Skifahrer
Ski-Karriere des Sohnes dominiert das Familienleben
Kaunertaler Gletscher 6.30 Uhr: Lichtkegel wirbeln im Dunkeln umher, der Schnee knarzt unter den Schuhen von Eltern. Im Scheinwerferlicht eines Autos richtet sich ein 17-jähriger Skirennläufer her – sein Name: Yannic Geiger.
Do, 11. Feb 2016, 6:54 Uhr
Ski Alpin
Thema: Baden in Bewegung
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Vater Christian Geiger ist einer der Skiverrückten, der gerade mit einer Stirnlampe auf dem Kopf mitten auf der stockfinsteren Piste umherirrt und unter der Anleitung von SVS-Kadertrainer Thomas Burda die roten und blauen Stangen für den Rennlauf platziert.
Kaunertaler Gletscher, 7.20 Uhr: Die Sonne geht auf. 28 junge Athleten werden von ihren Eltern mit Autos über Serpentinen an den Start gefahren, dann geht es hinab ins Tal. An diesem Wochenende frühstücken die normalen Skifahrer noch im Tal, während Yannic Geiger in aller Herrgottsfrühe seine Spuren in den Schnee zeichnet. Bis acht Uhr stehen die Lifte still. "Wenn um zehn Uhr die normalen Skifahrer kommen, sind wir bereits fertig mit dem Training", erzählt Yannic Geiger und grinst. Strahlend berichten er und sein Vater von diesem außergewöhnlichen Trainingswochenende der aktuellen Saison.
Heike und Christian Geiger, die in einem Radladen beziehungsweise als Vertriebsleiter arbeiten, investieren ihre gesamte Freizeit in den sportlichen Erfolg ihres Sohnes, der mit großer Wahrscheinlichkeit auf seinen zwei Skiern nicht an olympischen Wettbewerben teilnehmen wird. Die zunehmende Entfernung zum Schnee wirkt sich immer gravierender auf das Familienleben aus: Gleicht man die Saison der Geigers an einen normalen Jahresrhythmus an, feiert Familie Geiger im April Silvester und im Juli Ostern. Nur da sind sie zu Hause in Berghaupten. Im Mai und Juni ist das erste Training im Ausland, in Bergen, Norwegen. Skihallen bestimmen die Augustwochenenden, dann folgt das Stilfser Joch in Italien. Der September bringt Geigers nach Hintertux oder ins Kaunertal nach Österreich. Mit dem beginnenden Oktober fallen im Tal bunte Blätter, während der Schüler des Wirtschaftsgymnasiums Offenburg im Kaunertal über den Schnee gleitet. Von Dezember an ist Rennsaison – eben dort, wo Schnee liegt. Nach neun Monaten im Ausland fährt er mit viel Glück kurz vor Weihnachten das erste Mal in Deutschland Ski. Yannic Geiger startet für die Skizunft Lahr. Er ist einer der wenigen Flachländer, die noch die Chance haben, im großen Skizirkus irgendwann einmal Rennen fahren zu können.
Für Yannic Geiger wäre Frau Holle der beste Sponsor. Da diese in den vergangenen Jahren aber mit den Flocken geizte, drängen sich die Skiclubs und Athleten der Region auf immer weniger weißen Fleckchen. Der junge Mann kommt vom Schwarzwaldrand, aus Berghaupten. Auf Reisen geht er mit dem Leistungskader des Skiverbands Schwarzwald (SVS).
Junge Winter-Leistungssportler aus dem Flachland fahren heute dem Schnee hinterher. 50 Skitage bis Silvester sind machbar. Wer Geld, Zeit und Ausdauer hat, wird das ganze Jahr über mit Wochenenden in schneeweiß belohnt. Nur: Wer kann sich sowas leisten? Auch die Geigers bringen die rund 10 000 Euro nicht allein auf, die ihr Sohnemann im Jahr für sein semiprofessionelles Hobby braucht. "Wer im alpinen Rennlauf allein mit dem Trainingspensum der Profis mithalten möchte, kann das ohne ein finanziell gut aufgestelltes Netzwerk von Freunden und Sponsoren gar nicht bringen", sagt Vater Christian. Der frühere Sportwart des Bezirks II (2008 bis 2014), begleitet Sohn Yannic durch Europa. Er opfert seine Freizeit, damit sein Sohn jährlich Hunderte von Trainingskilometern auf Ski zurücklegen kann. "Der kürzeste Anfahrtsweg waren eineinhalb Stunden zum Lac Blanc in den Vogesen. Das war direkt vor der Haustüre", erzählt Yannic Geiger von seinen ganz persönlichen Dimensionen. Und ergänzt: Die längste Anfahrt waren acht Stunden nach Slowenien."
Das Geld, das von Freunden, Bekannten und Unterstützern gesammelt wird, landet im eigens dafür gegründeten SVS-Förderverein. Trotzdem zahlen die Eltern privat für jeden Trainingstag ihrer Kinder im Ausland 65 Euro. Die von Förderern eingesammelten fünfstelligen Eurosummen reichen gerade, um dem gesamten Kader Trainerstunden, Trainingsmaterial, Benzin und Technik zu bezahlen.
Ohne vollen Zugriff auf die Fördertöpfe ist es schwer. Yannics Rennkollege Tim Siegmund aus Rheinfelden kennt das, ihm gelang als Ausnahme verspätet die Aufnahme ins Sportinternat in Oberstdorf. Auch der deutsche Skilangläufer Andreas Katz (Baiersbronn), der bei der Tour de Ski auf sich aufmerksam machte, kann ein Lied von den hohen Trainingskosten singen, die man privat bezahlen muss, wenn man im Wintersport nicht mehr im Nationalkader ist.
Obwohl Yannic Geiger von Sportgeschäften, Skiherstellern, Freunden und Eltern unterstützt wird, ebenso wie von der Skizunft Lahr, ist sein Leben kein Zuckerlecken. Die Liftkarten werden durch die kürzeren Winter immer teurer, die Gletscher kleiner, die Gletscherlifte kürzer und die Fahrtwege länger. Aber er muss trotzdem die Schule bewältigen: "Ich versuche, so gut wie es geht, nicht zu fehlen", sagt der junge Sportler etwas bekümmert. Denn er weiß um die Bedeutung seines Schulabschlusses. Nach seiner mittleren Reife hat er sich jetzt das Abitur als nächstes Ziel gesteckt. Er lernt deshalb viel im Auto, im Hotel – und bekommt Nachhilfe von Freunden.
Der Aufwand ist enorm, der geleistet werden muss, damit man als Bewohner der Rheinebene auf höchstem Niveau Skifahren kann. Dessen ist sich auch Helmut Surbeck, Vorsitzender der Skizunft Lahr, bewusst: "Wir helfen, wo’s geht. Aber wir sind selber froh, wenn wir uns mal einen kleinen Vereinstransporter zusammenfinanzieren können." Kein Wunder. Mit einem Mitgliedsbeitrag von 30 Euro im Jahr lässt sich neben der Pflicht in einem Verein kaum Kür umsetzen.
Deshalb bleibt Yannic Geiger einer der wenigen Schüler, die noch Skifahren können, weil es ihre Eltern ermöglichen. Läuft alles nach Plan, wird Yannic Geiger im April bei der deutschen Meisterschaft in Fahl am Feldberg knapp zwei Minuten im Fernsehen zu sehen sein. Das könnte es dann auch schon gewesen sein: Tausende Euros investiert, tausende Kilometer auf Straße und Piste gefahren und viel Lebenszeit geopfert für möglicherweise zwei magere Minuten im TV. Die Familie macht alles aus Leidenschaft und Freude für diese Sportart, für ihren Sohn. Und eines hat der Vater auch schon geklärt: "Wenn du das nicht mehr willst, dann war’s das eben!"
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