Man kann über alles reden . . .

JUZ-GLOSSE: Marktplatz mit Meerschwein

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Da steigt man mal wieder abends in den Regionalzug und hat so gar keine Lust, noch irgendetwas Sinnvolles zu tun. Viel zu müde. Die anderen ja auch. Die, die mit ihren Rucksäcken, Einkaufstüten oder Aktentaschen neben uns sitzen. Aber manchmal sind sie zu zweit oder zu dritt. Und dann hört man die erstaunlichsten Geschichten.

Der Chef nervt und ein Schürzenjäger ist er auch, heute hat er in der Kaffeepause mit der Sekretärin aus der Abteilung nebenan rumgeschäkert. Der Herr mit Schnurrbart hat die Vorstandssitzung des Fußballclubs verpasst. Zwei Mädchen vergleichen den Inhalt ihrer H&M-Einkaufstüten und die Chancen, die sie bei dem süßen Typen zwei Klassen drüber haben. Mütter tauschen sich über ihre pubertierenden Söhne aus. Einige Damen gesetzteren Alters schimpfen über Dieter Bohlen.

Geburten, Vermählungen, Todesfälle, Intrigen und Psychosen werden begrüßt, bedauert, kommentiert. Nein, dies ist kein mittelalterlicher Marktplatz. Wir leben immerhin im Zeitalter der absoluten Vernetzung. Trotzdem gibt es offensichtlich immer noch viel zu sagen, wenn wir uns - zum Beispiel im Zug - live begegnen.

Zusätzlichen Spaß bringt es dem nach Unterhaltung strebenden Einzelreisenden, ein Ratespiel zu veranstalten: Wie sieht der Student aus, der sich da in der Reihe hinter mir so lautstark über seinen Englischdozenten beklagt? Oder die Dame, mit der der Geschäftsreisende gegenüber ganz verstohlen telefoniert? Langeweile im Zug? Ach was. Fast findet man es schade, irgendwann aussteigen zu müssen. Wird man doch nie erfahren, was genau Frau Hubers Sohn mit seinem armen Meerschweinchen angestellt hat.

Und eines Tages trifft man im Zug auch mal jemanden, den man kennt. Und irgendwann merkt man: heute profitieren die anderen. Sie sehen scheinbar völlig uninteressiert zum Fenster hinaus und spitzen doch erkennbar die Ohren. Manchmal verkneifen sie sich ein Lachen. Und als man aussteigt, sehen sie tatsächlich ein bisschen traurig aus.

Kathrin Hagemann

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