Account/Login

Immer mehr Plastik landet im Meer

Hanna Gersmann
  • Mi, 09. Februar 2022
    Panorama

Eine neue Studie belegt, dass Plastikmüll in den Ozeanen allgegenwärtig ist / Forderung nach verbindlichem globalen Abkommen.

Ein in Plastik eingepackter Seeigel  | Foto: Gauthier Saillard (dpa)
Ein in Plastik eingepackter Seeigel Foto: Gauthier Saillard (dpa)

. Die Plastikverschmutzung der Weltmeere nimmt laut einer Studie der Umweltorganisation WWF und des Alfred-Wegener-Instituts inzwischen ein bedrohliches Ausmaß an. Seit 2010 hat die Kunststoffindustrie 180 Milliarden US-Dollar in neue Fabriken investiert. Meeresforscher und Umweltschützer warnen darum vor einem Anstieg von Mikroplastik um das 50-fache – und fordern ein internationales Plastikabkommen.

Wer eine Auster schlürft, eine Miesmuschel verzehrt, isst Plastik mit. Ob das der Gesundheit schadet, können Wissenschaftler noch nicht sagen, das ist bislang wenig erforscht. Indes steht fest: Das Meeresgetier nimmt das Plastik mit seiner Nahrung auf. Längst finden sich überall im Meer größere oder kleine Plastikteile, selbst in den entlegensten Winkeln. Und sie werden mehr. Die Verschmutzung des Ozeans wächst exponentiell.

Meeresplastik kann nur schwer wieder herausgeholt werden

Das Alfred-Wegener-Institut am Helmholtz-Zentrum für Polar und Meeresforschung, das AWI in Bremerhaven, hat im Auftrag des Umweltverbandes WWF knapp 2600 Studien aus der ganzen Welt durchforstet. Nie zuvor ist der aktuelle Stand des Wissens zum Plastikmüll im Meer derart zusammengetragen worden. Er liest sich wie ein SOS, ein Notsignal. Am Dienstag ist die Studie veröffentlicht worden, nur wenige Tage bevor vom 28. Februar bis zum 2. März die Umweltversammlung der Vereinten Nationen, kurz: UNEA, in Kenias Hauptstadt Nairobi zusammenkommt.

Die 193 Mitgliedstaaten sollen dort auf Initiative von Ruanda und Peru entscheiden, ob ein globales Abkommen gegen Meeresmüll auf den Weg gebracht wird; ähnlich dem Pariser Klimaabkommen mit Minderungszielen und nationalen Aktionsplänen.

Für die Studienmacher ist klar: Es gibt keine Alternative. Anzeichen, dass der Eintrag von Plastikmüll in die Meere in naher Zukunft einfach aufhört oder sich auch nur verlangsamt, gebe es kaum. Im Gegenteil. Die Forschenden prägen dafür den neuen Begriff "Plastifizierung" des Ozeans.

Die entscheidenden Erkenntnisse im Einzelnen: Erstens: Seit 2010 hat die Kunststoffindustrie 180 Milliarden US-Dollar in neue Fabriken investiert. Bis 2040 wird sich die Kunststoffproduktion voraussichtlich mehr als verdoppeln. Am Ende bleibt Müll, immer mehr Müll. Der Kunststoff wird zerrieben, bis er ganz zersetzt ist, dauert es. Er zerfällt in kleine und kleinste, in Mikro- und Nanoteilchen. Bis Ende des Jahrhunderts, rechnen Forscher vor, ist in den Ozeanen dann mit einem Anstieg des Mikroplastiks um das 50-fache zu rechnen.

Dabei sind – zweite Erkenntnis – die Mengen schon jetzt gigantisch. Seit den 1950er-Jahren wird Plastik in großem Maßstab hergestellt. Die bis heute produzierte Menge wiegt laut den Experten alles in allem bereits das Doppelte der Masse aller Tiere auf der Erde. Reste werden allzu oft über die Flüsse ins Meer gespült, auch von wilden, offenen Deponien dort hin geweht. Das Gros: Einwegplastik. Es macht 60 bis 95 Prozent des Ozeanplastiks aus.

Auch die Fischerei hat ihren Anteil: Mindestens 22 Prozent des Plastiks im Meer gehen auf ihr Konto, weil ausgediente Netze, Schnüre, Styroporkisten für immer im Wasser landen, auch mal Container über Bord gehen. Dazu kommen andere Quellen, etwa der Abrieb von Bremsen und Reifen. Je nach Schätzung treiben so längst zwischen 86 und 150 Millionen Tonnen Plastik in den Ozeanen. Pro Jahr kommen etwa 19 bis 23 Millionen Tonnen hinzu; das sind jede Minute fast zwei LKW-Ladungen.

Sie finden sich allerorten wieder. Forscher fanden Reste einer Einkaufstüte aus Plastik schon in 11 000 Metern Tiefe im Marianengraben. Ein Müllstrudel nordöstlich von Hawaii – er ist der größte von insgesamt fünf Müllstrudeln – ist viermal so groß wie Deutschland. Plastikfolie bleibt auch in, durch die Klimakrise ohnehin schon gebeutelten, Korallenriffen hängen – wie in Bäumen an Land. Plastik belastet zudem Mangroven, die wichtige Kinderstuben für Fische sind. Es sammelt sich an Mündungen von Flüssen.

Das bleibt nicht – Erkenntnis Nummer drei – ohne Folgen. AWI-Meeresbiologin Melanie Bergmann ist eine der Studienautoren. Sie zählt dokumentierte Fälle wie diese auf: Schildkröten verwechseln Kunststofftüten mit Quallen, von denen sie sich ernähren. Ein Wal, der an der Küste Indonesiens tot angespült wurde, hatte sechs Kilo Plastik im Magen. 90 Prozent aller Seevögel verschlucken heute schon Plastik. Auch Fische bleiben nicht verschont: Im Labor hat sich gezeigt, dass sie weniger wachsen, ist ihr Futter mit großen Mengen Mikroplastik belastet.

"Plastikmüll durchringt das gesamte System des Ozeans", sagt WWF-Meeresexpertin Heike Vesper. In manchen Regionen seien längst kritische Schwellenwerte der Verschmutzung überschritten: im Meereis der Arktis, im Ostchinesischen und im Gelben Meer, auch im Mittelmeer. Lässt sich das Plastik wieder rausfischen? Versuche dazu gibt es. Doch Vesper setzt wenig Hoffnung in sie. Einmal im Meer verteilt, lasse es sich "kaum zurückholen". Es sind zu viele Mikro- und Nanoteilchen.

Was nun? Dort, wo ein Abfallentsorgungssystem fehle, müsse es jetzt aufgebaut werden, rät der WWF. Das sei vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern der Fall. Aber auch in Deutschland gebe es einiges zu tun. 2019 zum Beispiel habe kein Land in Europa so viel Verpackungsmüll wie Deutschland verursacht: pro Kopf waren es 227,55 Kilo. Geschältes Obst im Plastikbecher müsse zum Beispiel nicht sein, sagt Vesper. Darauf lasse sich verzichten und Mehrweg öfter nutzen. Am besten sei der Plastikmüll, der gar nicht erst entsteht.

Ressort: Panorama

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mi, 09. Februar 2022: PDF-Version herunterladen

Artikel verlinken

Wenn Sie auf diesen Artikel von badische-zeitung.de verlinken möchten, können Sie einfach und kostenlos folgenden HTML-Code in Ihre Internetseite einbinden:

© 2024 Badische Zeitung. Keine Gewähr für die Richtigkeit der Angaben.
Bitte beachten Sie auch folgende Nutzungshinweise, die Datenschutzerklärung und das Impressum.

Kommentare


Weitere Artikel