta Stückrath bei einer BZ-Hautnah-Veranstaltung. Und einer echte Verhandlung gab es auch zu sehen.
Mi, 29. Okt 2025, 8:00 Uhr
Lörrach
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Die Reihe BZ-Hautnah führte rund 30 interessierte Leserinnen und Leser am Montag ins Amtsgericht Lörrach. Dort gab die stellvertretende Direktorin Birgitta Stückrath Einblicke in den Alltag des Gerichts. Gleich zu Beginn wies Stückrath darauf hin, dass das Beiwohnen einer Gerichtsverhandlung kein Privileg darstellt. Sie lud die Teilnehmer dazu ein, öfter mal vorbeizuschauen. Denn verhandelt wird bei erwachsenen Angeklagten in aller Regel öffentlich. Anhand der täglichen Sitzungsliste könnten sich Interessierte morgens eine oder mehrere Verhandlungen aussuchen, die sie besuchen wollen. Doch müssten sie damit leben, dass hin und wieder ein Prozess ausfällt. Das war auch am Montag der Fall. Länger als vorgesehen kamen die BZ-Leserinnen und -leser deshalb in den Genuss einer Einführung durch die stellvertretende Direktorin, die viele Einblicke in die Strukturen rund ums Amtsgericht gab.
Die Cannabislegalisierung ist unter Juristen umstritten
Eine echte Umstellung für Richter und Schöffen, Anwälte und Staatsanwälte war ihr zufolge die Cannabislegalisierung. Bei Weitem nicht alle Berufs- und Laienrichter fanden diesen Schritt begrüßenswert. Auch Stückrath war kein Fan einer Legalisierung, sie verwies auf Psychosen, die durch Cannabiskonsum ausgelöst werden könnten. Doch maßgeblich für ein Urteil sei der gesetzlich vorgegebene Strafrahmen, und an den müssten sich nun eben alle halten, ob sie das gerecht finden oder nicht. Auf ein Drittel seien die Strafen in diesem Bereich zurückgegangen. Und auch der früher obligatorische Eintrag ins Strafregister bis zum 24. Lebensjahr, wenn sich ein Jugendlicher mal beim Partykonsum erwischen ließ, fällt nun weg.
Manchmal könnten Einsicht und der aufrichtige Wunsch, die eigene Tat so weit wie möglich wiedergutzumachen, bei der Urteilsfindung viel bewirken, sagte die Richterin. So sei es bei dem Porschefahrer aus der Schweiz gewesen, der im August 2023 auf der A5 in Richtung Freiburg auf der Überholspur mit 240 Stundenkilometern ein vorausfahrendes Auto rammte, das nur halb so schnell fuhr. Der lokal sehr bekannte Fordfahrer starb bei dem Aufprall. Dennoch kam der Porsche-Fahrer mit einer Bewährungsstrafe davon. Seine als aufrichtig empfundene Reue und die Bereitschaft, hohe Entschädigungen an die Hinterbliebenen zu zahlen, seien für dieses Urteil ausschlaggebend gewesen, erklärte Stückrath. Ein persönlicher Eindruck, der vor Gericht entstanden sei. Nach dem öffentlichen Aufschrei zu urteilen, habe dies nicht jeder nachvollziehen können.
Die Juristin sprach von Veränderungen innerhalb der Gesellschaft, die das Strafrecht beeinflussen. So würden Delikte wie Körperverletzung oder Missbrauch mit ihren psychischen Folgen für das Opfer mittlerweile höher bewertet als Eigentumsdelikte. Doch innerhalb des vorgesehenen Strafrahmens kann die Rechtsprechung sehr unterschiedlich aussehen, abhängig von der Richterpersönlichkeit, aber auch von der Rechtsprechungspraxis an den einzelnen Gerichten. In Lörrach würden beispielsweise sehr milde Urteile verhängt.
Es ist Zufall, welcher Angeklagter welchen Richter zugeordnet bekommt
Dies führte die Gruppe zur Gerechtigkeitsfrage. So werde ein Urteil ja zum Glücksspiel, meinte eine Teilnehmerin. Stückrath sprach von einem großen richterlichen Ermessensspielraum innerhalb des Strafrahmens, der eben hinzunehmen sei. Dabei sei es Zufall, wer welchen Richter zugeordnet bekommt, ergänzte Lex auf Nachfrage. Ablehnen könne ein Angeklagter den Vorsitzenden nur dann, wenn Grund zur Annahme einer Befangenheit besteht. Im Umkehrschluss sei dies aber auch gewollt. Denn durch das Zufallsprinzip würden bestimmten Angeklagten auch keine besonders strengen Richter zugeordnet – etwa aus politischen Beweggründen.
"Wann kann eine Nebenklage sinnvoll sein?", wurde Stückrath gefragt. "Die Nebenkläger erhalten Akteneinsicht, können im Prozess Fragen stellen und sogar Rechtsmittel gegen ein Urteil einlegen", erklärte die Juristin. Und schließlich ging es noch darum, warum das Amtsgericht keine schärfere Einlasskontrolle habe. Es gebe fünf Wachtmeister, die bei Konflikten eingreifen, und punktuelle Kontrollen, erklärte Lex. Stückrath verband diese Nachfrage mit einer Forderung nach mehr Geld für mehr Sicherheit im Amtsgerichtsgebäude.
Bei der nachfolgenden Verhandlung ging es um einen 27-jährigen Mann, der seine jüngeren Brüder geschlagen haben soll. Hintergrund des Konflikts war die Arbeitslosigkeit der Jüngeren. Der Ältere fühlte sich hier offenbar in der Verantwortung, und im Verlauf eines heftigen Streits kam es auch zu Tätlichkeiten. Der Angeklagte und einer seiner Brüder wurden dazu ausführlich befragt. In einigen, jedoch nicht in allen Punkten stimmten die Aussagen überein. Weil der Angeklagte nicht vorbestraft war und der Grad der Körperverletzung mit einem Rempler in die Rippen und dem Tippen auf die Stirn im untersten Gewaltbereich anzusiedeln sei, so Lex, wurde das Verfahren schließlich eingestellt. Trotz seiner ehrenwerten Motive solle er in Zukunft von Beleidigungen, Bedrohungen und Tätlichkeiten Abstand nehmen, ermahnte der Richter den Angeklagten, der sich sehr einsichtig zeigte.
"So viel Aufwand für einen Familienstreit?" Diese Frage stand am Ende im Raum. Vermutlich sei schon, bevor die Anzeige gestellt wurde, viel passiert, erklärte der Richter. Durch die Hauptverhandlung sei der Angeklagte ins Nachdenken über sein Verhalten gekommen. Auch sei die Familie keine rechtsfreie Zone, und es wäre falsch zu sagen: "Dann schlagt euch halt." "Eine Körperverletzung ist auch innerhalb der Familie nicht in Ordnung. Es ist eine Straftat und dafür sind wir da", bekräftigte die Staatsanwältin, die sich am Ende ebenfalls mit der Einstellung des Verfahrens einverstanden erklärte.
