Zischup-Interview

"Man fühlt schon mit, aber ich sehe auch die Opfer"

Andreas Ruder ist Vollzugsleiter der Justizvollzugsanstalt Freiburg. Kasimir Hammerstein und Maurice Weberhaben ihn interviewt.  

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Andreas Ruder  | Foto: privat
Andreas Ruder Foto: privat
Zischup: Sie sind Vollzugsleiter der Untersuchungshaft Freiburg. Was ist Ihre Aufgabe?
Andreas Ruder: Ich bin zuständig für die Sicherheit, für die Ordnung, für die Behandlung der Insassen, für Beschwerden, für Anträge auf gerichtliche Entscheidungen im Rahmen einer Vollzugsplanung als Leiter einer Vollzugsplankonferenz. Außerdem für Stellungnahmen an die Gerichte, an die Staatsanwaltschaften, für den ganzen Schriftverkehr mit Außenstehenden, mit Verteidigern und für Berichte an das Ministerium, wenn es nötig ist.

Zischup: Wer sind denn die Gefangenen, die sich in der Untersuchungshaft befinden?
Ruder: Das sind meistens Leute, die verdächtig sind, etwas Schlimmes getan zu haben. Es gibt auch Ladendiebstähle, bei denen ein Haftgrund besteht, zum Beispiel wegen Fluchtgefahr oder Wiederholungsgefahr.

Zischup: Wie viele Gefangene befinden sich im Gefängnis?
Ruder: Es befinden sich hier etwa 580 bis 590 Gefangene.

Zischup: Sind das viele?
Ruder: Nein, das sind nicht viele. Vor ein paar Jahren waren es circa 900, dann mussten wir eine Abteilung räumen. Vor der Abteilungsräumung waren es im Durchschnitt 700.

Zischup: Wie läuft ein Tag für einen Gefangenen ab?
Ruder: Um 6.40 Uhr beginnt der Dienst für die Beamten, um 6.45 Uhr werden die Gefangenen geweckt, es wird geschaut, ob der Insasse noch lebt, wach ist, gesund ist. Um 6.55 Uhr gehen die Gefangenen, die arbeiten, zur Arbeit. Die anderen bleiben in der Zelle. Dann kommen Aktionen wie Methadonausgabe. Methadon ist ein Ersatzmittel für Drogen. Um 7.30 Uhr ist Arztsprechstunde, um 8.05 Uhr gibt es Frühstück; danach Sport für die, die nicht arbeiten. Um 11.30 Uhr wird Essen geholt, dann ist Mittagspause.

Zischup: Wie geht es nach der Mittagspause weiter?

Ruder: Um 12.45 Uhr gehen die Arbeiter wieder zur Arbeit, oder es ist Sprechstunde beim Sanitätsbeamten. Um 15 Uhr kommen die Arbeiter wieder zurück, dann ist Zellenaufschluss. Da dürfen die Gefangenen sich in der Zelle oder außerhalb aufhalten. Von 15.30 bis 16.30 Uhr ist Hofgang. Danach können die Gefangenen duschen und Post entgegennehmen. Ab 17 Uhr ist Feierabend. Am nächsten Morgen geht es von Neuem los. Nur an Wochenenden ist es anders.

Zischup: Müssen die Gefangenen alleine in der Zelle bleiben oder sind sie mit anderen zusammen?
Ruder: Die Gefangenen können, viele wollen sogar, alleine in einer Zelle sein. Andere können nicht, weil die Gefahr besteht, dass sie sich verletzen. Manche wollen mit anderen in einer Zelle sein. Die meisten wollen nach einiger Zeit eine eigene Zelle.

Zischup: Dürfen die Gefangenen andere Gefangene in Zellen besuchen?
Ruder: Ja, es gibt die Aufschlusszeiten. Da gibt es die Möglichkeiten andere zu besuchen. Man kann zusammen eine Zigarre rauchen oder Kaffee oder Tee trinken. Aber die Aufschlusszeiten sind natürlich nur begrenzt.

Zischup: Und wird der Gefangene die ganze Zeit bewacht, wenn er in der Zelle ist, oder bleibt er unbeobachtet?
Ruder: In der Zelle wird er nicht bewacht. Er ist eingeschlossen. Die Wärter können höchstens mal die Klappe öffnen, die sich an der Tür befindet, und schauen, was passiert, aber eine Kamera oder Ähnliches gibt es nicht.

Zischup: Hat man in der Zelle Tageslicht?
Ruder: Ja. Es gibt Fenster. In der einen Abteilung gibt es große Fenster. In der anderen Abteilung auch, aber da sind die Fenster etwas höher. Der Raum ist drei Meter hoch und die Fenster sind über dem Kopf.

Zischup: Ist das aus Sicherheitsgründen so?
Ruder: Ja, das hat man aus Sicherheitsgründen gemacht. Und weil es nicht erwünscht war, dass die Gefangenen sich ablenken, indem sie aus dem Fenster schauen.

Zischup: Wie ist das mit den Besuchen. Kann man besucht werden?
Ruder: Ja, regelmäßig. Die jungen Gefangenen können etwa vier Stunden pro Monat Besuch bekommen. Die anderen Untersuchungsgefangenen bis zu einer Stunde. Bei den Strafgefangenen sind es mehrere Stunden im Monat.

Zischup: Wird man bei dem Besuch bewacht?
Ruder: Es gibt mehrere Möglichkeiten. Es gibt einen Raum, der relativ groß ist, in dem mehrere Tische stehen. Da sitzen dann an jedem Tisch Gefangene und Besucher. Da wird nur hin und wieder reingeschaut. In manchen Fällen sitzt ein Beamter mit am Tisch. Da wird dann alles mitgehört. Das ist meistens bei Untersuchungsgefangenen so, da sie nichts zu dem gerade laufenden Verfahren sagen sollen. Dann gibt es noch eine Möglichkeit, den Gefangenen und den Besucher durch eine Glasscheibe zutrennen. Damit soll verhindert werden, dass etwas übergeben wird.

Zischup: Und wenn einem Gefangenen das Essen nicht reichen würde, kann er sich etwas dazu verdienen?
Ruder: Ja, wenn er Geld hat. Er bekommt von den Angehörigen etwas und er kann sich etwas dazu verdienen. Dann kann er sich regelmäßig, alle zwei Wochen, Essen, Zeitschriften, Süßigkeiten, Tabak Obst und vieles andere kaufen.

Zischup: Wie kann der Gefangene sich etwas dazu verdienen?
Ruder: Es gibt einen Arbeitsbetrieb, eine Werkstätte. Die, die wollen, arbeiten fünf bis sieben Stunden am Tag. Also etwa 35 Stunden in der Woche. Man bekommt einen Stundenlohn.

Zischup: Haben Sie auch Kontakt zu den Gefangenen?
Ruder: Ja, ich habe die Pflicht. Die Gefangenen können einen Antrag stellen, dass sie mir reden wollen, und dann muss ich zu ihnen gehen und mit ihnen reden.

Zischup: Wie geht es einem Gefangenen, der schon länger hier ist?
Ruder: Der ist schon etwas gefestigter. Er kommt mit den Verhältnissen besser zurecht. Schwieriger ist es für diejenigen, die gerade erst ins Gefängnis gekommen sind. Besonders für Leute, die ihr ganzes Leben lang straffrei gelebt haben und erstmals etwas getan haben. Aber es gibt hier Psychologen und Sozialhelfer. Die kümmern sich um die Gefangenen. Sie führen Gespräche mit ihnen und versuchen, die Kontakte der Gefangenen nach draußen aufrechtzuerhalten.

Zischup: Bewegt es Sie, wenn Sie den ganzen Tag die Gefangenen sehen?
Ruder: Meisten bewegen mich eher die Schicksale der Opfer. Ja, es gibt sicher auch schwere Schicksale unter den Gefangenen. Das sind meistens diejenigen, die niemanden mehr außerhalb des Gefängnisses haben, die lange Zeit in Haft sind, die sich schwer tun. Sonst habe ich aber eine professionelle Distanz zu den Schicksalen der Gefangenen. Denn sie sind nicht rechtlos gestellt, ihnen wurde nur die Freiheit genommen. Die meistens kommen schon damit zurecht, es sind viele, die nicht das erste Mal im Gefängnis sind. Zu Herzen geht es selten. Man fühlt schon mit, aber ich sehen auch die Opfer. Es gibt schlimme Straftäter, da ist dann das Opfer härter getroffen, als der Täter.

Zischup: Hatten Sie schon mal einen Fall, wo der Mann eigentlich nicht ins Gefängnis musste?
Ruder: Ja, da hatten wir mal einen Fall, ganz interessant, da war einer zu Unrecht im Gefängnis, weil er mit seinem Bruder verwechselt wurde. Aber das jemand verurteilt wurde und es hinterher gar nicht war, das hatten wir noch nicht.

Zischup: Empfinden Sie Ihre Arbeit als belastend?
Ruder: Es kann schwer sein, denn es gibt schwere Auseinandersetzungen mit Gefangenen. Aber meine Arbeit ist auch manchmal sehr schön, interessant, vielseitig und manchmal sogar lustig. Es ist nicht so, dass, wie man als Außenstehender vielleicht denkt, alles todernst ist. Es gibt auch heitere Seiten, aber im Grunde ist es schon eine ernsthafte Arbeit.

Zischup: Vielen Dank für dieses Interview, Herr Ruder!

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