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"Solidarische Stimmung gespürt"

Felix Klingel

Von

Do, 28. September 2017

fudder

FUDDER-INTERVIEW: Vier Freiburgerinnen bringen mit dem Schulprojekt "Zeugen der Flucht" Schüler und Geflüchtete zusammen.

Gemeinsam mit Geflüchteten besucht das...8222;Zeugen der Flucht“ Schulen.  | Foto: Privat/Marissa Müller
Gemeinsam mit Geflüchteten besucht das Team von „Zeugen der Flucht“ Schulen. Foto: Privat/Marissa Müller

Austausch anregen und Vorurteile abbauen – das ist das Ziel des Projekts "Zeugen der Flucht". Geflüchtete erzählen dabei an Schulen über ihr Leben. Vier junge Freiburgerinnen stecken dahinter: Hanna Rau, Lisa Ertle, Samantha Duroska und Melanie Sandhaas. Im Interview hat Marissa Müller mit zwei der Macherinnen über das Projekt gesprochen.

Fudder: Sind die Schüler zurückhaltend, wenn sie mit den Geflüchteten sprechen?
Melanie: Nein, eigentlich nicht. Die Geflüchteten schaffen es manchmal gar nicht, in Ruhe ihre Geschichte zu erzählen. Die Schüler fragen oft schon währenddessen nach und dann findet gleich ein Austausch statt.
Hanna: Das sind auch Jungs, die gut das Eis brechen können und erst mal Witze machen. In manchen Klassen gab es Jugendliche, die selber Fluchterfahrung hatten. Das war nicht so, dass sie erzählen mussten oder sollten, aber auf einmal hat man eine solidarische Stimmung gespürt.
Fudder: Wie sieht eine Unterrichtsstunde von euch aus?
Melanie:
Bevor die Geflüchteten in die Klassen kommen, machen wir eingangs immer eine Unterrichtseinheit, in der wir Bilder zeigen und Zahlen und Fakten nennen. Im Fokus steht die darauffolgende Stunde, in der meistens zwei Geflüchtete ihre Geschichte erzählen. Wir sitzen im Stuhlkreis zusammen und die Geflüchteten und die Schüler können miteinander sprechen. Im Zentrum steht der Austausch. Da kommen immer viele Fragen. Es war schon oft so, dass wir sagen mussten: "Okay, jetzt ist die Zeit leider zu Ende".
Fudder: Wie seid ihr auf die Idee gekommen, "Zeugen der Flucht" zu gründen?
Hanna:
Ausschlaggebend waren die Vorfälle in Clausnitz und Bautzen in Sachsen Anfang 2016, als ankommende Flüchtlinge beschimpft und angeschrien wurden. Wir haben uns gedacht, wenn Leute völlig Fremde so beschimpfen, haben sie die Zusammenhänge und die Gesamtsituation nicht verstanden. Uns kam die Idee, dass man zur Aufklärung doch so etwas wie Zeitzeugen der Fluchtbewegung ins Leben rufen könnte.
Fudder: Was wollt ihr damit erreichen? Melanie: Erst einmal wollen wir eine persönliche Begegnung mit geflüchteten Menschen ermöglichen. Uns ist wichtig, dass "der Flüchtling" nicht nur ein mediales Wort bleibt. Den Leuten soll klar werden, dass ein Mensch dahinter steckt.
Hanna: Wir wollen auch, dass die Bilder aus dem Fernsehen oder aus Zeitungen ergänzt werden. Sehr präsent waren ja Bilder von Menschenmengen, die Zäune einrennen und Grenzen überlaufen. Es ist immer von einer "Flut" gesprochen worden. Die Medien haben Bilder geschaffen, die übermächtig sind. Die Tatsache, dass dahinter Menschen und ihre Geschichten stecken, ist unter den Tisch gefallen.
Fudder: Die Jugendlichen sollen also die derzeitige Lage auch von einer anderen Seite kennenlernen?
Hanna: Genau. Der Idealfall ist letztendlich, wenn sie nach der Unterrichtsstunde auf den Schulhof gehen und darüber reden. Oder, dass sie ihre Erfahrungen Zuhause beim Abendessen erzählen. Die Begegnung soll nochmal in anderen Zusammenhängen Thema werden.
Fudder: Ihr arbeitet mit vier Erzählern zusammen. Wie ist der Kontakt zu den Geflüchteten entstanden?
Melanie:
Wir kennen die Geflüchteten bereits persönlich und sind auch privat mit ihnen befreundet. Kennengelernt haben wir sie durch das Projekt "Start with a friend". Dort kann man sich für ein Gesprächs-Tandem mit geflüchteten Menschen anmelden.
Fudder: Dann war es kein Problem, sie für euer Projekt zu gewinnen?
Hanna: Nein. Wir haben allerdings darauf geachtet, dass sie psychisch stabil sind, da es schon ziemlich aufwühlend sein kann, vor so einer großen Gruppe zu sprechen und die eigene Geschichte zu erzählen.
Fudder: Gibt es ein Erlebnis, das euch in Erinnerung geblieben ist?
Melanie:
Ich finde es allgemein toll, wie die Geflüchteten und die Schüler miteinander umgehen. Man hat in manchen Klassen hinterher das Gefühl, dass unsere Erzähler zu Mitschülern geworden sind. Das war so kumpelhaft und locker.
Hanna: Manche Lehrer warnen uns auch vor Klassen und sagen: "Die Klasse ist schwierig. Ich hoffe, dass das klappt." Und es klappt immer. Wir haben noch keine schlechten Erfahrungen gemacht.
Melanie: Kürzlich haben wir ein Video gedreht, in dem die Erzähler nach ihren schönsten Momenten in den Klassen gefragt wurden. Da haben sie dann erzählt, dass sie Schokolade geschenkt bekommen haben und dass sie zum Essen eingeladen wurden.
Fudder: Wie geht es jetzt mit eurem Projekt "Zeugen der Flucht" weiter? Was habt ihr für Ziele?
Hanna:
Wir würden gerne Zweigstellen in andern Städten gründen. Da sind wir gerade noch in der Vorbereitung. Dann gibt es auch noch die Überlegung, einen Verein zu gründen, in Kombination mit diesen Zweigstellen.
Melanie: Wir fänden es auch schön, wenn wir die Erzähler ein bisschen finanziell anerkennen könnten. Doch da gibt es noch keine feste Vorstellung. Eine konkrete Zukunftsidee ist auf jeden Fall eine Webseite neben unserer schon bestehenden Facebook-Seite. Da haben wir auch schon jemanden, der sich damit auskennt.

Ressort: fudder

  • Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der BZ vom Do, 28. September 2017:
  • Zeitungsartikel im Zeitungslayout: PDF-Version herunterladen

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