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Lernstrategien, die funktionieren

  • Claudia Förster

  • Do, 05. Juli 2018
    fudder

Wie man Erkenntnisse aus der Lernpsychologie nutzen kann, um effizienter zu lernen – und die Prüfung zu bestehen.

Haare raufen beim Lern-Endspurt? Dageg...der Einsatz gezielter Lern-Strategien.  | Foto: Tim Gouw
Haare raufen beim Lern-Endspurt? Dagegen hilft der Einsatz gezielter Lern-Strategien. Foto: Tim Gouw

Fleißig Karteikarten lernen oder den Stoff reinballern? Welche Technik hilft wirklich für die Prüfung? Wir erklären, wie die psychologische Forschung zu Lernstrategien steht – und warum diese fünf Tipps funktionieren.

1. Erst Verstehen, dann Im Kopf Behalten

Manchmal ist stumpfes Auswendiglernen bequem und zeitsparend, gerade wenn der Lernstoff komplex ist. Trotzdem lohnt sich die Verständnisarbeit, das zeigt die Lernpsychologie: Bedeutungshaltiges Lernen entstünde erst durch die Elaboration von Inhalten, also deren Verknüpfung mit Vorwissen, sagen pädagogische Psychologen. Laut dem renommierten Construction-Integration-Modell gibt es drei Stufen der Verarbeitungstiefe, die mehr oder minder zum Lernen beitragen.

Auf oberflächlicher Ebene verarbeiten wir im Hirn Buchstaben, Wörter und Sätze. Die nächst tiefere Verarbeitungsebene ist die Textbasis: Hier sammelt unser Gehirn alle Kernaussagen eines Textes oder eines Vortrags unabhängig der Grammatik und Wortstruktur, sogenannte "Propositionen". Diese werden in der dritten und tiefsten Verarbeitungsstufe zu "Makropositionen" verknüpft, die den Sinngehalt transportieren. Auf dieser Ebene konstruiert unser Gehirn ein kognitives "Situationsmodell", eine Art Karte, in die es eigenes Vorwissen integriert. Je ausgiebiger wir dieses mentale Modell mit eigenen Erfahrungen und Beispielen anreichern, umso detaillierter wird die Karte. Und je detaillierter, umso besser bleibt das Situationsmodell hängen.
» Tipp: Verständnisarbeit ist das A und O, also fleißig Beispiele und Eselsbrücken erfinden: Dadurch bildet das Gehirn ein reichhaltigeres Situationsmodell.

2. Karteikarten helfen wirklich

Es ist eines der wichtigsten Erkenntnisse der Lernpsychologie: Testen fördert das Lernen weitaus besser als reine Wiederholung. Inhalte zu wiederholen fordert das Gehirn kaum, wohingegen Tests eine aktive Verarbeitung anstoßen.

Das nennt man den Testing-Effekt, den man sich supersimpel zunutze machen kann: Sich seine Zusammenfassungen auf Karteikarten statt auf normales Papier zu schreiben, bietet die Möglichkeit, Tausende von Mini-Tests zu machen. So fordert ihr euch heraus, kurbelt eure Hirnaktivität an und habt automatisch und zu jedem Zeitpunkt ein realistisches Feedback davon, was ihr schon könnt und was nicht. Außerdem verhindert ihr, dass ihr euer Verständnis überschätzt, denn nichts ist in der Klausur ärgerlicher.
Tipp: Prüft euer Wissen mit Karteikarten ab.

3. Lernen fängt mit Lesen an

Lernen wird oft mit sichtbarer Aktivität gleichgesetzt – ein verbreiteter Trugschluss. Grundsätzlich kann man durch Rechnen oder Karteikarten schreiben natürlich etwas lernen, dennoch ist die Produktion sichtbarer Ergebnisse keine notwendige Bedingung dafür. Viel wichtiger ist die aktive und fokussierte Verarbeitung des Stoffs, erklärt Alexander Renkl, Professor für pädagogische Psychologie an der Uni Freiburg. Gerade bei geringem Vorwissen droht das Arbeitsgedächtnis durch zu hohe Ansprüche zu überlasten, besagt die Cognitive-Load-Theorie. Fängt man zu früh mit eigeninitiativem Problemlösen an, besteht die Gefahr, dass die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses nicht ausreicht. Stattdessen überträgt es einen Beispiellösungsweg analog auf die neue Aufgabe, früher oder später tappt man mit dieser Strategie aber in die Falle.

Besser ist es deshalb, erst einmal scheinbar passiv zu bleiben und sich viele Lösungsbeispiele reinzuziehen. Passiv ist das Gehirn dabei keineswegs, im Gegenteil – das kognitive System läuft auf Hochtouren. Die begrenzte Arbeitsgedächtniskapazität wird aber auf das Eigentliche umgelenkt: Die Kernkonzepte des zu lernenden Prinzips aus den verschiedenen Beispielen herauszufiltern. Das passiert meist automatisch und wird "Lösungsbeispieleffekt" genannt. Sobald man den Dreh dann wirklich raushat, lässt es sich viel effektiver aus sichtbarer Aktivität lernen.
» Tipp: Nehmt euch genügend Zeit für unsichtbares Lernen wie das Studieren von Fallbeispielen.

4. Lernen braucht Pausen

"Mach’ doch mal ne Pause", sagt Mama. Doch wenn die Prüfung naht, können viele Studis über diesen Tipp nur halbherzig lachen. Zwölf-Stunden-Schichten in der UB, Club-Mate-Rausch und Power-Auswendiglernen sind angesagt. Doch Mama hat recht – ohne Pausen funktioniert auch das beste Lernen nicht.

Psychologische Studien bestätigen: Man sollte den Lernstoff in Intervalle unterteilen, am besten in möglichst große. Den Stoff über mehrere Tage zu verteilen ist wirksamer als über einen Tag, ihn alle paar Stunden zu wiederholen effektiver als alle zwei Minuten. Dazu passt der Spacing-Effekt: Die mehrmalige Präsentation eines Items, zum Beispiel eines bestimmten Fremdwortes, ist umso effektiver, je mehr Items dazwischenliegen, also je mehr Raum (Space) man dazwischen schafft. Das sollte man zum Beispiel beim Vokabelpauken oder Auswendiglernen beachten. Hier ist die sogenannte Expanded-Retrieval-Methode die Taktik der Wahl, weil sie die Vorteile des Testing-Effekts mit dem Spacing-Effekt kombiniert: Anfangs regelmäßig in Fünfer-Blöcken abfragen, dann nach und nach die Anzahl der Kärtchen steigern und nur noch alle paar Tage wiederholen, sodass ein einzelnes Wort immer seltener abgefragt wird. Wichtig ist dabei auch, die Reihenfolge zu variieren, damit das Gehirn keine Abkürzung nimmt und sich einfach nur merkt, welche Lösung auf welches Wort folgt.
Tipp: Verteilt einen Inhalt auf einen möglichst großen Zeitraum und variiert die Reihenfolge.

5. die Prüfungssituation beim Lernen simulieren

Die Versuchspersonen einer psychologischen Studie aus dem Jahr 1975 dürften sicher skeptisch gewesen sein, als sie unter Wasser Informationen präsentiert bekamen und ihr Lernerfolg später überprüft wurde. Erstaunlicherweise lieferte dieses skurrile Experiment wichtige Erkenntnisse für die Gedächtnisforschung: Denn den Probanden gelang der Abruf des Lerninhalts nur dann gut, wenn sie genau wie bei der Erlernung der Info unter Wasser waren anstatt im Trockenen.

Das nannten Psychologen den Kontexteffekt: Der Abruf eines Inhaltes aus dem Gedächtnis gelingt umso besser, je ähnlicher der Kontext des Abrufs dem des Lernens ähnelt. Zu diesem Kontext zählen die Körperhaltung, der emotionale Zustand, der Raum, die Sitznachbarn und sogar die Farbe des Tisches. Andrea Kiesel, Freiburger Psychologieprofessorin, empfiehlt deshalb, beim Lernen sozusagen die Prüfungssituation bestmöglich zu simulieren. Schreibt ihr die Prüfung in einem großen Hörsaal zusammen mit hundert anderen Leuten, die neben euch ab und zu rascheln, husten oder aufs Klo gehen? Dann ist die UB der perfekte Lernort.
Tipp: Gestaltet euren Lernplatz dem der Prüfung so ähnlich wie möglich.

Noch mehr Tipps gibt’s auf           fudr.fr/psycholerntipps

Ressort: fudder

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Do, 05. Juli 2018: PDF-Version herunterladen

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