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Unrat im Netz

Facebook-Löschteam sieht Morde, Kinderpornos und Tierquälerei

  • Andrej Sokolow (dpa)

  • Mi, 12. Juli 2017, 07:12 Uhr
    Computer & Medien

Erstmals öffnet Facebook sein Berliner Löschzentrum für Journalisten - nach kritischen Medienberichten. Das Büro sieht aus wie viele andere auch. Doch brutale Bilder gehören für die Mitarbeiter hier zum Alltag.

Mitarbeiter im Großraumbüro sichten  Facebook-Einträge.    | Foto: dpa
Mitarbeiter im Großraumbüro sichten Facebook-Einträge. Foto: dpa
Die Arbeit in einem Facebook-Löschzentrum ist nichts für sensible Gemüter. "Ich weiß noch, das erste Enthauptungsvideo - da hab’ ich dann ausgemacht, bin raus und hab erst mal ein wenig geheult", erinnert sich eine Mitarbeiterin. Das sei dann aber auch ihr einziger emotionaler Ausbruch gewesen – weil man beim ersten Mal unvorbereitet dafür sei. "Jetzt hat man sich so daran gewöhnt, es ist nicht mehr so schlimm", sagt die 28-Jährige.

Es ist das erste Mal, dass Journalisten mit drei Mitarbeitern des Löschzentrums sprechen können. Namen dürfen nicht genannt werden, um sie zu schützen. Insgesamt arbeiten hier 650 Menschen im Mehrschicht-Betrieb. Zu ihren Aufgaben gehört es, Einträge zu sichten und zu löschen, die strafbar sind oder gegen Facebook-Regeln verstoßen. Sie alarmieren Facebook, wenn aus einem Beitrag hervorgeht, dass jemand sich selbst oder anderen Schaden zufügen will. So seien durch anschließendes Eingreifen der Polizei schon Suizide verhindert worden, heißt es. Zu den weniger belastenden Aufträgen gehört die Überprüfung der Echtheit von Facebook-Profilen.

In den vergangenen Monaten hatte es kritische Medienberichte über das von der Bertelsmann-Dienstleistungstochter Arvato betriebene Zentrum gegeben. Darin beklagten sich namentlich nicht genannte frühere Mitarbeiter unter anderem darüber, dass sie mit den seelischen Strapazen des Jobs vom Arbeitgeber alleingelassen würden. "Ich als Teamleiter weiß ja nicht, ob jemand Betreuung braucht oder nicht", sagt jetzt einer der Mitarbeiter. Man sei angewiesen darauf, dass die Leute sich selbst melden. An jedem Arbeitsplatz in dem Gebäude sind Aufkleber mit Kontaktdaten von Experten für psychologische Betreuung angebracht. Das sei nicht immer so gewesen, sagt Arvato-Manager Karsten König. Vielleicht hätte man von Anfang an die Angebote stärker in den Vordergrund rücken müssen, räumt er ein.

Die Mitarbeiter, die jetzt unter den Augen der Sprecher von Facebook und Arvato mit Journalisten sprechen, zeigen sich verletzt von den Berichten. "Ich war richtig sauer", sagt eine von ihnen. Weil damit ein Schatten auf die Arbeit der Teams geworfen werde. "Wir retten Leben, wir versuchen, Leuten zu helfen." Ihre Kollegin pflichtet ihr bei: "Wir kommen uns gut dabei vor, was wir machen. Wenn ich jemandem ersparen kann durch meine Arbeit, dass er das sehen muss, dann finde ich das sehr gut." Wenn sie Kinder hätte, würde sie auch nicht wollen, dass diese darüber stolpern.

Ihr Arbeitsplatz sieht aus wie viele andere Großraumbüros. Lange Tischreihen, an denen sich zehn bis zwölf Menschen gegenübersitzen. Pro Raum finden rund 60 Menschen Platz. In dem frisch bezogenen Gebäude riecht es noch nach frischer Farbe. Obst und Gemüse werden vom Arbeitgeber gestellt, es gibt Yoga als Entspannungsangebot und einen "Feelgood-Manager", der sich um Probleme kümmern soll.

Von den 650 Beschäftigten kamen 106 auf Empfehlung bisheriger Mitarbeiter dazu. Alle drei Mitarbeiter, mit denen die Journalisten sprechen können, sind seit mehr als einem Jahr dabei und stießen auf der Suche nach einem stabilen Job auf die Lösch-Tätigkeit: eine Grafik-Designerin, eine Social-Media-Managerin, ein Landschaftsgärtner. Für Neuzugänge gibt es zunächst eine Woche Orientierung, dann ein mehrwöchiges Prozesstraining für bestimmte Tätigkeiten, erklärt Facebook-Manager Walter Hafner. Bevor jemand in einen neuen Bereich wechsele, laufe er erst einmal probeweise mit, "Shadowing" heißt das hier, von Schatten.

Man kann es nicht anders sagen: Die Leute, die hier arbeiten, nehmen es auf sich, menschliche Filter für dem Unrat im Internet zu sein. Sie sehen Kinderpornos, Tierquälerei, Mord und Totschlag. Der Job verändere einen, räumen die Mitarbeiter ein. "Es sensibilisiert auf jeden Fall", sagt eine von ihnen. Man sehe in der S-Bahn eine Frau mit Narben an der Hand, die einem vielleicht nicht aufgefallen wäre, wenn man sich nicht mit Selbstverletzungen beschäftigt hätte. "Leute tun sich grausame Sachen an", sagt ihre Kollegin. "Ich persönlich hatte schon vorher nicht so viel Glauben in die Menschheit und jetzt so gut wie gar keinen mehr."

Ressort: Computer & Medien

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 12. Juli 2017: PDF-Version herunterladen

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