Die letzte Müllersfrau erzählt

Die Krippendorfer Bockwindmühle trotzte Napoleon und der DDR, dann kam Sturm Kyrill und hat sie umgepustet.  

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Aufbau nach dem Sturm Foto: dpa

Seit 277 Jahren dreht sich die Bockwindmühle bei Krippendorf in Thüringen jetzt schon im Wind. Erika Westermann, die Oma von Zischup-Reporter Stefan Maier, Schüler der Klasse Gym8 der Freien Christlichen Schule in Freiburg, kennt viele spannende Geschichten über die Mühle. Sie ist die letzte Müllersfrau.

Sie schmunzelt, als wir in der alten Stube sitzen, Tee trinken und beobachten, wie die Flügel der prächtigen Mühle im Wind schaukeln. Die 1740 erbaute, denkmalgeschützte und ganz aus Holz gebaute Bockwindmühle war sehr lange in Familienbesitz. Bis 1972 war die Mühle in Betrieb. Sie hatte einst das Korn der Bauern im ganzen Gönnatal gemahlen. Die letzten Jahrzehnte wurde sie aber durch einen Dieselmotor unterstützt.

Die Arbeit auf der Mühle war sehr hart. Der Müller konnte aber durch das Mahlen des Getreides und mit dem dazugehörenden kleinen Bauernhof seine ganze Familie ernähren. Doch dann kam der 14.Oktober 1806. An diesem Tag spielte sich ein grauenvolles Gemetzel ab – die Schlacht bei Jena. Die Windmühle stand mitten auf dem Schlachtfeld und diente Napoleon als Orientierungspunkt. Auf der einen Seite stand das Heer der Preußen, auf der anderen Seite das der Franzosen. Napoleon siegte und war danach der mächtigste Mann Europas. Die umliegenden Dörfer standen in Flammen, nur die Windmühle wurde verschont.

Die drei Müllerstöchter, so erzählt Oma, fielen nach der Schlacht vor Napoleon auf die Knie und baten ihn, die Mühle nicht anzuzünden. Napoleon hat das so beeindruckt, dass er die Mühle verschonte. So wurde die Mühle durch den Kniefall der Müllerstöchter gerettet. Dokumentiert ist diese Geschichte nicht, und auch Oma weiß nicht, ob sie wirklich stimmt. Sie wird aber von Generation zu Generation weiter erzählt. Fakt ist, dass die Mühle das einzige Gebäude im Gönnatal war, das bei der Schlacht verschont blieb. Der Mühlenbetrieb ging weiter.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Mahlen auf der Mühle dann aber unattraktiv. Mein Opa war zwar noch geprüfter Müller, betrieb die Mühle aber nur noch im Nebenerwerb. 1972 standen größere Reparaturen am Mahlwerk an. Das Mahlen war aber durch die leistungsstärkeren Industriemühlen so unrentabel geworden, dass sich eine Reparatur nicht lohnte und der Mühlenbetrieb endgültig eingestellt wurde. Die Bockwindmühle Krippendorf wurde zugesperrt und stand still. Es kam, wie es kommen musste, die Mühle begann zu zerfallen. Vom damaligen Staat in der DDR war keine Hilfe zu erwarten.

Diesen Zustand konnten aber meine Großeltern nicht mit ansehen und starteten eigenhändig die Restauration der Mühle. Das war sehr schwierig, denn Material war Mangelware und schwer zu organisieren. Auch wurden Eigeninitiativen in der DDR nicht von allen gerne gesehen. Die Westermanns schafften es aber und sanierten in jahrelanger Arbeit, trotz Materialknappheit und anderen Hindernissen, die Bockwindmühle mit unerschütterlichem Engagement. 1983 war die Mühle saniert.

Die Großeltern machten einen viel besuchten Ort aus der Mühle. Nicht nur zu Denkmal- und Mühlentagen kamen Besucher, um sich die Mühle erklären zu lassen. 1992 erhielten meine Großeltern dafür einen Denkmalpreis.

Und dann kam Kyrill. Diesmal war es nicht die Vernachlässigung der Menschen, die die Mühle in die Knie zwang, sondern ein Sturm. Der Orkan Kyrill kam in der Nacht des 18. Januars 2007. Der Sturm heulte schon Stunden um das Haus der Westermanns. Doch das war nichts Ungewöhnliches für diesen Ort auf freiem Feld. Als Oma Erika gegen 23 Uhr aus dem Fenster schaute, wollte sie ihren Augen nicht trauen. Sie sah die Bockwindmühle, die eigentlich neben ihrem Haus stand, nicht mehr. Schnell wurde es entsetzliche Gewissheit. Die im Jahre 1740 erbaute Windmühle, die bisher allen Stürmen getrotzt hatte, wurde vom Orkan erfasst und umgerissen. Nur noch ein Trümmerhaufen lag auf dem Feld. Ein großes Stück Lebenswerk der Großeltern wurde vernichtet. Opa Werner war am Boden zerstört, die Mühle zertrümmert, das bekannte Wahrzeichen des Gönnatales nicht mehr vorhanden. Einfach ausgelöscht. Nein, damit wollte sich Jenas Oberbürgermeister Albrecht Schröter nicht abfinden. Er sagte das Engagement der Stadt zu und rief die Bürger auf, für den Wiederaufbau der Mühle zu spenden. Die noch zu rettenden Teile der Mühle wurden geborgen. Die Stadt Jena und das Land Thüringen übernahmen den sehr aufwendigen Wiederaufbau der Bockwindmühle. Auch aus dem europäischen Ausland wurden Handwerker, die noch Ahnung von solchen Holzbauten hatten, zu Hilfe geholt.

2012 wurde die neu aufgebaute Krippendörfer Bockwindmühle als öffentliches Denkmal des Landes wieder eröffnet. Sie wird seither an Wochenenden und an Mühlentagen von dem Feuerwehrheimatverein Krippendorf vorgeführt und ist wieder ein vielbesuchtes Wahrzeichen des Gönnatals. Mein Opa hat den Verlust der alten Mühle aber nie überwunden. Er ist 2013 nach schwerer Krankheit und mehreren Schlaganfällen gestorben. Seither lebt Oma Erika alleine in ihrem Häuschen auf dem Krippendörfer Feld. Sie freut sich jeden Tag bei dem Anblick ihrer Windmühle und erzählt mir bei jedem Besuch spannende Geschichten.

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