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Garant für schlaflose Nächte

  • Di, 19. Juni 2012
    Literatur

Mit "Wie ein Flügelschlag" gelingt Jutta Wilke ein Jugendkrimi mit Anspruch und Gruselfaktor.

Die Zutatenliste ist perfekt: eine spannende Geschichte mit einem gesellschaftlich relevanten Thema, ausgefeilte Charaktere, soziale Gegensätze, ein bisschen Liebesgeschichte und ganz viel Krimi. Der ehemaligen Anwältin für Familienrecht und fünffachen Mutter Jutta Wilke ist, gefördert durch das hessische Ministerium für Wissenschaft und Kultur, ein Jugendbuch gelungen, das bei Leserinnen und Lesern für schlaflose Nächte sorgen dürfte. Wahrscheinlich genügt eine Einzige: Es fällt schwer, das Buch aus der Hand zu legen, bevor das Geheimnis um Melanies rätselhaften Tod endlich gelüftet ist.

Eigentlich könnte sich die aus einfachsten Verhältnissen stammende Ich-Erzählerin Jana Schwarzer glücklich schätzen: Die 16-Jährige bekommt ein Stipendium für den Besuch eines Sportinternats, in dem sich ansonsten die Söhne und Töchter der Schönen und Reichen tummeln. Schwimmen ist Janas Leidenschaft. Nicht weil sie berühmt werden will. Schwimmen ist für sie wie fliegen. Sie hat sich gleichsam freigeschwommen von ihrer klammernden allein erziehenden Mutter und der engen grauen Wohnblockwelt, der sie entstammt.

Aber nicht für alle hat Sport diese befreiende Bedeutung: Melanie, zum Beispiel, wird von ihrem reichen Arztvater auf Leistung um jeden Preis getrimmt. Auch wenn die talentierte Jana zu ihrer schärfsten Konkurrentin wird, sieht es kurze Zeit so aus, als könnten die beiden Freundinnen werden. Wie sollte Jana ahnen, dass nichts so ist in diesem Internat, wie es zunächst scheint und Menschen, die besonders vertrauenswürdig und einfühlsam daherkommen, mit Vorsicht zu genießen sind. Die "Neue" gerät in einen Hexenkessel aus Geldgier, Mobbing, Tricksereien, Doping und ungesundem Ehrgeiz. Melanie geht daran zu Grunde.

Manche würden danach am liebsten zur Tagesordnung übergehen und es bei der einfachen Diagnose "Herzversagen" belassen. Jana, unterstützt von Melis Bruder Mika, aber will die Wahrheit herausfinden: Es gibt genügend Hinweise, dass einiges faul ist in diesem Internat, angefangen mit dem despotischen Trainer Drexler bis zur dubiosen Rolle von Melis Vater. Dieser Erzählstrang allein könnte die Geschichte schon tragen. Aber es gibt da noch die verbitterte Mutter, Verkäuferin in einem Baumarkt, die ihre Tochter am liebsten in ihrer engen Welt gefangen halten würde. Erzählt wird auch vom zarten Aufflackern des Verliebtseins zwischen Mika und einer zweifelnden Jana. Überladen wirkt Wilkes atmosphärisch dichter Roman dennoch nicht. Geschickt fügt sie die Bausteine ineinander und gibt ihren Figuren ein jeweils eigenes, wenn auch nicht immer klischeefreies Profil. Unterschiedliche Zeitebenen und eingeschobene Textteile einer anonymen Erzählfigur verleihen dem Erzählstrom zusätzliche Spannung. Dank der anschaulichen Erzählweise der Autorin mit einem nasskalten grauen Januar als Kulisse formen sich detaillierte Bilder, die wie ein spannender Krimi vor dem inneren Auge des Lesers ablaufen, Gruselfaktor à la Hitchcock inbegriffen.

Der Stoff schreit geradezu nach einem Filmdrehbuch. Zumal er ein überraschendes Finale hat, das Anleihen bei der griechischen Tragödie nimmt und dessen Wurzeln in die Vergangenheit der Protagonisten reichen.
– Jutta Wilke: Wie ein Flügelschlag. Coppenrath Verlag, Münster 2012. 283 Seiten, 14,95 Euro. Ab 12.

Ressort: Literatur

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Di, 19. Juni 2012: PDF-Version herunterladen

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