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Tierversuche

Friedrich Mülln stoppt Experimente mit Affen in Tübingen

  • Di, 12. Mai 2015
    Südwest

Mit seiner Kampagne hat es Friedrich Mülln geschafft, dass in Tübingen die Versuche mit Affen eingestellt werden – seither hat auch er viele Feinde .

Friedrich Mülln hat gesehen, was hinte...der Blick über den Zaun verwehrt wird.  | Foto: Gottfried Stoppel
Friedrich Mülln hat gesehen, was hinter dem Zaun passiert – auch wenn Außenstehenden der Blick über den Zaun verwehrt wird. Foto: Gottfried Stoppel
Das Außengehege der Affen ist gut abgeschirmt. Am Jägerzaun hä
ngt ein Schild, das Aufnahmen jeglicher Art auf dem Gelände des Max-Planck-Instituts verbietet. Erst eine hochstrebende Hecke, dann eine getönte Scheibe am Käfig verhindert den Blick auf die Versuchstiere. "Wir sehen nichts, die alles", sagt Friedrich Mülln und zeigt auf Videokameras am Dach des Geheges. Selbst drei Vogelhäuschen am Wegesrand erscheinen dem Aktivisten verdächtig. "Womöglich versteckte Bewegungsmelder oder Kameras", vermutet der 35-Jährige in der olivgrünen Allwetterjacke.

Friedrich Mülln ist der Typ Mensch, der entweder gehasst oder verehrt wird. Für seine Gegner ist er ein Verbrecher, der den medizinischen Fortschritt in Deutschland ausbremst und mit unlauteren Mitteln arbeitet. Für seine Fans ist er ein moderner Robin Hood, der so viel für den Tierschutz getan hat wie kaum ein anderer in diesem Land. Und jede Seite glaubt, sie habe recht. Fest steht, dass Mülln und sein Verein Soko Tierschutz eine Kampagne angestoßen haben, die zum Ende der Affenversuche am Tübinger Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik geführt hat.

Sie legten Filmmaterial und Notizen vor, Beweise, die die Tübinger Staatsanwaltschaft aufgriff, um wegen des Verdachts auf Tierquälerei zu ermitteln. Der Direktor des Instituts hat in der vergangenen Woche angekündigt, er werde die laufenden Experimente an Affen abschließen und künftig nur noch an Nagetieren forschen. Zu groß sei der Druck auf ihn und seine Mitarbeiter gewesen, zu massiv die Hetz- und Drohbotschaften der radikalen Tierrechtler. Das reichte von Beschimpfungen in Mails bis zu einschüchternden Anrufen. Gegen einige Absender laufen Strafanzeigen.

"Da im Untergeschoss ist der Folterkeller, da werden die Affen gequält." Mülln ist zurückgekehrt an die Stätte des Leidens, die über Nacht zur Stätte seines größten Triumphes geworden ist. "Es ist ein Etappenerfolg", sagt er in einem nüchternen Ton. Er sei schon zu lange als Tierrechtler unterwegs, um allzu euphorisch zu sein. Auf Siege folgten oft Niederlagen. Kein Verständnis hat Mülln für die "Trittbrettfahrer und Provokateure", die nur Krawall wollten. "Wir verurteilen jede verbale und tätliche Gewalt", das sei absolut kontraproduktiv.

Mülln steht im Nieselregen vor dem Tübinger Max-Planck-Institut für Kybernetik, feine Tropfen sammeln sich auf dem halb kahlen Kopf, dessen rot schimmernde Stoppelhaare übergehen in einen Vollbart. Die Kapuze der Jacke bleibt trotzdem unten, das bisschen Nässe perlt an Mülln ab wie die Kritik, die er vielerorts zu hören bekommt, wie der Vorwurf, er sei ein fanatischer Agitator. "Der Laboralltag für die Affen ist grausam", sagt er, "sie werden bei den Versuchen stundenlang in schalldichten schwarzen Räumen isoliert, ihnen wird ein Bolzen in den Schädelknochen geschraubt, daran werden sie fixiert."

Sie hätten gejubelt, als einer ihrer Aktivisten sich als Tierpfleger im Max-Planck-Institut (MPI) einschleusen und dort sechs Monate lang heimlich filmen konnte, mit einer Kamera versteckt in der Kleidung. Entstanden sind Videos von Affen mit blutüberströmten Köpfen, infizierten Wunden, Tiere, die mit Gewalt aus Käfigen gezerrt werden. "Es war Zufall, dass es am MPI klappte, wir haben einige Bewerbungen verschickt", erzählt Mülln, der zeitweise mit nach Tübingen gezogen war. In einer Wohnung in der Altstadt werteten sie abends die Bilder aus, entschieden, so lange zu warten, bis sie genügend Material zusammenhatten.

Auch Mülln hat sich schon mal als Tierpfleger in ein Affenlabor Zugang verschafft und undercover Szenen von Misshandlungen dokumentiert, die bundesweit Empörung auslösten. Das war 2003 bei Covance in Münster, einem US-amerikanischen Forschungsunternehmen, das Studien für die Pharmaindustrie erstellt. Nach einem längeren Rechtsstreit wurde Mülln zugestanden, die Videos öffentlich zu verbreiten: Das Interesse der Öffentlichkeit an der Aufdeckung von Missständen sei gewichtiger als die durch die Beschaffung der Aufnahmen begangenen Rechtsverletzungen, urteilte damals das Oberlandesgericht Hamm.

Alle paar Minuten klingelt Müllns Handy, ein hektisches Piepsen wie auf einer Intensivstation, wenn die Geräte Alarm schlagen. Er würgt die Anrufer ab, klickt sich durch die Mails, die ständig eingehen. Bei Mülln laufen die Drähte zusammen, er ist der Gründer von Soko Tierschutz, hat seine Festanstellung als Rechercheur bei der Tierschutzorganisation Vier Pfoten gekündigt, um unabhängiger zu sein. Da habe er zwar bestens verdient, aber viel zu viele Kompromisse eingehen müssen. "Wir stecken unser Geld lieber in ein neues Nachtsichtgerät als in Hotels", sagt Mülln und erzählt von den schlanken Strukturen seines Vereins. Es gebe keinen riesigen Bürokratieapparat, der Spendengeld fresse, aggressives Fundraising lehne er ab, auch ein festes Büro sei nicht nötig. Sie hätten eine angemietete Doppelgarage in Augsburg, wo stapelweise Flyer, Infostände oder Affenkostüme lagerten – alles Utensilien für die Öffentlichkeitsarbeit. Von den 300 Mitgliedern seien 30 aktiv dabei, dazu kämen viele freiwillige Helfer, die vor Ort arbeiteten.

Mit der Justiz hat Mülln es regelmäßig zu tun, mal erstattet er Anzeige, mal wird er angeklagt. Zu einer Strafe verurteilt wurde er noch nie, wie er versichert. "Verbotenes machen wir nicht, und wir fordern auch niemals dazu auf", sagt er und ist im vergangenen Jahr vom Amtsgericht München sogar von höchster Stelle für sein Engagement gelobt worden. "Setzen Sie sich weiter für den Tierschutz ein", forderte der Richter ihn auf und stellte das Verfahren ein, so hat es die Süddeutsche Zeitung protokolliert.

Mülln, der schon als Dreizehnjähriger Flugblätter kopierte, um das Korallensterben zu stoppen, und Unterschriften sammelte gegen den Einsatz von Harpunen auf See, bedankte sich. "Ich freue mich, dass Sie das auch so sehen." In München hatte er Ärger am Hals wegen heimlicher Aufnahmen bei einem Hersteller von Bettfedern. Es brauche Menschen wie den Angeklagten, um auf Missstände im Umgang mit Tieren aufmerksam zu machen, gab ihm der Richter noch mit auf den Weg.

Das sieht der Tübinger Neurobiologe Andreas Nieder, der ebenfalls an Affen forscht, ganz anders. Von seinem Uni-Büro aus, oben auf dem Berg, wo der Campus der Naturwissenschaftler liegt, hat er die Burg Hohenzollern im Blick. Der 46-Jährige kann in die Ferne schauen, sich beruhigen, wenn er die schlechten Nachrichten rund um das Max-Planck-Institut verdauen muss: Dass der Direktor von Tierversuchsgegnern angefeindet und diskreditiert wird, dass auf dem Gelände, wo jener auch wohnt, immer wieder Mahnwachen von Tierrechtlern stattfinden. Und vor allem, dass einer der führenden Hirnforscher nicht mehr mit Primaten weiterarbeiten wird.

"Wir müssen dringend besser verstehen, welche neurologischen Prozesse sich im Hirn abspielen", das sei die Grundlage, um später neue Medikamente etwa gegen Schizophrenie oder Parkinson zu entwickeln, sagt Nieder. Das ginge nun mal nicht ohne weitere Versuche an Affen, die eine ähnliche Hirnstruktur wie die Menschen hätten. Versuche an Ratten oder anderen Nagern könnten da niemals genügen. "Ich kenne keinen, der aus tierethischen Gründen eine notwendige Behandlung verweigert oder jemals ein neues Medikament abgelehnt hat", sagt der Neurobiologe und kann es nicht fassen, dass Aktivisten wie Mülln sich dem Fortkommen der Wissenschaft in den Weg stellen.

Den Rhesusaffen, die ein paar Zimmer weiter in Gruppenkäfigen untergebracht sind, haben Nieder und sein Team Namen gegeben. Sie heißen Rudolf, Melvin oder Harvey, sie werden mehrere Stunden am Tag in sogenannte Primatenstühle aus Plexiglas gesperrt, wo sie am Computer einfache Rechenaufgaben lösen müssen und währenddessen ihre Hirnströme mit implantierten Mikroelektroden gemessen werden. Sie dürfen den Kopf nicht drehen, das passt nicht ins Versuchsschema. An einem Kopfhalter aus Titan, fest verbohrt am Schädel, werden sie fixiert. Wenn sie ihre Aufgaben am Schirm richtig lösen, bekommen sie über einen Schlauch ein paar Tropfen Wasser als Belohnung.

Nieder zeigt die Versuchsanordnung auf einem Laptop, er stimmt zu, dass bei den Experimenten Belastungen für die Tiere entstehen können. Doch letztlich sei alles eine Güterabwägung und das Leben eines Menschen immer noch wertvoller als das eines Tieres. Und wer wolle auf ein Medikament verzichten, das vielleicht viele Leben retten könne? In den USA stünde die Entwicklung eines Impfstoffes gegen die Erreger von Hepatitis C kurz vor dem Durchbruch. Ein Erfolg, der ohne die jahrelangen Forschungen mit Schimpansen wohl kaum möglich gewesen wäre.

"Als tierexperimenteller Forscher steht man in Deutschland unter Generalverdacht", ärgert sich Nieder, der selbst seit Jahren immer wieder Beschimpfungen und Drohungen erhält, meist per Mail, fast immer anonym. Die "geschickt zusammengeschnittenen Videoaufnahmen" von Friedrich Mülln und seinen Mitkämpfern hält Nieder nicht für repräsentativ, da würden "unglückliche Ausnahmezustände" gezeigt, mitnichten der Alltag im Primatenlabor. "Wir behandeln unsere Tiere so gut wie möglich", versichert Nieder, "und trotzdem wird man zuweilen als Krimineller gesehen."

Das verbindet den Neurobiologen mit dem Aktivisten, beide fühlen sich missverstanden, beide zu Unrecht als Täter verurteilt, beide wollen nur helfen. Der eine den Menschen, der andere den Tieren. Beide haben sich damit Feinde gemacht.

Der Regen ist stärker geworden. Friedrich Müllns Handy hört nicht mehr auf zu drängeln. Mal ist es die Polizei, sein Wagen in Augsburg ist von einem Unbekannten angefahren worden. Dann melden sich zwei Mitstreiter, die in Stuttgart am Hauptbahnhof darauf warten, abgeholt zu werden für die nächste Observation. "Ich muss los, zu einer Legebatterie nach Niedersachsen", sagt Mülln und schimpft darüber, dass die Tiere dort bei Weitem zu wenig Platz hätten und miserabel gehalten würden. Er öffnet seinen Geländewagen, hat im hinteren Bereich verstaut, was er für die Aktion braucht: eine ausziehbare Leiter, Kameras, eine Tarnjacke mit selbst angenähten Fransen aus Stoff- und Sackfetzen, Batterien, eine Stirnlampe. In einem Pappkarton liegen ein paar Äpfel, gammelige Bananen. "Das sind gerettete Lebensmittel, die andere weggeworfen haben", erklärt Mülln, der seit etlichen Jahren vegan lebt.

Zur nächsten Demonstration Ende Juli will er wieder in Tübingen sein. "Wir müssen ganz genau hinschauen, wie der Ausstieg aus den Affenversuchen verläuft", sagt er, "vielleicht verlagern die ja nur alles an das Partnerinstitut nach Frankfurt."

TIERE UND FORSCHUNG

Mahnung zu sachlich geführter Debatte

In der Diskussion um Tierversuche hat sich am Montag auch die Landesbeauftragte für Tierschutz, Cornelie Jäger, zu Wort gemeldet und zu Sachlichkeit in der Debatte gemahnt. Sie selbst lehne Tierversuche nicht generell ab, weder in der Grundlagen- noch in der angewandten Forschung. Wobei in der Grundlagenforschung die erforderliche Nutzenabschätzung im Rahmen der ethischen Abwägung noch schwieriger sei. Aber: "Grundlagenforschung ist zunächst einmal ein gesetzlich zulässiger Zweck für Tierversuche", stellt sie in einer Mitteilung klar. Grundlagenforschung sei auch nicht per se weniger nützlich als sogenannte angewandte Forschung. Denn man müsse zunächst einmal biologische Mechanismen und Organfunktionen grundlegend verstehen, bevor man mit diesen Kenntnissen die Entstehung einer Krankheit begreifen und dann auch eine Therapie entwickeln könne. "Trotzdem halte ich es für dringend geboten, eine fachlich fundierte gesellschaftliche Debatte über die Notwendigkeit von Tierversuchen zu führen." Die zum Teil polemischen Beiträge der vergangenen Woche würden weder dem Tierschutz noch dem Forschungsinteresse gerecht. Zugleich erinnerte sie die Forscher daran, sich selbst immer wieder zu prüfen und zu fragen, in welchem Umfang Tierversuche unerlässlich seien.

Ressort: Südwest

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 12. Mai 2015: PDF-Version herunterladen

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