GEDANKENBILDER: Im Fernsehen und im Kopf: dieselben Bilder

Jugendliche sehen seit einer Woche Wiederholungen der Bilder von den Terroranschlägen wie alle anderen Zuschauer - ihre Perspektive ist aber eine ganz eigene.  

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Seit Tagen prasselt der Regen an mein Fenster, der Himmel ist grau, alles ist grau, von schönen Spätsommertagen keine Spur. Endlich kann man wieder diese Platten rausholen, die nur bei solchen Wetter Sinn machen. Wie die traurige erste CD der Briten von Coldplay. Am Tag der schrecklichen Katastrophe in Amerika spielten die Musiksender MTV und VIVA auch die Lieder von Coldplay und irgendwie passten sie zu dieser Situation, in die die Welt auf einmal geworfen wurde, und sie passten zu diesen schrecklichen Bildern. Nicht nur zu denen aus New York, auch zu denen in meinem Kopf.

Die Bilder zeigten das, was viele kommen sehen: Krieg. Wird es Krieg geben? Diese Frage ist seit einer Woche wieder einmal aktuell. Nicht nur die Politiker aller Herren Länder fragen sich das, auch bei mir an der Schule fragte sich das jeder am Morgen nach dem Attentat. Wenn auch mancher Lehrer versuchte, seinen normalen Stoff durchzuziehen, es klappte nicht. Über allem hing diese bange Frage. Und auch die schrecklichen Bilder: wie ein Flugzeug ins World Trade Center hineinrast und von Menschen, die gekrümmt durch die Luft fliegen, und schließlich von den einstürzenden Türmen. All das hing über dem Klassenzimmer wie die grauen Wolken vor dem Fenster.

Vielleicht lässt sich das Gefühl meiner Generation, die sich an den Golfkrieg nur noch vage erinnern kann und von Krieg sonst nur im Zusammenhang mit Jugoslawien weiß, am besten mit "Ratlosigkeit" beschreiben. Keiner von uns hat je Ähnliches erlebt, keiner von uns - und nicht mal unsere Eltern - hatte je direkt etwas mit Krieg und Terror in dieser Dimension zu tun. Was soll man jetzt machen? Trauern um die Opfer, um die Leben unschuldiger Menschen, die jetzt einfach nicht mehr da sind. Und nachdenken über die Schuldigen. Aber was bedeutet schon Schuld, wer hat Schuld an allem? Und was sind die Hintergründe? Was weiß ein siebzehnjähriger Schüler zum Beispiel vom Nahostkonflikt? Man ist geneigt die Schuld erstmal den Arabern zuzuschieben, die ja irgendwie hinter den Attentaten stecken sollen. Sagen zumindest die Medien und zeigen die Bilder von Palästinensern, die jubelnd Amerika-Flaggen verbrennen.

Was wir wissen, ist doch fast gar nichts. Da wissen zum Beispiel unsere Lehrer schon mal mehr und klären uns, was auch gut ist, über die Hintergründe in Nahost und Afghanistan auf. Trotzdem bleiben unbeantwortete Fragen. Was rechtfertigt den Tod tausender Menschen? Nichts, denke ich. Genauso wie die USA nicht rechtfertigen könnten, wenn sie mit Vergeltungsschlägen unverhältnismäßig reagierten. Aber was ist schon verhältnismäßig? Am Samstag saß ich mit ein paar Freunden in einem Pub und sonst redet man da eher über Musik oder über den und den. Aber in diesen Tagen gibt es nur ein Gesprächsthema. Wir diskutieren zum Beispiel, wie die Amerikaner oder sogar Deutschland reagieren kann. Ein Freund meint, dass die USA doch schon seit Jahren Bin Laden suche, aber nie gefunden habe. Kein Mensch wisse überhaupt, was man angreifen könne in Afghanistan, wo ohnehin schon alles kaputt sei. Wahrscheinlich stimmt das alles, aber die USA müssen reagieren, sage ich dann. Ja, natürlich, allgemeine Zustimmung. Dann wissen wir nicht mehr weiter und sitzen still um unseren Tisch und lauschen der Musik. Ausnahmsweise kein Coldplay, dafür aber Travis, was keinen großen Unterschied macht.

Ein Freund von mir zieht vor, gar nicht groß über die Ereignisse zu reden, da er ohnehin keine Ahnung haben kann, weil seine einzige Informationsquelle ja die Medien sind. Sehr zuverlässig scheint das alles nicht zu sein, deswegen hält mein Freund, wie er selbst sagt, lieber den Mund. Wie übrigens auch Thom York, der Sänger von Radiohead, der es bei seinem Konzert am Dienstagabend auch vorzog nichts darüber zu sagen. Kürzlich habe ich Modern Talking zu den Attentaten Stellung nehmen hören. Wer will das wirklich wissen? Da halte ich es eher mit Thom York. Sitze hier weiter an meinem Schreibtisch, draußen ist trostlosester Herbst und der Regen prasselt noch immer, ich höre weiter Coldplay. Das letzte Lied ihrer Platte heißt: "Everything's not lost".

Sebastian Lehmann

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