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BZ-Interview

Expertin: Zahnspangen können Krankheiten auslösen

Katharina Meyer
  • Do, 03. Mai 2018, 09:03 Uhr
    Gesundheit & Ernährung

Ist eine Zahnspange medizinisch notwendig? Der Bundesrechnungshof moniert, dass der Nutzen nur unzureichend erforscht ist. Spange oder nicht Spange? Christiane Grote von der Verbraucherschutzzentrale im Interview.

Spangen gehören bei vielen Jugendlichen einfach dazu. Ob sie aber immer auch medizinisch sinnvoll sind? Die Verbraucherschutzzentrale hat da Bedenken. Foto: -
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BZ: Frau Grote, tragen zu viele Jugendliche in Deutschland eine Zahnspange?
Grote: Wenn man den Überlegungen des Bundesrechnungshofes folgt, dann auf jeden Fall. Kieferorthopäden behaupten ja immer wieder, dass es medizinisch notwendig sei, eine Zahnspange zu tragen, um das Risiko zu minimieren, später an Parodontitis oder Karies zu erkranken oder dauerhaft Kiefergelenkschmerzen zu haben. Doch es gibt leider keine aussagekräftigen wissenschaftlichen Studien, die das bestätigen.

BZ: Das heißt, Sie teilen die Kritik des Bundesrechnungshofes?

Grote: Ja, die teilen wir durchaus. Es gibt in der Zahnmedizin und Kieferorthopädie tatsächlich wenig evidenzbasierte Nutzenbewertungen. Es sollten also auf jeden Fall endlich belastbare Studien durchgeführt werden. Derzeit ist die Lobbyarbeit von Zahnmedizin und Kieferorthopädie allerdings sehr erfolgreich, sie macht eine wirkungsvolle Überprüfung des Nutzens unmöglich.

BZ: Die Situation scheint sich schon verändert zu haben: Nachdem 2002 ein Schema eingeführt wurde, mit dem medizinisch nötige von unnötigen kieferorthopädischen Behandlungen unterschieden werden sollten, ist die Zahl der von der Kasse bezahlten Fälle bis 2015 um fast 50 Prozent zurückgegangen.

Grote: Ja, die medizinischen Kriterien sind nun schon relativ eindeutig, sie sind sozusagen millimetergenau festgelegt. Es gibt fünf kieferorthopädische Indikationsgruppen, in die der Kieferorthopäde die Schwere der Zahnfehlstellung einordnet. Die gesetzliche Leistungspflicht fängt erst mit der Indikationsgruppe 3 an: Das sind erhebliche Fehlstellungen wie zum Beispiel ein ausgeprägter offener Biss.
Bei Zusatzleistungen geht es oft ums Geschäft.Christiane Grote
Diese Fehlstellungen werden dann zu Lasten der Krankenversicherung korrigiert – das heißt, die Behandlung wird komplett übernommen. Dabei müssen die Eltern 20 Prozent der Behandlungskosten vorstrecken, die sie nach erfolgreicher Beendigung zurückbekommen.

BZ: Das klingt nach einer eindeutigen Sache...

Grote: Was für die Eltern nach wie vor eine schwierige Abwägung ist, sind die privat zu vereinbarenden Zusatzleistungen, die ihnen in der Praxis angeboten werden. Die Barmer Versicherung hat vor zwei Jahren in ihrem Gesundheitsmonitor veröffentlicht, dass 85 Prozent der Eltern im Schnitt 1200 Euro für diese zusätzlichen Leistungen ausgeben. Das ist schon viel Geld!

BZ: Was sind das für Zusatzleistungen?

Grote: Es geht etwa um zusätzliche Diagnostik, zum Beispiel des Kiefergelenks. Oder um andere Brackets, die zahnfarben sind statt aus Metall. Oder um elastische Bögen, die komfortabler sein sollen als die Kassenvariante. Das ist für Eltern eine schwierige Situation. Denn ihr Kind ist sowieso beansprucht durch die zum Teil schmerzhafte Spange. Die Eltern müssen ständig an der Motivation arbeiten, damit das Kind sich auch die Zähne ordentlich putzt. Mundhygiene ist ja nicht so einfach mit einer festsitzenden Spange. Wenn dann mit komfortableren Bögen geworben wird, ist man schon geneigt, das in Anspruch zu nehmen. Eltern nehmen also oft einen großen Teil der Zusatzleistungen in Anspruch. Das Problem dabei ist, dass es auch für diese Zusatzleistungen keine Nutzenbewertung gibt. Die Eltern können sich also nicht sicher sein, dass sie für etwas bezahlen, das wirklich eine medizinische Verbesserung bringt.

BZ: Wo kann ich denn neutrale Informationen zu dem Thema herbekommen?

Grote: Man kann, um sich vorzubereiten, auf unsere Website schauen, da kann man sich auch unsere Broschüre zu Zahnspangen downloaden. Dann ist man schon gut darüber informiert, welche Rechte man hat. Die Krankenkassen haben kostenfreie Zahnberatungen, die man in Anspruch nehmen kann. Und auch die Zahnärztekammern haben Patientenberatungsstellen.



BZ: Was würden Sie Eltern für den Termin selbst raten?

Grote: Zum einen ist klar, dass ich als Elternteil ein Recht auf umfassende Aufklärung habe. Ich darf und sollte nachfragen, ob die Behandlung, die mir angeboten wird, medizinisch überhaupt notwendig ist. Es ist auch wichtig, sich klarzumachen, dass es bei Zusatzleistungen oft ums Geschäft geht. Deshalb lohnt es sich, sich vorher mit der Frage zu beschäftigen, was Kassenleistung ist und was Zusatzleistung. Wenn der Kieferorthopäde zu unwirsch auf die Nachfragen reagiert, würde ich mir überlegen, eine zweite Meinung einzuholen. Vielleicht ist es auch gut, das Gespräch ohne das Kind zu führen. In unserem Beschwerdeportal melden sich viele, die in Gegenwart ihres Kindes unter Druck gesetzt wurden. Nach dem Motto: "Sie wollen doch nicht, dass ihr Kind unnötige Schmerzen hat."

BZ: Vielen Eltern ist gar nicht bewusst, dass eine Zahnspange auch gesundheitliche Probleme verursachen kann...

Grote: Man kann auch durch das Tragen von Zahnspangen Krankheiten auslösen. Es kann vermehrt zu Karies kommen, die Zähne können an den Klebestellen der Brackets entmineralisieren, auch Zahnfleischentzündungen sind möglich. Ebenso kommen Wurzelresorptionen – also Abbau an der Zahnwurzel – vor, sehr selten auch Schäden am Kieferknochen. Deshalb ist es wichtig, dass der Kieferorthopäde auch über mögliche Schäden aufklärt. Das passiert allerdings kaum.

BZ: Die Eltern haben allerdings oft selbst ein Interesse daran, dass ihr Kind eine Spange bekommt. Denn schließlich gehört ein gerades Gebiss in Deutschland mittlerweile fast zu einem gepflegten Erscheinungsbild.

Grote: Ja, das ist schon so. Das Schönheitsideal hat sich weiterentwickelt. Wir haben eine Generation mit geraden Zähnen. Und das wird natürlich zum Standard und zur ästhetischen Norm, an die sich alle anzupassen versuchen. Die Grenze zwischen medizinischer Notwendigkeit und ästhetischem Wunsch ist bei der Kieferorthopädie sicher fließend.
Christiane Grote (58)

studierte Soziologin, arbeitete 20 Jahre lang auf Kassenseite beim Medizinischen Dienst, nun leitet sie die Gruppe "Gesundheits und Pflegemarkt" der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.

Weitere Informationen unter http://www.kostenfalle-zahn.de

Ressort: Gesundheit & Ernährung

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 02. Mai 2018: PDF-Version herunterladen

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