Calvin auf der Flucht

ZISCHUP-BUCHTIPP: "Sommer unter schwarzen Flügeln".  

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Stellen Sie sich einen Jungen vor. Achtzehn Jahre alt. Der Junge ist nicht dick, denken Sie, aber auch nicht dünn. Er ist nicht groß, aber auch nicht klein – Durchschnitt halt. Dann jedoch schauen Sie ihm ins Gesicht. Kalte, starre Augen sehen sie an. Die Haare sind kurz rasiert, wie beim Militär. Sie zucken leicht und wenden den Blick wieder nach unten. Da entdecken Sie das Tattoo. Ein Kreuz, genauer gesagt – ein Hakenkreuz. Sie bemerken weitere Einzelheiten. Dass der CONSDAPLE-Schriftzug auf seinem Pullover aussieht wie NSDAP, weil die schwarze Bomberjacke wie zufällig die ersten und letzten Buchstaben verdeckt.

Das ist Calvin Lüttke, Förderschulabschluss, Schweißerlehrling, Eltern arbeitslos, Mitglied einer Neonazigruppe. Dass seine Eltern keine Arbeit haben, daran sind die Flüchtlinge schuld. Dass er keine bessere Ausbildung bekommen hat – auch die Flüchtlinge. Dann ist da noch Nura Aljafari, intelligent, unscheinbar, hübsch – und seit zwei Jahren auf der Flucht aus Syrien.

Unterschiedlicher können Menschen nicht sein. Nura erzählt ihm ihre Geschichte – von ihrem Leben in Syrien, von dem ersten Traum mit den schwarzen Flügeln, von der Flucht, von ihren Freunden, die noch dort sind. Und Calvin kann sich der von ihr ausgehenden Faszination nicht entziehen, obwohl er ihr nicht glauben will. Ihr nicht glauben kann. Denn für Calvins Freunde ist Nura eine nichtsnutzige Betrügerin, die dringend weg muss. Und Calvin muss mitmachen, denn ein Ausstieg aus der rechten Szene ist schwer und gewalttätig. Kann er den Plan seiner ehemaligen Freunde doch verhindern? Hat seine Liebe zu Nura eine Chance? "Sommer unter Schwarzen Flügeln" ist ein sehr aktueller, gut recherchierter Roman zum Syrienkrieg und zu Flüchtlingen. Peer Martin hat es geschafft, Calvins rechte Position glaubwürdig zu machen, ihn trotz seiner anfänglichen Position zu mögen. Und auch Nuras Geschichte wird spannend erzählt, in vielen kleinen Abschnitten, wie eine Geschichte in einer Geschichte. Wenn man bei diesem Roman überhaupt von einer Geschichte reden kann. Eigentlich ist es eine Art Reportage, detailliert und ausführlich, und trotzdem emotional und realistisch. Der Roman zeigt, dass sich hinter den Zahlen auch Menschen verbergen, Menschen, ihre Geschichten und ihr Schicksal.
Jedes Kapitel beginnt mit einem aktuellen Zitat zu Flüchtlingen und endet mit ein paar Ideen für eine Internetrecherche, um Hintergrundwissen zu erfahren. Die Zitate sind beeindruckend, da sie eine direkte Verbindung zur Realität darstellen. Teils sind es Auszüge aus dem Wahlprogramm der AfD oder von führenden AfD-Politikern, teils Überschriften von Zeitungsartikeln, teils andere Zitate.

Dass das Buch lesenswert ist, zeigen auch die zahlreichen Preise, die es gewonnen hat, wie der Jugendbuchpreis Friedolin 2015, der Deutsche Literaturjugendpreis 2016, der Jugendbuchpreis Eselsohr 2015 sowie eine Auszeichnung der Leipziger Jugend-Literatur-Jury als Favorit 2016. Der Roman ist nicht nur für Jugendliche geeignet, sondern auch für Erwachsene.

Der einzige Nachteil an dem 500 Seiten starken Buch ist, dass es es nur als gebundene Ausgabe gibt, die natürlich teurer ist. "Wer dieses Buch liest, wird die Welt mit anderen Augen sehen", kündigt der Klappentext an. Und diese Ankündigung stimmt.

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