"Ein Land voller Gegensätze"

ZISCHUP-INTERVIEW mit Sebastian Haury über Brasilien.  

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Sebastian Haury Foto: Privat

Sebastian Haury ist gerade aus Brasilien nach Deutschland zurückgekehrt. Er hatte dort die Leitung des Kinderdorfes Guarabira übernommen und das Dorf auf die Übergabe an eine brasilianische Organisation vorbereitet. Er berichtet über seine Arbeit und seine Erfahrungen in dem Land der Gegensätze. Ein Interview von Zischup-Reporter Simon Hummel aus der Klasse 9a des Marie-Curie-Gymnasiums in Kirchzarten.

Zischup: Warum sind Sie nach Brasilien gegangen?

Haury: Ich war über fünf Jahre dort, habe aber auch schon von 1996 bis 1998 anstelle des Zivildienstes als Missionar auf Zeit dort gelebt. Aus dieser Zeit kannte ich den Leiter des Kinderdorfes. Er hat einen Nachfolger für sein Kinderdorf gesucht.

Zischup: Was genau haben Sie gemacht?

Haury: Ich habe die Leitung des Kinderdorfes übernommen, um die Übergabe an eine brasilianische Organisation vorzubereiten. In dem Dorf leben aktuell 230 Kinder und es gibt 60 Angestellte. Wir konnten eine brasilianische Ordensgemeinschaft finden, die das Kinderdorf nun übernommen hat. Auf dem Weg dorthin waren viele Erneuerungsmaßnahmen notwendig. Zum Beispiel wurden früher nur Jungen aufgenommen. Dadurch wurden Familien getrennt. Wir haben Sozialeltern eingeführt, das heißt ein verheiratetes Ehepaar wohnt mit seinen eigenen Kindern im Dorf und betreut andere Kinder. Wir bringen die Jugendlichen nun auch in eine Berufsausbildung. Ein weiteres Projekt ist es, ein Netzwerk an Pflegefamilien auszubauen. Darüber hinaus haben wir ein Finanzierungssystem aufgebaut, um Kleinstspender zu gewinnen, die zusammen mit der Wasserrechnung eine kleine Spende geben.
Zischup: Was gefällt Ihnen ganz besonders an Brasilien?

Haury: Die Menschen haben eine Kultur der Gastfreundschaft, die sehr berührend ist. Man rennt in Brasilien immer in offene Arme und man kommt sofort ins Gespräch. Die Offenheit und Leichtigkeit sind faszinierend. Auch das tropische Klima hat mir sehr gefallen. Es ist immer warm.

Zischup: Und was hat Ihnen nicht so gut gefallen?

Haury: Ich dachte, ich kenne Brasilien schon sehr gut. Ich habe auch eine brasilianische Frau. Wenn man mit extrem armen Kindern und Jugendlichen zusammenarbeitet, kommt man mit dem Drogenmilieu in Berührung. Das Ausmaß an Drogen, vor allem die Droge Crack, die dort wie eine Seuche verbreitet ist, war mir nicht bekannt. Das ist die hässliche Fratze, die die Armut dann zeigt. Die Sicherheitssituation und die hohe Kriminalität sind erschreckend. Man kann seine Kinder nicht alleine auf die Straße lassen und muss immer schauen, wo und wann man unterwegs ist. Selbst im nächsten Umfeld hört man oft von Diebstählen. Einer Freundin wurde das Auto vor der Apotheke geklaut – ihre Kinder waren noch drin. Brasilien ist immer noch das Land der Gegensätze. Es gibt Traumidyllen und fantastische menschliche Begegnungen, aber man muss aufpassen, dass man nicht überfallen wird.

Zischup: Was können Deutsche von Brasilianern lernen?

Haury: Armutsbedingt müssen die Brasilianer ständig improvisieren und flexibel sein. Not macht erfinderisch. Und auch die schon angesprochene Gastfreundschaft können die Deutschen von den Brasilianern lernen.

Zischup: Und andersrum?

Haury: Wenn ich eine Verabredung mit Freunden ausmache, fragen manche, ob deutsche oder brasilianische Zeit gemeint ist. Die deutsche Gesellschaft ist extrem zuverlässig. Alles funktioniert. Die Deutschen sind fleißig und diszipliniert. In Brasilien gibt es oft auch armutsbedingte Gründe, warum jemand nicht zuverlässig ist. Zum Beispiel kommt jemand zu spät, weil der Bus nicht gefahren ist oder eine Mail konnte nicht geschickt werden, weil das Internet nicht funktioniert hat.

Zischup: Was sagen Sie zum Wahlsieg von Jair Bolsonaro?

Haury: Das ist dramatisch. Brasilien macht derzeit die größte wirtschaftliche Krise durch, seit es eine Demokratie ist. Dies ist leider immer der Nährboden für Rechtsradikale. Bolsonaro hat versprochen, dass er mit der Kriminalität und mit der Korruption aufräumt. Die Menschen sehen ihn als einen starken Mann, der sie aus der Krise führen wird. Aber er ist feindlich gegenüber Frauen, Homosexuellen, Schwarzen und den Armen im Nordosten. Auf die Frage, was passieren würde, wenn einer seiner Söhne sich in eine schwarze Frau verlieben würde, hat er geantwortet: "Meine Söhne sind gut erzogen, die verlieben sich nicht in eine schwarze Frau." Seine Wahl ist ein herber Rückschlag für den Demokratisierungsprozess.

Zischup: Können Sie Jugendlichen, die ein Freiwilliges Soziales Jahr in Brasilien planen, Tipps geben?

Haury:
Im Kinderdorf gab es bislang 89 Freiwillige. Aber seit einiger Zeit bekommt man nur noch ein Visum für drei Monate. Es sei denn, man heiratet oder ist Priester. Man sollte Portugiesisch sprechen, sonst fängt es gerade an Spaß zu machen, wenn man wieder gehen muss. Das Kinderdorf ist auch eingeschrieben auf der Seite http://www.weltwaerts.de
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