Die Sehnsucht nach dem Pixel-Look
GAMESCOM II: Es muss nicht immer Monstergrafik sein – die Spieleszene im Retro-Trend.
Jonas-Erik Schmidt (dpa)
Wer sich die grafische Kraftmeierei vieler Spiele auf der noch bis Sonntag in Köln stattfindenden Videospielmesse Gamescom anschaut, kann ein Spiel wie "Sonic the Hedgehog" (1991) schnell für eine Erscheinung aus der Steinzeit halten. Die technischen Möglichkeiten der Branche haben sich seitdem raketenhaft entwickelt. Von der anderen Seite schwappt aber eine Retrowelle über die Szene, die nicht nur Läden wie "Retrospiel" hervorbringt. Auch auf der Gamescom gibt es einen wachsenden Bereich mit Geräten aus den 80ern und 90ern. Das mag verwundern. Kaum jemand käme heute wohl auf die Idee, sich eines der grobschlächtigen Handys älterer Bauart mit Genuss an das Ohr zu halten. In der Gamerszene liegen die Dinge anders. Ausgemusterte Konsolen sind kein Elektroschrott, sondern Kulturgut. Börsen für alte Spiele florieren, online werden zum Teil wahnwitzige Preise aufgerufen. Ein seltenes, noch originalverpacktes Spiel wird mitunter in den Rang des Heiligen Grals erhoben.
Die Kindheit soll
zurückgeholt werden
"Es gibt viele Menschen, die mit Videospielen aufgewachsen sind, dann in die Rush Hour des Lebens gerieten und sich heute wieder an die alte Optik und die alten Spiele erinnern", sagt Maximilian Schenk, Geschäftsführer des Bundesverbandes Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU). Den Retro-Trend gebe es ohne jeden Zweifel. Schenk macht das vor allem auch an Neuentwicklungen fest, die den Oldie-Look aufgreifen. "Wir hatten in den vergangenen Jahren sehr erfolgreiche Spiele im klassischen Pixel-Look – zum Beispiel "Minecraft"", sagte er. Vor allem Indie-Entwickler setzten darauf. Zum einen, weil es weniger aufwendig sei als fotorealistische Grafik. Aber auch, weil es an alte Zeiten erinnere.zurückgeholt werden
Die ersten Generationen, die mit Videospielen aufgewachsen sind, sind heute längst berufstätig – und zu Geld gekommen. Früher schätzte man sich noch glücklich, wenn ein Freund ein "Super Nintendo" hatte, auf dem man endlos erscheinende Sommerferien-Nachmittage verdaddeln konnte. Heute lässt sich mit etwas Geld ein Teil dieser Kindheit zurückzuholen. Das meint man zumindest, wenn sich ein wohliger Schauer auf dem Rücken einstellt, sobald die "Super Mario World"-Melodie (1991) losdudelt.
"Jede Generation identifiziert sich mit den Geräten, mit denen sie aufgewachsen ist", sagt Enno Coners, Herausgeber von "Retro Magazin". Seine Liebe gilt bis heute dem C64, einem Computer in Form eines Brotkastens mit integrierter Tastatur, für den es massig Spiele gab. Er wurde 1982 vorgestellt. Coners bezweifelt allerdings, dass sich der Retro-Trend einfach fortschreiben lässt. In 20 oder 30 Jahren werde wohl kaum jemand die Systeme aus dem Jahr 2016 verklären. "Das Retro-Gefühl endet für mich irgendwo Mitte der 90er", sagt er. Danach sei der Markt riesig und damit unübersichtlich geworden. Der überragende Stellenwert, den einzelne Geräte im Leben ihrer Besitzer einnahmen, schrumpfte.
Christoph Noll will den Zauber von damals ein wenig konservieren. Einer der Schwerpunkte seines Ladens sind Spiele, die von kleinen Entwicklerteams neu programmiert werden – aber auf den alten Konsolen laufen. Auch das gibt es. Ein gutes Jahr, nachdem er damals das "Mega Drive" bei Freunden der Eltern gesehen hatte, bekam Noll endlich auch ein Gerät. Die Eltern musste er erstmal überzeugen. Heute kommen gelegentlich Eltern mit ihren Kindern in seinen Laden. Und versuchen, ihrem Nachwuchs den Zauber von "Mega Drive" oder "Super Nintendo" zu erklären.
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