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Flüchtlinge in Südbaden (9)

Fünf Menschen erzählen: "Wir sind geflüchtet"

Konstantin Görlich
  • Do, 20. August 2015, 00:00 Uhr
    Südwest

Mehr als 30 000 geflüchtete Menschen aus aller Welt sind 2015 bisher als Asylsuchende nach Baden-Württemberg gekommen. Fünf Geflüchtete aus Südbaden erzählen, wie und warum sie geflohen sind – und wie es jetzt weitergeht.

Firas Diab, Ahmed Hekal, Jailan Sheko, Basel Kridli und Osman Resic erzählen ihre Fluchtgeschichte – und worauf sie in Südbaden hoffen. Foto: Konstantin Görlich
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"Ich brauche einen Ausbildungsplatz"

Ahmed Hekal (19) Fußballspieler aus Ägypten

"Schon als Kind spielte ich Fußball, Stürmer. Auch beim Zweitligisten Ghazl El Mahalla SC, das ist ungefähr der SC Freiburg Ägyptens.

Ich wäre auch Profi geworden, aber erstmal musste ich aufhören, die Schule hatte Vorrang und das Geld reichte nicht. Ein Trainer sagte, ich sei so gut, ich könnte bei Al Ahly Kairo spielen, der besten Mannschaft in Ägypten.

Aber nach den Stadion-Ausschreitungen von Port Said 2012 wurde der Fußballverband aufgelöst und erstmal kein Fußball gespielt in Ägypten. Zusammen mit der Jugendarbeitslosigkeit gab es für mich keine Perspektive mehr in meiner Heimat.

Ich habe mich verschuldet, um die 7 000 Euro teure Überfahrt als blinder Passagier in einem Frachter zu bezahlen. Statt vier dauerte es 15 Tage, bis ich völlig abgemagert in der EU ankam. Das ist drei Jahre her.

Gerade habe ich in Freiburg einen guten Hauptschulabschluss gemacht. Ich bin in Deutschland nur geduldet, bis ich 21 bin. Darum brauche ich jetzt eine Arbeitserlaubnis und einen Ausbildungsplatz. Ich würde gerne Friseur werden, am liebsten aber etwas mit Sport machen – oder doch Fußball-Profi: Kürzlich riet mir sogar ein Schiri wieder genau dazu."

"Ich will endlich wieder studieren"

Jailan Shekho (22) kurdische Studentin aus Syrien

"Ich studierte im zweiten Jahr Agrarwissenschaften in Aleppo. Mit meinem Mann Ahmed und meinem Bruder Mohammed floh ich im Juli 2013 vor dem Krieg. Erst zu meinen Eltern, in ein kurdisches Dorf direkt an der Grenze, und dann in die Türkei. Aleppo kennt jeder aus den Nachrichten. Regierungstruppen, Rebellen, al-Qaida und inzwischen auch der Islamische Staat haben unsere Stadt in Schutt und Asche gelegt.

Wir können das nicht verstehen, wir mussten einfach weg, es ist einfach Krieg. Der Weg nach Deutschland – für uns das Paradies – war sehr lang und schwierig. Ich war schwanger, mein Sohn Miran kam während der Flucht zu Welt. Jetzt ist er ein Jahr und zehn Monate alt und geht in den Kindergarten. 7 000 Euro pro Person mussten wir für die Flucht auf dem Landweg in die EU bezahlen. Am ersten Tag in Deutschland, in Karlsruhe, mussten wir draußen schlafen. Es war sehr kalt, Miran hatte fast 41 Grad Fieber. Auch in den Wohnheimen war es sehr laut und schmutzig, kein Ort für ein kleines Kind.

Zum Glück haben wir jetzt seit zwei Monaten unsere Wohnung in Freiburg. Ahmed ist Ingenieur und hat einen Job in Ehrenkirchen gefunden, mein Bruder geht zur Schule und möchte eine Ausbildung machen. Und ich hoffe, dass ich nach Deutsch- und Integrationskursen wieder studieren kann."

"Kenzingen ist das Paradies"

Basel Kridli (22) Informatiker, staatenlos

"Ich war als Computertechniker bekannt in Latakia. Das ist in Syrien. Ich studierte Informatik. Als Jahrgangsbester 2014 hätte ich ein Master-Stipendium bekommen, aber zwei Kommilitonen, die schlechter waren, wollten das auch. Sie waren Aleviten mit Kontakten zu Assads Militärpolizei, ich bin palästinensischer Flüchtling, Sunnit. Eines Abends war plötzlich die Militärpolizei bei mir zu Hause, wollte mich verschwinden lassen, aber ich hatte Glück, war nicht da. Am nächsten Tag begann meine Flucht.

Über den Landkreis Aleppo floh ich, durch ein Gebiet, das damals von der Freien Syrischen Armee (FSA) kontrolliert wurde. Mit deren Hilfe kam ich in die Türkei. Wieder hatte ich sehr viel Glück: Der türkische Grenzschutz schoss auf mich und meine Gruppe, als wir einer schwangeren Frau durch den Panzergraben halfen, aber sie trafen uns nicht und wir waren schneller.

Mein vollkommen überfülltes Boot in die EU havarierte, aber es sank nicht, so wie das nach mir. Alle Menschen, die darin geflohen waren, sind ertrunken. Und das war nicht das letzte Mal, dass ich unwahrscheinliches Glück hatte. Meine Eltern hielten mich über eine Woche lang für tot, weil sich die Überfahrt so sehr verzögert hatte.

Aber ich bin nicht tot, sondern im Paradies, in Kenzingen, das ich meine Heimat nenne. Besser hätte dieser Horrorfilm nicht enden können. Ich lerne weiter Deutsch, ich mache mein Abitur und ich werde wieder Informatik studieren. Und ich werde wieder der Beste sein!"

"Als Arzt musste ich neutral sein"

Firas Diab (34) Kinderchirurg aus Syrien

"Bereits innerhalb von Damaskus bin ich mit meiner Familie sieben mal geflohen. Die Grenzen zwischen Regierung und Freier Syrischer Armee änderten sich ständig. Für mich als Arzt war jeder Grenzübertritt gefährlich: Ich hätte mich entscheiden müssen, auf wessen Seite ich stehe. Aber ich muss neutral sein, schließlich habe ich den hippokratischen Eid geschworen!

Also flohen wir nach Ägypten, denn Jordanien und Libanon waren viel zu teuer und viel zu voll. In Ägypten kam allerdings nach zwei Monaten Diktator Sisi an die Macht. Als syrischer Flüchtling konnte ich nun nicht mehr als Arzt arbeiten, sondern hatte nur noch die Wahl zwischen erneuter Flucht und Gefängnis. Also wagten wir die Überfahrt über das Mittelmeer, in die EU, in einem kleinen, vollen Boot für 3 500 Euro pro Person. Das dauerte insgesamt acht Tage.

Meine kleine Tochter war erst vier Monate alt und wäre beinahe gestorben, lag im Koma, bewegte sich nicht mehr. Jetzt leben wir in Freiburg, wo mein Bruder bereits lebte. Ich mache meine deutsche Approbation und arbeite dann hoffentlich bald in Freiburg in meinem Beruf als Kinderchirurg."

"Ich bin doch kein Krimineller!"

Osman Resic (45) Maurer aus Bosnien-Herzegowina

"Vor anderthalb Jahren bin ich allein mit dem Bus aus Bosnien nach Deutschland geflohen. Nach drei Monaten kam meine Familie nach. Seit einem Jahr und zwei Monaten leben wir jetzt im Eichhof in Simonswald. Hier ist alles gut, die Unterbringung und die soziale Integration. Unsere Tochter lebt in Denzlingen und geht in Freiburg zur Schule.

In Bosnien wurden wir von der Mafia und der Polizei bedroht – das ist eigentlich dasselbe, so schlimm ist es dort mit der Korruption. Wir sind Zeugen in einem Missbrauchsfall, das Mädchen wurde in unserer Nachbarschaft acht Jahre lang wie eine Sklavin gehalten. Wir haben Angst, dass sich die Mafia an uns rächt, sollten wir zurückkehren. Die sagen natürlich, dass wir lügen. Die Polizei hat damals versucht, unsere Aussagen zu vertuschen.

Unsere Chance auf Asyl in Deutschland ist allerdings minimal, wie bei allen Flüchtlingen vom Balkan. Es ist sehr schwierig, den deutschen Behörden zu vermitteln, dass unser Fall anders ist. Wir haben hier schon eine Abschiebung beobachtet. Wenn es nachts an der Tür klopft, habe ich immer Angst, dass es die Polizei ist. Ich bin doch kein Krimineller!"

"Bitte nicht meinen Namen!"

Geschichten, die wir nicht veröffentlichen sollten

Viele Geflüchtete haben uns gerne ihre Geschichte erzählt – vor einer Veröffentlichung schreckten sie aber zurück. Oft sprach ein Grund dagegen: Angst um Angehörige, die nicht fliehen konnten. Es ist die Angst vor dem Islamischen Staat oder der Regierung des Herkunftslandes. Die Angst, hier in Deutschland mit der Sicherheit – dem Leben – der Zurückgelassenen erpresst zu werden. Diese Angst steht in starkem Kontrast zur eigenen Offenheit der Geflüchteten.
Flüchtlinge – Die Lage in Südbaden

Die nächste Folge der Serie lesen Sie am Samstag, 20. August: ein Essay über die Stimmung unter Südbadenern gegenüber Flüchtlingen. Alle Serienteile finden Sie unter http://mehr.bz/fluechtlingsserie

Mehr zum Thema:

Ressort: Südwest

Dossier: Fluechtlinge

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