Geburtstag
Die befreiende Schnoddrigkeit: Janosch wird 90
Dass Janosch einmal Eltern und Politiker erzürnte, kann man sich nach dem Tigerwahnsinn der 90er Jahre kaum vorstellen. Dabei waren seine Bücher Trostpflaster und Freiheitsanleitungen.
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Dass Janosch am heutigen Donnerstag 90 wird, ist ein kleines Wunder. Als Kind blickte er in die Kalaschnikow eines entschlossenen Rotarmisten, mit 49 brach er mit kaputtgesoffenen Organen zusammen. Irgendwann kam ihm auf dem Weg zum sicher geglaubten Tod Yoga dazwischen, dann der Erfolg. Janosch kam 1931 im oberschlesischen Hindenburg (heute Zabrze) zur Welt – als Horst Eckert, Horst wie im Horst-Wessel-Lied der Nazis, das wollte der Vater, SA-Mitglied, unbedingt. Ein schlimmer Säufer und Schläger, auch von der Mutter wird Janosch nichts Gutes erzählen, von der katholischen Kirche erst recht nicht. Die Kindheit? Das größte Unglück, ein katastrophales Trauma. Sein Werk – die Medizin dagegen.
Janosch ist meine Kindheit und meine Gegenwart. Seine Geschichten sind wunderschön einfach und voller Wärme. Sie funktionieren für Groß und Klein, heute wie damals. Meine Mutter liebte die Geschichten des kleinen Bären, des kleinen Tigers, von Günter Kastenfrosch und seiner Tigerente und so wurden sie auch zu meinen liebsten. Seit ich denken kann, stand eine Tigerente in unserem Wohnzimmer neben den Fotos im Regal. Wegen Janosch wollte ich als Kind nach Panama reisen und ging auf die Suche nach einem Schatz, um zu entdecken, dass Reichtum nichts mit Geld zu tun hat. Aber mehr als alles andere wollte ich mit einem grünen Federkiel und blauer Tinte genauso schöne Briefe schreiben wie der Bär und der Tiger in "Post für den Tiger". Vor wenigen Jahren entdeckte ich Janosch mit dem liebenswürdigen Grantler Herrn Wondrak neu. Die Geschichten und Bilder vieler Autoren und Künstlerinnen sind Klassiker, aber Janosch ist zeitlos. Nina Witwicki
Denn seit seinen ersten Büchern von 1960 über das Pferd Valek und "Josa mit der Zauberfidel" helfen Janoschs unwahrscheinliche Helden den Schwachen, Bedürftigen und Beladenen. Trostpflaster in Buchdeckeln. Auch wenn die Kirche in seiner Welt ohne Autoritäten und Eltern keinen Platz hat: Seine Geschichten mit ihren oft leicht zwielichtigen Außenseitern haben einen festen moralischen Kompass. Sie sind warmherzig, mit schnoddrigem Humor, einer guten Prise Frivolität und einer befreienden Wurstigkeit gegenüber allem, was angeblich so sein muss. Müssen, so Janoschs Botschaft, muss man nämlich nur eins: die unbedingte Freiheit suchen. Noch eins: sich nichts gefallen lassen. Anderen schaden tut man ja ohnehin nicht.
Es ist also kein Zufall, dass frühe Janosch-Figuren (etwas) chagallhaft fliegen können, das Pferd Valek oder Onkel Poppoff. Nur am Markt hoben sie nicht ab. "Valek" verkaufte sich angeblich 15 Mal. "Josa" kaum öfter. Dessen Stunde kam erst, als der Autor 40 Bücher später berühmt wurde. Janosch, der nach zwei Absagen immerhin zwei Semester an der Münchener Akademie der Künste gelitten war, und "15 Jahre lang an der Kunst litt", verdiente lange Zeit sein Geld als Zeichner für Tapeten und Textil.
In meinen überquellenden Kinderbuch-Regalen gibt es keinen Janosch. Warum? Weil er schwer wiegt, dieser Verdacht auf reaktionäre Geschlechtsstereotypen und Sexismus. Zum Beispiel die Kultfiguren kleiner Tiger und kleiner Bär – liebenswert-trottelig, beste Freunde und füreinander da. Schön! Zusammen erleben sie Abenteuer, und am Ende gibt es immer Pilze und Fisch. So weit, so gut. Aber dann ist da noch Maya Papaya im Minirock, die perfekt zwischen die beiden ins Bett passt. Oder das rosa Schweinchen, das den Tiger raffiniert bezirzt und sich dann auf dem Bett räkelnd von ihm bedienen lässt, bis er wieder zum Bären flüchtet. Weibliche Figuren sind bei Janosch Beiwerk, Sexualobjekte oder unangenehme Weiber. Dann haben sie pralle Busen, tragen Stöckelschuhe, Lippenstift und lange Klimperwimpern, sind Kuss- und Schmollmund-Mäuschen oder dominante Chefinnen wie die Löwin. Mir ist die Lust auf Janosch-Bücher früh vergangen. Marion Klötzer
Seine Kinderbücher mussten warten, bis der Zeitgeist aufholte. Lange war der "verworrene Strich" (Janosch) zu grob, die Geschichten zu unbrav, seine Figuren zu verwahrlost und zu versoffen, selbst die oft furchtbar aufgebrezelten Frauen. Zu polnisch auch? Janosch sagte selbst, er denke nicht wie ein Westeuropäer.
1978, zwei Jahre nach dem Wechsel zum enthusiastischen Verleger Hans-Joachim Gelberg, war es so weit: Janosch malte nun sanfter und aquarellierte fröhlich, und er fand in eine Erfolgsspur, die er nicht mehr verlassen wollte. Da erschien "Oh, wie schön ist Panama", die Freundschaftsgeschichte vom Bär und vom Tiger auf ihrer Suche nach dem Glück, das sie nirgendwo anders finden als direkt vor der Haustüre. Ein Welterfolg. Ein Buch, ohne das in Deutschland lange keine Kindheit denkbar schien. Mit der "großen Gabe, uns glücklich zu machen", wie Bundespräsident Steinmeier gerade Janosch würdigte.
Seine Erfolgsformel sollte Janosch nicht mehr verlassen. Er hat sie bis zum Überdruss vervielfältigt. In den 1990ern war vom Künstler vor lauter Tigerenten nicht mehr viel zu erkennen. Macht aber nichts, würde eine Janosch-Figur vielleicht sagen. Er hatte ja etwas ganz Eigenes geschaffen. Diese mit der Zeit etwas seriellen Sprüche im typisch verknappten Schnodder-Zen sind eine echte Marke.
Ich kam mit Janosch in Berührung, als es die Tigerente und all die anderen Figuren, die ihren kommerziellen Siegeszug bis heute antraten, noch nicht gab. Kaum vorstellbar. Aber die frühen Bücher des Künstlers kreisen um eine skurrile Gestalt, die eine gewisse Ähnlichkeit mit ihrem Erfinder nicht zu verleugnen scheint. Ihr Name war am Anfang Onkel Poppoff – mit zwei p und zwei f. Und das erste Buch um diesen bruddeligen Einzelgänger heißt "Onkel Poppoff kann auf Bäume fliegen". Das hat mich als Kind vermutlich fasziniert: ein Mensch, der sich wie ein Vogel in die Lüfte erheben kann, obwohl er überhaupt nicht so aussieht, als könne er das schaffen. Später wurde aus Poppoff Popov – und in dem Buch "Traumstunde für Siebenschläfer" hat es Popov mit dem kleinen Piezke zu tun, der nur ein Ziel in seinem Leben kennt: schlafen, schlafen, schlafen. Selbst die Erfüllung seines Lieblingstraums – zu fliegen – verschläft er. Seinen eigenen Traum verpennen: Das hat was.
Bettina Schulte
Auch privat hat er sich eine Persona gegeben, die schwer von seinen besten Figuren zu unterscheiden ist: der schnauzbärtige Eremit, der in seiner Hängematte ein einfaches Dasein auf Teneriffa genießt. Der Erzähler, der dem Publikum Geschichten mit schwankendem Wahrheitsgehalt liefert: Wie er sich umbenannt hat, wie er München verließ (Besitz angezündet!), dass er sich von Frauen bedienen lässt und F. K. Waechter die Tigerente geklaut hat. Oder doch nicht. Wie (fast) das ganze Geld aus der Bär&Tiger-Verkaufsmaschine flöten ging. Oder auch nicht. Als sicher gilt, dass Janosch oft und ohne Tamtam Geld verschenkt, an Waisenhäuser, kranke Kinder, für den Schutz seiner geliebten Vögel.
Und als man ihn vor lauter Postkarten und Waschlappen fast schon vergessen hatte, da kam Herr Wondrak. Der dickliche, verlotterte Schnauzbart beantwortete ab 2013 Fragen von Lesern des Zeit-Magazins. Jede Woche eine. Und das so weise und witzig, dass der Abschied 2019 wehtat. Im Fotointerview des SZ-Magazin wurde Janosch gefragt, wo denn nun eigentlich das Glück zu finden ist. Er zeigte auf den Boden – direkt vor seinen Füßen. Oh, wie schön ist Panama.
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