Heiligabend ist für Reisls ein Tag wie jeder andere

Bei den Zeugen Jehovas gibt es kein Weihnachtsfest, keinen Weihnachtsbaum und natürlich auch keine Weihnachtsgeschenke.  

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Eigentlich hat Hartmut Reisl* schon als Kind gemerkt, dass da irgendwas nicht stimmt. Dass man an Weihnachten, also zur Winterszeit, die Geschenke bekommt, die man sich im Sommer mal gewünscht hat, war ihm auch als Fünfjährigem schon suspekt. Heute ist Hartmut Familienvater und verweigert sich mit Frau und Kindern der weihnachtlichen Schenkerei - freilich auch aus religiösen Gründen. Die Reisls nämlich sind Zeugen Jehovas. Folglich halten sie sich strikt an das, wozu sie durch Gottes Wort in der Bibel angehalten sind. Und in der Bibel steht nun Mal nichts davon, dass man Weihnachten feiern soll.

Außerdem sind für die Zeugen Jehovas heidnische Bräuche tabu - und nichts anderes sei das Weihnachtsfest, sagt Hartmut Reisl. "Das kann man in jedem Lexikon nachlesen, dass der Kaiser Konstantin Weihnachten erfunden hat", weiß sogar die 13-jährige Tatjana* und Mutter Karin* fragt ironisch, wie das funktionieren soll mit Mariae Empfängnis Anfang Dezember und Christi Geburt gleich schon am 24. Dezember. Die Fakten sind für die Reisls - wie für alle Zeugen Jehovas - klar. Wieso trotzdem alle anderen Christen das Fest feiern, verstehen die Reisls nicht - und Tatjana findet es auch "irgendwie bescheuert". Papa Hartmut korrigiert sanft: "Wir können niemanden richten."

Aber wie lebt es sich so in einer Welt voller Christkindlmärkte, Adventskonzerte, Festschmuck und Coca-Cola-Weihnachtsmänner? "Man gewöhnt sich halt dran", relativiert Frank*, der 18-jährige Sohn. Und in der Schule haben mittlerweile auch die meisten akzeptiert, dass die Reisl-Kinder im Dezember alles etwas anders machen. Nur Tatjana muss sich ab und zu rechtfertigen, wenn sie zum Beispiel beim Wichteln in der Klasse nicht mitmachen will. Aber auch das sei, erklärt Tatjana, eine Art Weihnachtsbrauch und deshalb nicht mit ihrem Gewissen vereinbar.

Ihre alte Klassenlehrerin hat ihr letztes Jahr trotzdem was geschenkt, unabhängig vom Wichteln. Tatjana hat's gefreut - "es ist ja nicht so, dass wir uns nicht gegenseitig beschenken." Nur halt nicht gerade an Weihnachten, sondern dann, wenn man Lust dazu hat. Dann sei der Überraschungseffekt sowieso größer, meint Hartmut. Doch vor allem die Sache mit der Liebe will die kleine Familie nicht auf wenige Tage beschränken. Dass am so genannten "Fest der Liebe" mit Abstand die schlimmsten Familientragödien passieren, ist für Karin Reisl die traurige Bestätigung dafür, dass man das gesamte Jahr über das christliche Gebot der Nächstenliebe walten lassen soll, nicht als erzwungenes Konzentrat an Heiligabend. Dieser Tag ist für die vier Zeugen Jehovas eigentlich einer wie jeder andere. Nur für Hartmut bedeutet es eine Mehrbelastung, weil er bis spät abends arbeiten muss - ausgerechnet als Paketzusteller bei der Post.

Ansonsten freue man sich natürlich über die freien Tage, genauso wie über das 13. Monatsgehalt, das ja längst eine zusätzliche Belohnung für die Mitarbeiter sei und gar nichts mit Weihnachten zu tun habe. Und was passiert bei den Reisls, wenn in den Nachbarstuben mehr oder weniger leuchtende Gesichter die Geschenke auspacken? "Oft gehen wir spazieren", erzählt Sohn Frank, bevor seine Schwester trotzig hinzufügt: "Da gehe ich nie mit." Meist sitzt man dann noch mit Freunden zusammen. Schade sei nur, dass am 1. Weihnachtsfeiertag die Gaststätten geschlossen haben. Warum? Hartmut Reisl lächelt: "Da würde ich gerne mal Bowlen gehen."

Dominic Fritz, Veronika Naujoks

* Namen von der Redaktion geändert

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