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Expedition ins Eis

Polarforscher: "Die Arktis ist kein Platz für Helden"

Stephanie Streif

Von

Sa, 01. Februar 2020 um 05:06 Uhr

Panorama

Das Forschungsschiff Polarstern ist vor vier Monaten in See gestochen. Jetzt liegt es festgefroren in der Arktis. Worum es bei der Expedition geht, erklärt der Polarforscher Benjamin Rabe.

Das festgefrorene Forschungsschiff Polarstern. Foto: LUKAS PIOTROWSKI
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BZ: Sie haben Ihr Schiff an einer großen Eisscholle festfrieren lassen, auf der eine ganze Forschungsstation aufgebaut wurde. Wo genau liegt diese Eisscholle?
Rabe:
Die Polarstern driftet mit der Eisscholle durch das Nordpolarmeer, so dass sich unsere Position laufend ändert. Dies allerdings nicht allzu schnell, denn unsere durchschnittliche Geschwindigkeit betrug beispielsweise im letzen Monat nur sieben Stundenkilometer pro Tag. Mitte Januar befanden wir uns auf 87 Grad und 27 Sekunden Nord und 103 Grad und 50 Sekunden Ost. Der nächste Ort ist eine russische Militärbasis auf der Inselgruppe Franz-Josef-Land und ist etwa 500 Seemeilen entfernt. Das entsprich etwa 926 Kilometer.

BZ: Sie sind nicht alleine auf der Polarstern. Wie groß ist Ihr Forscherteam?
Rabe: Wir sind 62 sogenannte wissenschaftliche Fahrtteilnehmende, dazu zählen neben den Forschern beispielsweise auch die Logistik-Crew mit den Eisbärenwächtern, das Helikopterteam, Datenfachleute, das Medienteam und der Wetterdienst. Außerdem unterstützen die 38 Besatzungsmitglieder der Polarstern die Forschungsarbeiten. Die Forscherinnen und Forscher kommen aus vielen Ländern: Neben Menschen aus Deutschland, der Schweiz, Norwegen, Schweden, Dänemark sind auch Forscher aus Russland, den USA und sogar zwei Australier dabei. Es gibt fünf Forschungsschwerpunkte: Die Atmosphäre, das Meereis und dessen Schneeauflage, die Physik des Ozeans, das Ökosystem und die Biogeochemie.

BZ: Wie sieht es auf Ihrer Scholle aus? Scheint dort oben überhaupt noch die Sonne?
Rabe:
Wir befinden uns ja derzeit auf dem zweiten von insgesamt sechs Fahrtabschnitten unserer Expedition, der sogenannten Mosaic-Expedition. Mitte Dezember sind wir an der Scholle angekommen. Die Sonne haben wir jedoch schon seit Beginn unserer Anreise Ende November im nordnorwegischen Tromsø nicht mehr gesehen, denn hier herrscht Polarnacht. Daher kennen wir die Mosaic-Scholle auch nur im Dunkeln. Gerade letzte Woche hatten wir aber Vollmond, und wir konnten uns viel besser orientieren als zuvor. Einige der Stationen, die wir auf der Scholle aufgebaut haben, sind mit Scheinwerfern ausgestattet, außerdem nutzen wir die Suchscheinwerfer der Polarstern, um uns zu orientieren. Noch wertvoller, wenn auch schwieriger zu lesen, sind das Schiffsradar und wissenschaftliche Aufnahmen von sogenannten Laser-Scannern, die uns Bilder vom Meereis, den Rissen und Presseisrücken aus der Luft zeigen. Wir können das Eis sogar von der Unterseite anschauen: Ein Unterwasserroboter taucht unter das Eis, um dessen Beschaffenheit aufzuzeichnen. Der Vollmond hat uns vor allem geholfen, die Wege zu den einzelnen Forschungsstationen zu finden. Denn die Eisscholle verändert sich immer wieder, weil das Eis an einigen auseinander bricht und sich an anderen wieder übereinander schiebt. So kann ein Weg von einem Tag zum nächsten plötzlich verschwinden, weil übereinander geschobenes Eis ihn versperrt. Das Eis hat auch schon Kabel unter sich begraben. Die Kabel versorgen die Stationen auf dem Eis mit Strom und übertragen die Forschungsdaten zur Polarstern. Die mussten wir dann wieder ausgraben oder ersetzen.

BZ: Und wie kalt ist es?
Rabe: Derzeit sind es minus 27 Grad Celsius, durch den Wind, der mit einer Geschwindigkeit von gut zehn Meter pro Sekunde bläst, beträgt die Windchill-Temperatur 42,7 Grad unter null. Letztere ist für uns Menschen entscheidender, denn der Wind kühlt uns arg aus, wenn wir längere Zeit draußen arbeiten. Die kälteste Temperatur, die wir bisher erlebt haben, war minus 35 Grad. Das Wasser dagegen ist nahe am Gefrierpunkt, bei Salzwasser ist das etwas wärmer als minus zwei Grad Celsius. Das ist um einiges wärmer als die Luft, allerdings sind Luft und Wasser nur selten durch große Risse im Eis in Kontakt, da Luft und Wasser meist durch das Eis und den Schnee voneinander isoliert sind.

BZ: Was genau erforschen Sie? Und wie sieht Ihr Arbeitstag aus?
Rabe: Die fünf Forschungsteams arbeiten eng zusammen, weil wir den Arktischen Ozean mit allen Facetten von der Atmosphäre über das Eis bis in den Ozean mit seinen Tieren und Pflanzen erforschen wollen.
Ein typischer Arbeitsalltag beginnt mit dem Frühstück um halb acht, dann bereiten wir uns auf die Forschung vor. Wer draußen auf dem Eis arbeiten möchte, trifft sich um halb neun im Hörsaal, um die aktuellen Bedingungen zu besprechen – wie Temperatur, Wind, irgendwelche neuen Risse oder Pressendrücken. Dann geht es ab neun Uhr in Kleingruppen raus aufs Eis, wobei jede Gruppe von einem Eisbärwächter begleitet wird. Letztere werden von zusätzlichen Personen unterstützt: Am Heck der Polarstern, also hinten, hält ein professioneller Eisbärwächter Ausschau, und auch auf der Brücke passt ein professioneller Eisbärwächter auf und kümmert sich außerdem um den Funkverkehr. Er wird von einem Wissenschaftler unterstützt, der ebenfalls nach Bären schaut. Auf dem Eis nehmen die Forscher Eis- oder Schneeproben, messen Salzgehalt, Temperatur und Wasserströmung im Ozean oder lesen ihre Daten aus automatisch aufzeichnenden Messgeräten aus, die den Wind, die Temperatur oder auch Partikel in der Luft messen. Gegen halb zwölf sind fast alle wieder auf dem Schiff, denn dann gibt es Mittagessen, und man kann sich aufwärmen. Ab ein Uhr geht es dann wieder aufs Eis, manchmal mit einer Pause zur Kaffeezeit, manchmal aber auch durchgehend bis halb sechs. Das ist dann die Zeit fürs Abendessen. Um halb sieben Uhr abends gibt es dann ein Treffen aller Forscher, in dem der Fortschritt der Expedition vorgestellt wird, es einen Wetterbericht gibt und die Pläne für den kommenden Tag besprochen werden. Im Anschluss müssen noch die Daten des Tages gesichtet und gesichert werden, und an manchen Abenden gibt es gemeinsame Aktionen wie wissenschaftliche Vorträge samstags, Kinoabend mit Dokumentationen und anschließender Diskussion am Sonntag und jeden Mittwoch den sogenannten Ski- und Wanderclub Nordpol. Der Name ist bereits auf der Anreise entstanden, weil wir gehofft haben, den Nordpol zu erreichen. Es sieht aber nicht so aus, als würde das passieren, denn die Eisdrift führt uns vermutlich am Pol vorbei.

BZ: Müssen Sie zum Forschen auch raus? Und was ziehen Sie sich an, damit Sie nicht frieren?
Rabe: Viele Forscher arbeiten draußen auf der Eisscholle. Wir kleiden uns in Schichten, damit wir die Klamotten bei Bedarf der Arbeit anpassen können. Denn wenn man beispielsweise mit einer Handpumpe Wasserproben pumpt, kann es in zu dicken Klamotten ganz schön warm werden. Die erste Schicht ist lange Funktionsunterwäsche, darüber gibt es dann eine Latzhose aus Fleece und eine Fleecejacke. Einige tragen zusätzlich eine Daunenweste. Das Wichtigste ist ein Einzug, der Auftrieb hat, der im Falle eines Ins-Wasser-Fallens dafür sorgt, dass man nicht durch nasse, schwere Klamotten nach unten gezogen wird. Wichtig ist der Schutz des restlichen Körpers: Es gibt ein paar dünne Handschuhe zum Unterziehen und dann je nach anstehender Arbeit Arbeit- oder normale gefütterte Fingerhandschuhe. Zusätzlich haben wir super warme Fäustlinge dabei, die wir immer wieder zwischendurch überstreifen, wenn wir nicht mit den Händen arbeiten müssen. Manche haben auch Handwärmer dabei, denn die Finger werden bei unter minus 30 Grad Celsius wirklich schnell kalt. Auch das Gesicht schützen wir mit einer Gesichtsmaske, darüber kommt eine dicke Mütze und zusätzlich die Kapuze. Die freie Partie um die Augen wird entweder mit spezieller Kältesalbe eingecremt oder mit einer Skibrille geschützt.

BZ: Ist Ihre Arbeit gefährlich?
Rabe: Die Arktis ist kein Platz für Helden, so lautet ein Spruch, der immer wieder fällt. Wir sind ja von jeder Hilfe von außen weit entfernt, so dass wir besonders vorsichtig sind. Besondere Vorkehrungen haben wir getroffen, um uns vor Eisbären zu schützen. Bisher haben wir auf unserem zweiten MOSAiC-Expeditionsabschnitt jedoch noch keinen Eisbären in unserer Nähe gehabt. Auf dem ersten Abschnitt gab es aber neun Begegnungen mit Eisbären, so dass wir weiter Vorsicht walten lassen.

BZ: Was stellt man mit seiner Freizeit auf so einer Eisscholle an?
Rabe: Wir haben Gesellschaftsspiele, gehen spazieren und natürlich kommen auch Langlaufski zum Einsatz. Außerdem gibt es einen Fitnessraum mit Laufband, Rudermaschine, Fahrrad und anderen Geräten sowie ein kleines Schwimmbad. Viele gehen nach einem Tag auf dem Eis am liebsten in die Sauna.

BZ: Wie lange bleibt die Polarstern noch in der Arktis?
Rabe: Die Polarstern wird Mitte Oktober in ihrem Heimathafen Bremerhaven zurückerwartet.

BZ: Und wie bekommt man das Schiff vor der Heimreise wieder vom Eis los?
Rabe: Das wird vermutlich nicht so schwierig, weil das Eis ja im Sommer zu schmelzen beginnt und immer dünner wird. Wir haben mehrere sogenannte Eisanker in die Scholle gebohrt, von denen dicke Leinen zum Schiff führen. Die Leinen können später wieder losgemacht und eingeholt werden.

Ressort: Panorama

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