GLOSSE: Die Weltrevolution zu Gast in Freiburg

Sahra Wagenknecht von der PDS sprach in der AWO.  

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"Hallo, ich bin der Siggi", sagt Siggi von der Freiburger PDS nervös zur Begrüßung. "Die Sahra" habe noch etwas Verspätung, aber komme gleich und man könne die Zeit ja noch mit ein bisschen Revolution überbrücken, die dann auch gleich der Kollege aus Basel - die Sozialistische Partei aus der Schweiz ist Mitveranstalter - besorgt und von seinen Erlebnissen aus der Schweizer Heimat erzählt. Heute, das war gleich schon am Anfang klar, geht's hier ganz familiär zu.

Getränke gibt's umsonst, - ob die wohl die gastgebende Arbeiterwohlfahrt spendiert? Die sind ja immerhin "Sozis" und die braucht man ja nicht mehr zu unterstützen. Die haben ja sowieso schon die Macht und das ist schon schlimm genug. Die Sozis, die hier an den Tischen sitzen und auf "die Sahra" warten, haben nicht so viel Macht und Sozis wollen sie auch gar nicht mehr sein. Denn seit Schröder und Co. in Deutschland regieren, sind die Sozis gar nicht mehr so sozial, wie es sich hier alle wünschen. Darüber wird dann nachher auch "die Sahra" reden und deswegen übt man lieber die Verbrüderung mit den noch aufrechten Genossen aus dem Osten. Endlich betritt "die Sahra" den gut gefüllten Saal und sieht aus wie immer, wobei: wer weiß denn schon wie Sahra Wagenknecht wirklich aussieht und wer weiß, wer Sahra Wagenknecht überhaupt ist?

Also ganz von vorne: Sahra Wagenknecht kommt aus dem Osten und das findet sie auch gut und sie fand auch die DDR ziemlich gut, aber das ist ein anderes Thema. Auf jeden Fall will sie den Kommunismus wieder nach Deutschland bringen und dazu ist sie natürlich in der PDS, sogar im Vorstand. Nun ist die PDS nicht gerade mehr kommunistisch und ihr Frontmann Gregor Gysi redet in diesen Tagen gerne vom "demokratischen Sozialismus" und würde in Berlin auch mit Rot-Grün zusammen regieren.

Deswegen hat sich "die Sahra" der "Kommunistischen Plattform" in der PDS angeschlossen und tingelt jetzt durch Ost wie West, um in kleinen Sälen und allerlei Talkshows den Marxismus zu predigen oder das, was sie dafür hält. Und heute ist sie eben in Freiburg und hält einen Vortrag über "Die Irrtümer der Sozialdemokratie in Europa". Sahra Wagenknecht sieht aus wie Rosa Luxemburg und wer die nicht kennt, sollte im Geschichtsunterricht besser aufpassen. Dann legt die Sahra los, liest ihre Thesen über Schröder und die schlechten Sozis vor, sachlich natürlich, sonst könnte ja jemand vermuten, sie meine das nicht ernst. Manche meinen trotzdem, dass man das, was sie sagt, gar nicht ernst nehmen könne. Die Menschen im AWO-Saal nehmen alles ernst. Klatschen hin und wieder heftig, jedenfalls ein paar, und hören gespannt zu.

Die AWO-Saal-Menschen bestehen - nach Augenschein - aus ein paar Soziologie-Studenten, ergrauten unverbesserlichen Alt-68ern und Rentnern, die früher vermutlich mal SPD gewählt haben, aber den Schröder nun viel zu liberal und jung und was weiß ich noch alles finden. Sahra redet also über das Schröder-Blair-Papier, und dass alles den Bach runter geht mit Deutschland - und das gerade bei oder sogar wegen einer SPD-Regierung. Draußen auf dem Tennenbacherplatz plätschert der Springbrunnen fröhlich und klingt ganz nach dem Dauerregen so Mitte Juni. Langsam wird der Abend später und ich sacke immer weiter in meinen unbequemen Stuhl hinein, mein Nachbar grinst die ganze Zeit nur belustigt. Und dann ist die Sahra fertig und ich schaue auf die Uhr: Nicht einmal eine Stunde geredet, das kann doch nicht sein!

Dann ist aber erstmal Pause und "die Sahra" kann ihre Porträt-Bücher für zwanzig Mark das Stück an den Mann bringen. Und der Klingelbeutel für die Freiburger PDS geht auch durch die Reihen, schließlich wird man ja immer im Vergleich zu den großen Parteien benachteiligt. Anschließend ist dann noch Diskussion mit Sahra über die Weltrevolution undsoweiter, aber so richtig antun will sich das zu so später Stunde dann kaum einer mehr. Als ich meinen Heimweg antrete, erinnere ich mich an die paar Jugendlichen, die durch die geöffneten Fenster des Saales schauten und lachend sagten, als sie die PDS Fahne an der Wand sahen: "Oje, PDS". Vielleicht haben sie ja wirklich recht.

Sebastian Lehmann

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