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Die Sache mit der Gans

  • Sa, 10. November 2001
    Zisch

     

Gänse sind nicht dumm, nur manchmal laut. Das schätzte schon der heilige Martin nicht.

Ganz schön laut noch diese Gänseschar. Die Tiere schnattern, was das Zeug hält. Sie lassen sich an diesem herbstlichen Nachmittag zwei Wochen vor Martini nur ungern stören. Johanna, Marie, Claire und Levi haben sich mit Jonas und Dominik im Ihringer Ortsteil Martinshöfe verabredet. Regina und Bernhard Storz halten dort einige Dutzend der stattlichen Vögel. Und die wollen sich die Kinder heute einmal näher anschauen.

Zu Martini nämlich ist es zu spät. Dann sind die meisten geschlachtet. Martini ist nicht nur der Tag, an dem ihr eure Martinslaternen anzündet und Martinslieder singt. Seit Jahrhunderten gibt es auch einen anderen Brauch: Rund um den Namenstag des heiligen Martin wird ein saftiger Gänsebraten in die Röhre geschoben. Und der schmeckt dann besonders gut, wenn das Tier wie bei der Familie Storz mit eigenem Weizen und Mais gefüttert wurde.

"Komm du dumme Gans", ruft eines der Kinder und versucht einen Vogel anzulocken. Doch die aufgeregte Truppe lässt sich nicht so schnell beeindrucken. Schon gar nicht von den vorwitzigen Fünf- und Sechsjährigen, die so mir nichts dir nichts auf ihrer Futterwiese aufgekreuzt sind. Und von wegen "dumme Gans". Als dumm gelten sie nicht, höchstens als laut.

In römischen Zeiten galten die Gänse als Begleiter des Kriegsgottes Mars. Ihre Wachsamkeit und ihr warnendes Geschrei soll die Stadt Rom einst vor einem feindlichen Überfall bewahrt haben. Ihr Lärm ist es auch, der sie mit dem heiligen Martin verbindet: Als der nämlich Bischof werden sollte, versteckte er sich in einem Gänsestall. Dadurch wollte er der Wahl entgehen. Das Geschnatter der Tiere verriet ihn allerdings. Der heilige Martin konnte seine Ernennung nicht verhindern. Das dankte er den verräterischen Vögeln entsprechend: Sie wurden geschlachtet und den Abgesandten des Volkes serviert. So sagt es zumindest die Legende.

Gänsemarsch und Gänsefüßchen

Der Brauch, an Martini eine Gans zu verschenken, hat viele Ursachen. Am Martinstag begann früher das neue Wirtschaftsjahr des Bauern. Mägde und Löhne wurden ausbezahlt, Steuern abgeführt. Außerdem schlachtete man das Vieh, das man nicht über den Winter füttern konnte. So ergab sich, dass an Martini oft ein schmackhafter Gänsebraten auf dem Tisch stand. Die Martinsgans war auch eine beliebte Form der Zinsbeigabe an den Grundherren.

Die Geschichten rund um die Gans sind für die Kinder an diesem Tag nicht so wichtig. Vielmehr fasziniert sie, dass sie die weiß gefiederten Tiere so hautnah erleben dürfen. Die Gänse laufen auf einem Bauernhof meist gemeinsam herum. Kaum einmal schert eine aus. Oft marschiert das Federvieh auch hintereinander her. Das ist dann der "Gänsemarsch". Die An- und Abführungszeichen sind "Gänsefüßchen", weil sie an den Abdruck der echten Gänsefüße erinnern.

Und noch etwas: Wie jeder weiß, ist der Fuchs der größte Feind der Gänse. "Fuchs, du hast die Gans gestohlen": Dieses Kinderlied kennen auch die Kinder auf der Storzschen Wiese. Aber diese Gänse holt er sicher nicht. Bei dem Lärm wird auch der schlaueste Fuchs vertrieben.

Ulrike Ehrlacher-Dörfler

Ressort: Zisch

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 10. November 2001: PDF-Version herunterladen

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