Neu im Kino
"I am Greta" – Homestory mit dem berühmtesten Teenager der Welt
Nathan Grossmans Dokumentation "I am Greta" porträtiert Greta Thunberg, lässt die Ziele der Klimaschutzbewegung "Fridays for Future" aber außen vor.
Di, 13. Okt 2020, 19:38 Uhr
Kino
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Als im August 2018 ein 15-jähriges Mädchen vor dem Reichstagsgebäude in Stockholm auf der Straße hockte, neben sich ein handgemaltes Schild mit der Aufschrift "Skolstrejk för klimatet", war der schwedische Regisseur Nathan Grossman eher zufällig dabei. Er hatte von Freunden der Familie Thunberg einen Tipp bekommen, dass die eigenwillige Greta da einen stillen, zornigen Protest durchzog. Was ursprünglich ein Kurzfilm werden sollte, eine kleine Reportage vielleicht, wuchs zur abendfüllenden Doku, die – und das ist ihr größtes Verdienst – das bekannteste Gesicht unserer Zeit aus einer verblüffenden Nähe zeigt, die ganze Leidenschaft und Perfektion, die Wut und Trauer und Kindlichkeit der Greta Thunberg.
Der Film zeigt ihr Jahr zwischen dem Sitzstreik vor dem schwedischen Parlament, dem sich zaghaft ein paar Jugendliche anschlossen, über die Brandrede bei der UN-Klimakonferenz in Katowice im Dezember 2018, Großdemons und Privatgespräche mit Emmanuel Macron oder Papst Franziskus bis zu ihrer Atlantiküberquerung auf einer Segelyacht im August 2019 und schließlich der aufgewühlten Politikerschelte ("How can you dare?") am 23. September beim UN-Klimagipfel in New York.
Grossman, der selbst auf der Seereise mit an Bord war, beschränkt sich aber nicht auf Gretas sattsam bekannte öffentlichen Auftritte, sondern hat vor allem ihre privaten Momente im Auge. Wir sehen die junge Frau mit dem so oft leicht verkniffenen Gesichtsausdruck plötzlich wild, ja schrill lachen, fast wie in einer Übersprungshandlung, wir sehen sie ausgelassen hüpfen und tanzen, wir sehen sie in wortloser Zweisamkeit mit ihrem Hund und ihrem Pferd. Verlegen und doch stolz nimmt sie ihr gutes Schulzeugnis entgegen, verbissen überarbeitet sie ein ums andere Mal ihre oft suggestiven und rhetorisch brillanten Ansprachen, einsam spurt ihr Blick im Licht der Weltöffentlichkeit. Wir sehen sie niedergeschlagen und seekrank auf dem Meer und sehnsüchtig beim Video-Chat mit der Mutter und der kleinen Schwester.
Stets an ihrer Seite ist nur ihr Vater: Schauspieler Svante Thunberg wollen wir nicht unbedingt inszenatorisches Kalkül unterstellen, aber ein Gespür für Bühnenwirksamkeit dürfte er allemal besitzen. Und wenn seine Tochter die erste Fanpost eines Prominenten – von Ex-Gouverneur und Ex-Terminator Arnold Schwarzenegger – mit einem lässigen "Hasta la Vista, Baby!" beantwortet, fragt man sich schon, ob das wirklich auf ihrem Mist gewachsen ist. Zweifellos aber bemüht sich Svante redlich um sein Kind und fleht es an, es solle doch mal was essen, sich ausruhen oder fünfe gerade sein lassen.
Letzteres kann Greta natürlich gerade nicht. Die junge Frau mit dem Asperger-Syndrom – "Ich würde nicht sagen, dass ich darunter leide, aber ja, ich habe es" – lebt ihre autistische Sonderbegabung in der akribischen und vollkommen fokussierten Beschäftigung mit der Klimakrise aus. Mag sein, dass das auch der Grund für die quasireligiöse Verehrung ist, die das mönchische Wesen mit den traurigen Augen erfährt. Greta Thunberg ist für Klimaschützer die Kindliche Kaiserin – und für etliche Mächtige aus Politik und Gesellschaft der ultimative PR-Gewinn: Ein Selfie mit ihr lässt das eigene Image als verantwortungsvolle Bürger und Entscheidungsträger gleich viel heller strahlen.
Wobei es freilich auch jede Menge Greta-Hasser gibt. Aus den sozialen Medien bläst ihr ein scharfer Shitstorm entgegen, und für Präsidenten wie Trump und Bolsonaro scheint das zarte Mädchen, das sich da mit heiligem Ernst engagiert, sowieso die Hexe unserer Tage zu sein.
Der Film belegt, wie sehr Greta unter der Verlogenheit vollmundiger Lippenbekenntnisse leidet, denen keine Taten folgen. Weil er in den üppigen 100 Minuten aber keine Zeit für die inhaltliche oder gar kritische Auseinandersetzung mit ihr findet, hat er selbst etwas von einem Selfie: "I am Greta" sonnt sich in der Prominenz der Aktivistin und bietet dem Publikum eine Wir-sind-die-Guten-Identifikation an. Als wäre die junge Schwedin nur ein Teeniestar, die süßeste Sau halt, die derzeit durchs globale Dorf getrieben wird.
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