Steuerskandal
Cum-Ex-Chefermittlerin Brorhilker ist enttäuscht vom mangelnden Aufklärungswillen und wirft hin
Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker kündigt ihren Job und wird Geschäftsführerin einer Nichtregierungsorganisation. Dort will sie den Kampf gegen die Wirtschaftskriminalität fortführen.
Frank Christiansen & Alexander Sturm
Mo, 22. Apr 2024, 22:00 Uhr
Deutschland
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Elf Jahre nach Bekanntwerden der ersten Cum-Ex-Fälle habe die Politik noch immer nicht hinreichend reagiert. Steuerdiebstähle seien längst nicht gestoppt, es gebe Cum-Ex-Nachfolgemodelle. Es werde nicht kontrolliert, was bei Banken und auf den Aktienmärkten geschehe. Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker hat sich mit ihrer Kritik an der politischen Aufarbeitung des milliardenschweren Steuerskandals nicht zurückgehalten, als sie ihre Kündigung bekannt gegeben hat. Sie sprach sich auch für mehr Personal in der Strafverfolgung und für eine zentrale bundesweite Behörde zur Bekämpfung von Finanzkriminalität aus. Nach Resignation hört sich das nicht an.
Die Kündigung aber kam überraschend. Brorhilker habe um ihre Entlassung aus dem Beamtenverhältnis gebeten, sagte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Köln am Montag. Die Oberstaatsanwältin nahm eine zentrale Rolle bei der Verfolgung von Cum-Ex-Steuerbetrügern ein. Zu Brorhilkers Gründen äußerte sich die Behörde nicht.
Dem WDR sagte Brorhilker: "Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, gerade im Bereich von Wirtschaftskriminalität, aber ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird." Dies lasse sich in einem Satz zusammenfassen: "Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen."
Der Schaden beläuft sich auf einen geschätzten zweistelligen Milliardenbetrag
In rund 120 Cum-Ex-Ermittlungsverfahren wurde in Köln unter Brorhilkers Führung gegen 1700 Beschuldigte ermittelt, die Staatsanwaltschaft ist federführend bei der Aufarbeitung des Skandals.
Durch den Cum-Ex-Betrug mit illegalen Aktiendeals, der seine Hochphase von 2006 bis 2011 hatte, wurde der Staat geschätzt um einen zweistelligen Milliardenbetrag geprellt. Er gilt als größter Steuerskandal der Bundesrepublik. Dabei wurden Papiere mit ("cum") und ohne ("ex") Dividendenansprüche in kurzer Zeit zwischen Finanzakteuren hin- und hergeschoben. Am Ende erstattete der Fiskus Banken, Aktienhändlern und Beratern unwissentlich Kapitalertragssteuern, die gar nicht gezahlt worden waren. Erst mit einer im Januar 2012 greifenden Gesetzesänderung wurde diesen Deals ein Riegel vorgeschoben.
Brorhilker engagiert sich jetzt in der Bürgerbewegung Finanzwende
Inzwischen wurden einige Täter verurteilt, darunter der Steueranwalt und Cum-Ex-Architekt Hanno Berger zu acht Jahren Haft sowie Ex-Beschäftigte der Maple Bank. Ein früherer Staranwalt der Großkanzlei Freshfields musste ferner wegen Beihilfe zur schweren Steuerhinterziehung ins Gefängnis. Vor Gericht steht zudem der Warburg-Bankier Christian Olearius.
Brorhilker kündigte gegenüber dem WDR an, sich künftig als Geschäftsführerin der Nichtregierungsorganisation "Bürgerbewegung Finanzwende" für den Kampf gegen Finanzkriminalität einsetzen zu wollen. Es gehe ihr darum, das Übel an der Wurzel zu fassen zu bekommen. "Der Wechsel von Anne Brorhilker zu Finanzwende ist eine Kampfansage an Finanzkriminelle und ihre Unterstützer", sagte Finanzwende-Vorstand Gerhard Schick.
Der Cum-Ex-Skandal ist noch immer nicht umfassend strafrechtlich aufgearbeitet – Lücken gibt es etwa bei der Rolle namhafter Großbanken und früherer Landesbanken wie der WestLB. Noch mehr Geld als mit Cum-Ex entging dem Staat bei Cum-Cum-Deals, die weiter verbreitet waren und kaum aufgearbeitet sind. Der Mannheimer Finanzwissenschaftler Christoph Spengel schätzt den Steuerschaden zwischen 2000 und 2020 auf 28,5 Milliarden Euro.
"Täter mit viel Geld und guten Kontakten treffen auf eine schwach aufgestellte Justiz und können sich aus diesen Verfahren schlicht herauskaufen", sagte Brorhilker. Sie sprach sich dagegen aus, die Verfahren im Wege von Vergleichen zu beenden, um den Aufwand für die Justiz zu reduzieren. Dabei bekäme der Staat oft nicht einmal die Hälfte der Summe, die ihm zustehe.
Nach einem Gespräch mit Brorhilker schuf das Ministerium vier neue Stellen
NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) hatte im Herbst versucht, tiefgreifende Veränderungen bei der Staatsanwaltschaft Köln durchzusetzen, die auf breite Kritik gestoßen und als Entmachtung Brorhilkers verstanden worden waren. Limbach hatte argumentiert, es gehe nicht darum, sondern um eine Entlastung und Beschleunigung, damit die zahlreichen noch anhängigen Verfahren nicht verjähren. Der Minister gab sein Vorhaben schließlich auf.
Grund für ihr Ausscheiden sei nicht dieser Streit gewesen, sagte Brorhilker dem WDR: "Ich war über die Pläne, meine Hauptabteilung aufzuspalten, schon sehr überrascht." Inzwischen habe es aber gute Gespräche gegeben – und das Ministerium habe vier weitere Stellen geschaffen.
Die Gefahr, dass die Ermittlung mit ihrem Ausscheiden ins Stocken geraten könnte, sehe sie nicht. "Es sind vier Abteilungen gegründet worden mit vier Abteilungsleitern. Deswegen sind wir gut aufgestellt und ich finde, meine Kollegen machen eine hervorragende Arbeit", sagte sie.
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