Wehrdienst

Die neue Wehrpflicht ist umstritten

Deutschland braucht wegen der Bedrohung durch Russland mehr Soldaten, so die Bundesregierung. Sie will deshalb die Wehrpflicht teilweise wieder in Kraft setzen. Eine Entscheidung, die umstritten ist.  

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Ihre Zahl soll deutlich erhöht werden: Soldaten der Bundeswehr  | Foto: Jens Wolf (dpa)
Ihre Zahl soll deutlich erhöht werden: Soldaten der Bundeswehr Foto: Jens Wolf (dpa)

Wie die Bundesregierung die Lage sieht

"Deutschlands Sicherheit ist keine Selbstverständlichkeit mehr", schreibt das Bundesministerium der Verteidigung auf seiner Internetseite, es gebe eine "massiv verschärfte Bedrohungslage in Europa infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine". Nachdem die Bundeswehr in den vergangenen Jahren vor allem Auslandseinsätze absolviert hat, soll die Armee nun "konsequenter auf die Landes- und Bündnisverteidigung ausgerichtet" werden und die dafür "erforderlichen Strukturen" schaffen, heißt es.

Dafür braucht es laut dem Ministerium 460.000 Soldatinnen und Soldaten. 260.000 sollen aktive Soldaten sein, 200.000 Reservisten, die an der Waffe ausgebildet sind und im Falle eines Konflikts einberufen werden können. Derzeit gibt es nur etwa 182.000 aktive Soldaten sowie gut 49.000 Reservisten. Um die gewünschte Zahl bis 2030 zu erreichen, soll nun die Wehrpflicht teilweise wieder in Kraft gesetzt werden.

Anfangs setzt die Regierung dabei auf Freiwilligkeit: Kein junger Mensch muss zur Bundeswehr, jeder kann aber hingehen. Erst wenn die Soll-Zahl an Soldaten nicht erreicht wird, wird es wieder eine echte Wehrpflicht geben.

Was sich mit dem neuen Gesetz für junge Menschen ändert

Wenn der Bundestag dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zustimmt, werden alle jungen Männer und Frauen ab dem Jahr 2026 zu ihrem 18. Geburtstag Post vom Verteidigungsministerium bekommen. In dem Brief gibt es einen QR-Code, der zu einem digitalen Fragebogen führt. Männer müssen den Fragebogen ausfüllen, für Frauen ist das freiwillig. Dabei soll vor allem die Bereitschaft zum Dienst in der Bundeswehr abgefragt werden, außerdem Angaben zu Ausbildung und körperlicher Verfassung. Wer sich freiwillig meldet und als Soldat oder Soldatin in Frage kommt, wird zu einer Musterung – einer ärztlichen Untersuchung auf Tauglichkeit für den Wehrdienst – eingeladen. Ab Juli 2027 soll diese Musterung für alle Männer ab Jahrgang 2008 verpflichtend werden.

Wer als Freiwilliger nach der Musterung ausgewählt wird, kann selbst entscheiden, wie lange er oder sie Wehrdienst leisten möchte: Mindestens sechs und bis zu 23 Monate sind im ersten Schritt möglich. Bei Eignung kann die Verpflichtung auf bis zu 25 Jahre ausgedehnt werden.

Bei der Ausbildung geht es nicht nur um Waffen. "Wir ermöglichen eine bestmögliche Qualifikation, gerade bei denen, die länger bleiben", sagt Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Konkret nennt er Sprachkurse, Führerscheine und IT-Lehrgänge. Der Sold für die Soldaten auf Zeit werde bei 2300 Euro netto liegen, wobei Unterkunft und ärztliche Versorgung kostenfrei sind. Nach dem Wehrdienst auf Zeit kann man auch Berufssoldatin oder Berufssoldat werden.

Wie Bürger zum Wehrdienst stehen

Bei einer Meinungsumfrage für den BaWü-Check der baden-württembergischen Tageszeitungen im vergangenen Mai wurde unter anderem gefragt, ob die Menschen bereit wären "im Falle eines Angriffs Deutschland mit der Waffe zu verteidigen". 24 Prozent der Befragten bejahten die Frage. Während aber bei den 30- bis 59-Jährigen 28 Prozent zum Waffengebrauch bereit waren, waren es bei den 18- bis 29-Jährigen 22 Prozent. Die Bereitschaft der Jungen zu einem Dienst an der Waffe hält sich also in Grenzen.

Was junge Politiker sagen

Es gibt dabei auch Unterschiede je nach politischer Orientierung. Beschlossen wurde die neue Wehrpflicht von der Regierungskoalition von Union und SPD in Berlin. Bei den Sozialdemokraten aber hadern viele damit, insbesondere die Jusos, die Jugendorganisation der Partei. Daniel Krusic ist deren Landesvorsitzender in Baden-Württemberg. Er sagt: "Die Wehrpflicht ist eine Panikreaktion, keine echte Lösung. Hier wird für das eigene Image Politik auf dem Rücken von uns jungen Menschen gemacht. Und das, obwohl unsere Generation mit Corona, Klimawandel und Renten bereits die Hauptlast trägt."

Florian Hummel ist der Landesvorsitzende der Jungen Union (JU), der Jugendorganisation der CDU. Auch er spricht sich gegen den Gesetzentwurf aus. Aber aus genau entgegengesetzten Gründen wie die Jusos, der Entwurf geht ihm nicht weit genug. "Reine Freiwilligkeit", sagt Hummel, "wird nicht ausreichen." Es fehle "die Konsequenz, den verpflichtenden Wehrdienst mitzudenken". Nur so werde man die Soll-Stärke der Bundeswehr erreichen. Des Weiteren sei die JU für ein "Deutschland-Jahr" über den Wehrdienst hinaus.

Bundeswehrverband contra Friedensgesellschaft

Oberstleutnant a. D. Josef Rauch ist Landesvorsitzender für Süddeutschland im Deutschen Bundeswehrverband, einer Vereinigung aktiver und ehemaliger Soldaten. Auch er ist skeptisch, ob der freiwillige Wehrdienst genügt. Seit 2021 sei das Ziel gewesen, den Personalbestand der Bundeswehr von 185.000 auf 203.000 Soldaten zu erhöhen. "Wir wollen also seit vier Jahren aufwachsen", so Rauch, "waren aber in den letzten Jahren zahlenmäßig rückläufig."

Rauch fragt rhetorisch: "Wer geht schon gerne zu einer Firma, von der bekannt ist, dass Material fehlt oder sie nicht einsatzbereit ist?" Das müsse geändert werden. Es werde dann "beim Bestandspersonal sehr schnell wieder mehr Berufszufriedenheit festzustellen sein und unser Image wird sich verbessern, was sich auch positiv auf die Nachwuchsgewinnung auswirken wird", glaubt Rauch.

Radikal gegen eine Aufrüstung der Bundeswehr stellt sich dagegen Winfried Cordi von der Freiburger Gruppe der Deutschen Friedensgesellschaft, die am vergangenen Montag auf dem Platz der Alten Synagoge eine Kundgebung zum Anti-Kriegstag mitorganisiert hat. Er sagt: "Wir sehen in der neuen Wehrpflicht einen weiteren Mosaikstein in der Vorbereitung eines Krieges mit Russland."

In glatter Umkehrung der Lagebeurteilung durch das Verteidigungsministerium hält er Russland für "den europäischen Nato-Staaten heute schon im konventionellen Bereich haushoch unterlegen". Es brauche eine Politik der Kriegsvermeidung und Abrüstung, gerade für die junge Generation,

Schlagworte: Florian Hummel, Winfried Cordi, Josef Rauch
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