Leonberg
Gefängnis ohne Mauern: Zehn Jahre Seehaus
Seit zehn Jahren bereitet das Seehaus in Leonberg junge Straftäter auf ein Leben ohne Kriminalität vor – ohne Gitter und Mauern. Das Konzept scheint aufzugehen: Den meisten gelingt der Neuanfang.
Jonas Schöll
Di, 1. Okt 2013, 10:08 Uhr
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Vor zehn Jahren öffnete das Seehaus seine Pforten. Es ist ein Gefängnis ohne Gitterstäbe. Der erste freie Jugendstrafvollzug in Deutschland. "Das Projekt ist ein großer Erfolg", sagt Geschäftsführer Tobias Merckle. Inzwischen kommen Delegationen aus der ganzen Welt nach Leonberg, um sich über das Konzept zu informieren – "sogar der Vizepräsident der Demokratischen Republik Kongo war hier", berichtet Merckle stolz.
15 Jugendliche zwischen 14 und 23 Jahren leben in ihrer Haftzeit mit Hauseltern und deren Kindern zusammen und lernen so ein funktionierendes Familienleben kennen. Der Alltag folgt strengen Regeln – inklusive Frühsport, Hausputz, Unterricht und sozialem Training. "Mit Kuschelpädagogik hat das nichts zu tun", sagt Merckle.
Das Konzept scheint aufzugehen: 123 Jugendliche haben bis heute ihre Haftstrafe dort verbracht. Doch nicht alle bis zum Ende: Die Abbrecherquote liegt bei 30 bis 40 Prozent – "in etwa so wie bei der Bundeswehr". Das müsse aber nicht immer schlecht sein, denn "viele Jungs wachen erst auf, wenn sie immer wieder hinter Gittern landen". In diesem Jahr sind vier Sträflinge geflohen – normal seien es aber höchstens zwei pro Jahr, so Merckle.
"Hier gibt es keine Mauern. Ich könnte jede Sekunde abhauen", sagt Sandro. Während sich die Schaufel weiter durch die Erde gräbt. Dann blickt er auf die Straße, die frei vor ihm liegt. Statt auszubüxen will er lieber seine Ausbildung zum Garten- und Landschaftsbauer durchziehen. Während ihres Aufenthalts können die Gefangenen den Hauptschulabschluss oder eine Ausbildung machen. So gut wie alle hätten bei ihrer Entlassung einen Ausbildungsplatz gehabt.
Dass das Konzept des freien Vollzugs für junge Straftäter aufgeht, glaubt auch die rot-grüne Landesregierung. Dennoch möchte sie das Projekt nicht weiter ausbauen. Die Einrichtung sei eine sinnvolle Ergänzung zum Jugendstrafvollzug, sagt das Justizministerium in Stuttgart. In ihrer offenen Form komme sie jedoch stets bloß für geeignete junge Menschen infrage. Der aktuelle Bedarf sei gedeckt.
Seehaus-Chef Merckle sieht das anders: "Der Bedarf ist keineswegs gedeckt", sagt der 42-jährige Sozialpädagoge und Milliardärssohn – sein Vater war der Pharmaunternehmer Adolf Merckleer. Ziel müsse es sein, das Modell in ganz Deutschland salonfähig zu machen. Zwar seien solche Projekte auf den ersten Blick teuer für den Landeshaushalt, "auf lange Sicht aber günstiger für die Gesellschaft". Mit einer Anschubfinanzierung von 3,5 Millionen Euro hat die Landesstiftung das Projekt unterstützt.
Seit 2008 gibt es einen Tagessatz von 203 Euro aus dem Justizhaushalt. Dafür ist der Seehaus-Chef dankbar, doch: "Das Geld reicht kaum, um die laufenden Kosten zu decken." Die Summe liege deutlich über dem Tagessatz im normalen Jugendstrafvollzug, sagt das Ministerium.
Sandro findet, dass es in Deutschland noch viel mehr Orte wie das Seehaus geben sollte. Denn "es ist doch Schwachsinn, Jugendliche einzusperren. Hier bekomme ich eine faire Chance." Das Fundament für seine Zukunft hat Sandro schon gelegt.
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