"Ich will keine Werbung für rückenschonende Sessel"

Wer sich aus der Ferne Briefe schreibt, ist ganz nah dran - an der Freundin, dem frischen Schnee und den anstehenden Klausuren.  

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"Kommunikation light" ist angesagt, Kurzmitteilungen auf Datenautobahnen verschickt. Und doch gibt es sie noch vereinzelt: richtig echte Briefe, verpackt in Briefumschläge, zugeklebt, adressiert, frankiert, gestempelt. JuZ-Autorin Kathrin Hagemann gibt hier ein Beispiel für den schriftlichen Beweis von Freundschaft.

Liebe Xenia,

gerade habe ich eine dreiviertel Stunde vor dem Computer verbracht und versucht, irgendwas Sinnvolles zum Thema "Briefe schreiben" zu Papier zu bringen. Fünftausend Zeichen . . . Ich bin gescheitert. Glücklicherweise habe ich dann beschlossen, es aufzugeben und lieber an dich zu schreiben - das macht mir mehr Spaß als Zeitungsartikel schreiben und in möglichst seriösen Worten zu erklären, warum man überhaupt Briefe schreiben sollte.

Ich frage mich wirklich, ob der Briefträger hier inzwischen meine Schrift kennt. Müsste er doch, nach so vielen Briefen. (An dich, nicht an ihn, leider.) Oder ob dem Briefträger die bunten Umschläge gefallen, die er Woche für Woche bei mir abliefert? Ich glaube, deine Sonne-Mond-und-Sterne-Kreationen fand er noch nicht so aufregend, aber neulich, an meinem Geburtstag, als der fette Umschlag mit Rüschen dran kam und ich zufällig die Tür aufgemacht habe, hat er mir einen tief schockierten Blick zugeworfen. Vielleicht mag er lieber Seerosen? Monet oder so? Das sollten wir bei Gelegenheit ausprobieren! Geht's dir gut im hohen Norden? Ich will auch Schnee. Schick mir ein bisschen, ja? Und zwar bald. Gruß und Kuss: Anna

Liebe Anna . . .

nicht blöd schauen, freuen! Das bisschen Wasser in der Plastiktüte da ist echter Schnee (von meinem Balkon). Vielleicht kannst du es wieder einfrieren. Oder deine Kakteen damit begießen. Ich stelle es mir übrigens auch schwierig vor, übers Briefeschreiben zu schreiben. Eigentlich gibt's ja Argumente genug. Zum Beispiel: ich will nicht die ganze Woche lang nur Rechnungen, Kontoauszüge und Werbung für rückenschonende Sessel im Briefkasten haben. Oder: ich erschrecke gern den Postboten mit seerosenverzierten Briefumschlägen. Oder: Liebesbriefe kriegen macht Spaß. Briefe kann man in irgendwelchen staubigen Schubladen aufbewahren, mit rosa Samtbändern umwickelt - wenn es nette Briefe sind - oder zerreißen oder verbrennen, wenn man sie nicht unbedingt behalten will. Gestern hab ich einen alten Brief von Robin gefunden, den ich wohl aus Versehen nicht verbrannt habe, mit einer Postkarte von einem norwegischen Fjord drin. Die Karte hab ich aufgehängt, den Brief, na ja, wieder im Schrank vergraben. Vielleicht wird die Briefmarke eines Tages mal viel wert sein. Oder so. Trotzdem alles nichts, was du in deinen Artikel schreiben könntest. Sorry. Ich wünsch' dir viel Inspiration und eine schöne Woche! Xenia.

Liebe Xenia,

die rosa Samtbänder und die Fjorde erinnern mich an eine von den Geschichten, die mein Vater uns zu jedem Familienfest wieder auftischt: irgendein entfernter Verwandter von mir muss vor sehr, sehr langer Zeit mal schrecklich verliebt gewesen sein in ein Mädchen, das mit ihren Eltern nach Norwegen ausgewandert ist. Und als er irgendwann, nach einer gescheiterten Fernbeziehung, einer unglücklichen Ehe und einer unglücklichen Lungenentzündung das Zeitliche gesegnet hat, hat man die ganzen Liebesbriefe aus Norwegen gefunden. Die müssen sehr romantisch gewesen sein, denn als sie einem Verleger in die Hände gefallen sind, war der so beeindruckt, dass er einen Briefroman daraus gemacht hat. Leider erinnert sich keiner in meiner Familie mehr an den Titel. Na ja, ist wohl sowieso vergriffen inzwischen. Meine Kakteen danken für das Wasser aus der Ferne und gedeihen. Der Artikel nicht so sehr. Ich lass den Computer jetzt mal in Frieden, ihm wird schon noch was einfallen. Ich für meinen Teil muss auf drei blöde Klausuren lernen und jetzt muss ich zum Postkasten, sonst kriegst du morgen keinen Brief und dann krieg ich übermorgen keinen! 1000 Grüße: Anna.

PS: Ich hab meiner Mutter beigebracht, wie man E-Mails schreibt. Sie war mehr als begeistert. Mal sehen, ob das anhält, wenn jeden Tag eine Tonne Werbung in ihr Postfach flattert (und zwar nicht nur für rückenschonende Sessel)!

Liebe Anna,

tolle Familiengeschichten habt ihr! Warum versuchst du nicht, irgendwo diesen kitschigen Briefroman zu finden? Ich zumindest würde den gern lesen! Also, falls du Trantüte immer noch keine einzige Zeile für dein großes journalistisches Werk zu Papier (beziehungsweise zu Festplatte) gebracht hast, hab ich die ultimative heiße Spur: Briefe schreiben kann nämlich auch richtig was bringen außer Neuigkeiten und Schlange stehen auf dem Postamt. Ich bin gestern auf der Website von Amnesty International gelandet - die organisieren laufend Aktionen, bei denen du nichts tun musst als einen Brief schreiben. Um Menschen, die in einem nicht ganz freien Land zu offen ihre Meinung gesagt haben, aus dem Gefängnis freizubekommen oder vor Folter oder der Todesstrafe zu bewahren. (Auch Journalisten. Das könntest du also auch mal brauchen, vorausgesetzt, dir fehlen nicht immer die Worte.) Na ja, lass es dir durch den Kopf gehen. Der Schnee ist jetzt übrigens weg bei uns, darum gehen deine Kakteen heute leer aus. Ich hoffe, deinem Postboten gefällt wenigstens der Umschlag! Viel Glück für deine Klausuren und sonstigen Meisterwerke - und lass von dir hören! Es ist immer zu viel Luft im Briefkasten. Xenia.

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