Nationalmannschaft

Joachim Löw bleibt gelassen und entspannt

Überzeugend waren die Auftritte der deutschen Nationalmannschaft bisher noch nicht. Bundestrainer Joachim Löw reagiert dennoch tiefenentspannt auf die öffentliche Meinung.  

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Solange der Espresso schmeckt, ist alles gut: Bundestrainer Joachim Löw Foto: dpa
Joachim Löw ist ein Chef moderner Prägung. Einer, dem das Wohl seiner Mitarbeiter ein Anliegen ist. Einer, der stets ein offenes Ohr hat. "Ich freue mich, wenn mich alle ein Loch in den Bauch fragen." Löw findet das sogar schön. Sagt er zumindest. Der Bundestrainer meint seine Spieler. Aber auch mediale Auftritte schrecken ihn nicht ab. Nicht mehr. Löw kann sie bisweilen sogar genießen. Selbst dann, wenn Kritik zu erwarten ist, "wenn Dinge von außen, von der Öffentlichkeit auf einen einprasseln", wie er kürzlich im Interview mit dem Kicker verriet.

Das ist im Grunde immer dann der Fall, wenn die deutsche Fußball-Nationalmannschaft einen Gegner mal nicht dauerhaft dominiert und mit mindestens zwei Toren Unterschied gewinnt. Früher habe ihn das noch beschäftigt, verrät Löw: "Jetzt überhaupt nicht mehr."

Löw reagiert lausbübisch und angriffslustig

Folgerichtig gönnt er seinem Team am Wochenende einen freien Tag. Kein Training, keine unangenehmen Medientermine. Löw höchstpersönlich übernimmt. Wer, wenn nicht der gelassene Vordenker selbst wäre geeignet, all jene Fragen zu beantworten, die das 0:0 gegen Polen aufgeworfen hat. "Sie sollen ihre Freiheit genießen", gibt er Schweinsteiger und Co. mit auf den Weg. Zweifel daran, dass dies eine angemessene Reaktion auf die bisherigen Leistungen seiner Mannschaft ist, beseitigt Löw umgehend: "Wer nur Anspannung verspürt, hat keine Chance, in einem Turnier weit zu kommen", stellt er klar. Genüsslich nippt der 56-Jährige an seinem Espresso, grinst vom Podium herab in die Menge. Lausbübisch, irgendwie auch angriffslustig, als wolle er dokumentieren: Macht ruhig weiter, ich bin bereit.

Die Kritik, die Zweifel, die vermeintlich bedrohlichen Mängel im Spiel seiner Mannschaft moderiert Löw in den folgenden 45 Programmminuten Thomas-Gottschalk-gleich weg. Locker, lässig. Führungsschwäche und fehlender Charakter? "Zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht." Frühes Scheitern? "Wir werden gewinnen." Falsche Neun oder echte Neun? "Spielt keine Rolle."

Trainerlieblinge gibt es keine

Selbst als Löw unverhohlen mit dem Vorwurf konfrontiert wird, er bevorzuge möglicherweise Spieler wie Mesut Özil und Mario Götze trotz deren Formschwäche, wahrt er die Contenance, entgegnet mit bewusst lapidarem Tonfall: "Trainerlieblinge gibt es keine."

Löw, so scheint es, ist nicht zu packen. Mit charmanten Nichtigkeiten verwandelt er Vorwürfe in Banalitäten. "Ein grundsätzliches Problem sehe ich nicht", behauptet der Coach. Man könnte eine derartige Vorgehensweise als sorglos bezeichnen. Oder gar fahrlässig. Immerhin hat der Weltmeister in keinem seiner bisherigen EM-Vorrundenspiele überzeugt. Doch Löw vermittelt in keiner Phase seiner Darbietung den Eindruck, man müsse ihm misstrauen. In seinem Gesicht ist dieses selbstsichere "Ich weiß schon was ich tue" zu erkennen.

Nur für wenige Minuten weicht Löw vom Gute-Laune-Kurs ab. Der Kern ist getroffen. Die Offensive. Er weiß nur zu gut, dass seiner Mannschaft gegen die, wie er es nennt – "ultradefensiven" Kontrahenten, die diese EM-Gruppenphase im Überfluss bereithält, bisweilen geeignete Mittel fehlen. "Ich möchte gerne ein Entwickler sein", hat Löw einmal gesagt. Nach dem WM-Triumph in Rio stellte der deutsche Coach auch umgehend Innovationen in Aussicht. Gehandelt hat er konservativ.

Löw fehlen die Spezialisten

Letztlich blieb Löw auch keine Wahl. Bereits in der Qualifikation für das jetzige Turnier ist er gewissermaßen an natürliche Grenzen gestoßen. Philipp Lahm hat sich in den Ruhestand verabschiedet, andere Weltklasse-Außenverteidiger gibt das deutsche Sortiment nicht her. Jetzt habe er halt einen Spieler wie Benedikt Höwedes, sagt Löw. Es klingt ein bisschen entschuldigend. Höwedes ist ein seriöser Verhinderer, kopfballstark zwar, aber ohne Kreativpotenzial. Jonas Hector, die einzige Option links hinten, ist solide. Und . . . solide eben. Mehr will einem zu dem Kölner partout nicht einfallen. Auch fehlen Spezialisten für offensive Eins-gegen-Eins-Duelle, Tempodribbler, die über die Flügel Lücken reißen und Überzahl erzeugen können.

Nordirland soll unter Stress gesetzt werden

Zur Verfügung stehen Löw jede Menge hochbegabte Passspieler, eine Monokultur gewissermaßen. Sein erneuter Hinweis, man müsse in Deutschland die Ausbildung überdenken, ist angebracht. Kurzfristig hilft er ihm nicht weiter. Löw muss auf Bewährtes setzen, seine Mannschaft auch gegen die Hochleistungsverteidiger aus Nordirland (Dienstag, 18 Uhr/ARD) weiter kombinieren lassen wie bisher. Und hoffen, dass es die Özils, Götzes und Müllers besser machen als gegen die Polen. "Mehr Investition in Laufwege und Geschwindigkeit in Richtung Tor", lautet die Vorgabe: "Den Gegner in Stress versetzen." Stress – ein Wort, das irgendwie komisch klingt, wenn Löw es sagt.

Der Glaube an Besserung wird genährt von Vergangenem. "Die Erinnerung hilft", sagt Teammanager Oliver Bierhoff. "Wie war es 2006, 2010, 2014?" Auch bei jenen Turnieren, die im Nachgang als erfolgreich oder sogar sehr erfolgreich eingestuft wurden, sei die Aufregung nach nicht ganz so gelungenen Auftritten teilweise enorm gewesen. Wichtig sei, betont Bierhoff, wie man damit umgehe.

Der WM-Titel sei dabei durchaus hilfreich. "Den Rucksack haben wir abgelegt", erklärt Bierhoff. Keiner, so scheint es, genießt das Gefühl der Freiheit mehr als Joachim Löw.

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