Parteitag in Peking

Das alte China muss abdanken

Die Szene hat Symbolkraft: Bei der Abschlusszeremonie des Pekinger Parteitags wurde Ex-Präsident Hu Jintao von der Bühne verwiesen – eine öffentliche Demütigung.  

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Szene für die Geschichtsbücher: Hu Jin...aats- und Parteichef Xi (l.) sieht zu.  | Foto: - (dpa)
Szene für die Geschichtsbücher: Hu Jintao wird des Saales verwiesen, Staats- und Parteichef Xi (l.) sieht zu. Foto: - (dpa)
Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping festigte am Wochenende seine Position als mächtigster Führer seines Landes seit Staatsgründer Mao Zedong. Für seine dritte Amtszeit hat er ausschließlich Gefolgsmänner um sich geschart.

In China wurden die Aufnahmen sofort von den Zensoren gelöscht, doch außerhalb der Volksrepublik dürften sie in die Geschichtsbücher eingehen. Bei der Abschlusszeremonie des Pekinger Parteitags, kurz nachdem die internationale Presse in der oberen Zuschauertribüne der Großen Halle des Volkes Platz genommen hat, wurde Hu Jintao von einem Ordner des Saales verwiesen. Der 79-Jährige, dem seine tiefe Abneigung ins greise Gesicht geschrieben stand, wehrte sich, wollte offensichtlich nicht gehen. Als er unter Zwang hinauschauffiert wurde, versuchte er sich noch mit seiner linken Hand an der Schulter Xi Jinpings zu halten, doch der schaute auf den Boden.

Was genau die Gründe für die öffentliche Demütigung waren, wird die Weltöffentlichkeit angesichts der Verschlossenheit des chinesischen Führungszirkels wohl nie erfahren. Doch man kommt nicht umhin, die Symbolik der Bilder von Samstagvormittag als Beginn einer neuen Ära zu deuten: Die alte Volksrepublik der Nullerjahre, verkörpert durch Hu Jintao, muss abtreten, um Platz für das neue China unter Alleinherrscher Xi zu machen.

Die offizielle Version der Staatsmedien für Hu Jintaos Abgang führt dessen schlechte Gesundheit an. Dabei hat die Nachrichtenagentur Xinhua jene Information nur auf seinem englischsprachigen Dienst auf Twitter geteilt – einer Plattform, die im Reich der Mitte gesperrt ist. Für die 1,4 Milliarden Chinesen ist das Thema also Tabu. Zudem erklärt diese These nicht, warum Hu Jintao auf solch’ erniedrigende Weise abgeführt wurde. Niemand drehte sich nach ihm um, keiner wünschte ihm eine rasche Genesung.

Nicht wenige Beobachter vermuten, dass es sich um eine bewusst inszenierte öffentliche Demütigung des Vorgängers von Xi Jinping gehandelt haben könnte – absichtlich erst dann ausgeführt, als die Korrespondenten den Saal betreten hatten. Schließlich hatte Xi bei seiner Eröffnungsrede ausgebreitet, an welch’ drastischen Problem die Partei vor seinem Amtsantritt – zu Zeiten Hu Jintaos – gekrankt habe. Andere vermuten hingegen, dass Hu die umstrittene dritte Amtszeit Xi Jinpings nicht ohne Kritik dulden wollte – und deshalb unter Zwang gehen musste.

So oder so: Für eine Veranstaltung, bei der selbst die Abstände der Teetassen auf den Tischen der Delegierten zentimetergenau durchchoreographiert ist, waren die Ereignisse außerordentlich ungewöhnlich. "Das war nicht nur ein Abschied von Hu Jintao, sondern auch von 43 Jahren Reformpolitik", kommentiert ein chinesischer User auf Youtube.

In der Tat scheint die einstige wirtschaftliche Öffnung, die 1979 unter Deng Xiaoping begann, ein Ende zu finden. Deng hatte nicht nur die Marktwirtschaft ins Land gelassen, sondern auch eine bahnbrechende Amtszeitbegrenzung auf zehn Jahre bestimmt. Damit sollte verhindert werden, dass sich die tragische Geschichte Chinas wiederholt: Nach dem jähen Fall von Staatsgründer Mao Zedong, der das Land in politisches Chaos stürzte, wollte man keinem Generalsekretär mehr solche unantastbare Macht und exzessiven Persönlichkeitskult zugestehen.

Hu Jintao verkörperte eine Mischung aus wirtschaftlicher Liberalität und politischem Konservatismus. Damals durfte auf Universitäten noch vergleichsweise frei debattiert werden, und auch die Wirtschaft wuchs im zweistelligen Prozentbereich. Gleichzeitig wucherte die Korruption. Dennoch wusste Hu, der weniger Wert auf Persönlichkeitskult denn auf Konsenspolitik legte, seine Macht hintanzustellen: Vor zehn Jahren legte er freiwillig all seine politischen Ämter nieder, um den Weg für seinen Nachfolger Xi freizumachen. Dieser sitzt nun, nach zwei Amtszeiten, fester im Sattel denn je.

Der Weg für seine dritte Amtszeit ist wegen des Bruchs der Regeln frei, der 69-Jährige kann Präsident auf Lebenszeit bleiben. Im mächtigen Ständigen Ausschuss sitzen nur noch enge Verbündete Xis – allen voran Li Qiang (63). Er dürfte im März Regierungschef werden – jener Mann, der wegen des zweimonatigen, harten Corona-Lockdowns in Shanghai in die Kritik geraten war.

Als einer der ersten gratulierte Russlands Präsident Wladimir Putin Xi zu dessen Wiederwahl und lobte seine "große Autorität". Gerade vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow, wo laut Xi Jinping "niemand Manns genug" war, den Untergang zu verhindern, glaubt der Parteichef in Peking an die Notwendigkeit einer starken Führung.

Ausländische China-Experten warnten einhellig, dass noch mehr Ideologie statt Pragmatismus, mehr Abschottung statt Globalisierung und weniger Widerspruch oder interne Debatten zu erwarten seien, weil vor allem Loyalität gefordert werde.
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