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Frigide und zugeknöpft oder frivol und lüstern

  • Sa, 17. Februar 2001
    Zisch

Eindimensional und irgendwie absurd: "Bürger Schippel".

OFFENBURG. Böse Bürger und platte Proleten, Schrebergarten und Kopulation in der Kompostkiste: Das Theater an der Ruhr spielte Carl Sternheims "Bürger Schippel" in einer Inszenierung von Roberto Ciulli. Fast 100 Jahre alt ist das Stück vom aufhaltsamen Aufstieg des sozialen Außenseiters in die gehobenen Ränge der gutbürgerlichen Gesellschaft. Und um das Stück aktuell zu machen, spielt in dieser Inszenierung ein kurdisches Mitglied des Mülheimer Ensembles, Ferhade Feqi, die Rolle des proletarischen Aufsteigers Paul Schippel.

Ferhade Feqi macht seine Sache gut: offenes Hemd und Goldkettchen, wallendes schwarzes Haar und Griff in den Hosenschritt, stellt er sich mit hartem Akzent den Sangesbrüdern vor. Die drei sind entsetzt. Hicketier, Krey und Wolke sind in der Bredouille. Dem Quartett ist die vierte Stimme gestorben, und nur Prolet (und Tenor) Schippel kann ihnen dazu verhelfen, den begehrten Liederkranz zu gewinnen. Goldschmied Hicketier als Herr des Gartenareals (überzeugend: Rupert Seidl) verweigert sich am längsten, bis Schippel seine Zugehörigkeit zur guten Gesellschaft durch ein Duell mit Krey demonstriert.

Schippel aber will auf dem Weg nach oben einige offene Rechnungen begleichen. Hat nicht Thekla, die Schwester von Hicketier, ihn als Kind beschimpft und ausgegrenzt? Nun soll sie ihn heiraten, wenn man ihn so dringend in der Sangesrunde braucht. Angekommen ist er noch lange nicht, wenn sie ihm ein Tortenstück ins Gesicht wirft und lieber mit dem Fürsten in den Komposthaufen steigt. Simone Thoma als Thekla steckt in einem unschuldig rosa Kleinmädchenkleid, gepolstert mit ausladenden Hüften und großzügigem Dekollete. Wie Thoma die Rolle spielt, wissen nun alle Zuschauerinnen und Zuschauer: der Anschein der Unschuld trügt, in Wirklichkeit brodelt es im Bürgertum von Sinnlichkeit und Schmuddelkram.

Die Bürgerschelte gerät doch sehr eindimensional in diesem Stück. Die Frauen sind frigide und zugeknöpft wie Hicketiers Gemahlin oder frivol und lüstern wie seine Schwester. Die Männer sind die schlimmeren Heuchler, die unter Frack und Zylinder Gartenschürzen und Zipfelmützen tragen. Da drängen sich die Schlagworte auf vom Spießbürger und Kleinstadtmief, von Gartenzwergmentalität und dem schlafmützigen deutschen Michel.

Psychologischer Symbolismus

Und soll diese Eindimensionalität durch psychoanalytischen Symbolismus untermauert werden? Hicketier und Thekla zelebrieren zipfelbemützt eine abstruse Inzestzeremonie, wenn sie gemeinsam an einer Karotte knabbern; bei seiner Frau spielt Hicketier am liebsten den Hund an der Leine. Lauert unter der bürgerlichen Fassade nur der Trieb, es mit allen zu treiben? Überboten höchstens von der Lust an der Gewalt? Das legt der Schluss nahe: Bürger Schippel erhält Zipfelmütze, Schürze und Handschuhe.

Doch aus der Mütze wird eine Ku-Klux-Klan- Kapuze; und dem neuen Mitglied wird eine brennende Fackel in die Hand gedrückt. Ist Schippel auf dem Weg vom Proleten zum bürgerlichen Biedermann, und Brandstifter nun ein Komplize einer Verschwörung von Dunkelmännern geworden, die womöglich die Häuser von Ausländern in Brand setzen? Eine absurde These, die allerdings von Roberto Ciullos Inszenierung suggeriert wird. So ganz wohl war dem Publikum denn auch nicht, als es eher zaghaften Applaus gab.

Renate Tebbel

Ressort: Zisch

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Sa, 17. Februar 2001: PDF-Version herunterladen

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