BZ-Interview
Meteorologe:"Ein Tornado kann überall entstehen"
Ein Unwetter jagt derzeit das nächste: Ein Tornado tobte durch Hamburg, in Südbaden wurden Keller überflutet. Wie gefährlich solche Wirbelstürme sind, erklärt Michael Gutwein im Interview.
Mi, 8. Jun 2016, 19:42 Uhr
Panorama
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BZ: Herr Gutwein, schwere Unwetter im Süden, ein Tornado in Hamburg. Was ist los im Himmel über Deutschland?
BZ: Woran liegt das?
Gutwein: Wir sprechen von einem so genannten Tief Mitteleuropa. Das ist eine besondere Wetterlage, bei der ein Höhentief über Deutschland liegt. Unter diesem liegt ein sogenanntes Bodentief. Beide sind angereichert mit Mittelmeerwarmluft, entsprechend feucht und somit ein idealer Nährboden für kräftige Gewitter. Hinzu kommt nun, dass bei einer solchen Lage kaum Bewegung in der Atmosphäre herrscht, es somit keinen Wind gibt und die Gewitterwolken sich dann an einer Stelle abregnen. Das führt zu Überschwemmungen wie in Heitersheim oder im schwäbischen Braunsbach. Da fallen innerhalb kurzer Zeit 60, 70 Liter Regen auf den Quadratmeter. Das sind Mengen, wie wir sie im Juni oder Juli normalerweise in einem Monat haben – und das innerhalb weniger Minuten. Bei dem schweren Unwetter in Schwaben vor rund zehn Tagen waren es stellenweise sogar bis zu 200 Liter.
BZ: Wie selten sind solche Ereignisse?
Gutwein: Wir sehen schon, dass solche Wetterlagen häufiger eintreten. Das liegt daran, dass es immer wärmer wird und die Atmosphäre somit mehr Wasser speichert. Das muss nicht unbedingt mit dem Klimawandel zu tun haben – dafür haben wir nicht genug Daten. Aber dass die Temperaturen steigen, daran gibt es keinen Zweifel. Und der Verbrauch fossiler Brennstoffe verschärft das Problem.
BZ: Inwieweit hängt der Tornado in Hamburg mit der Wetterlage zusammen?
Gutwein: Das war die gleiche Wetterlage, allerdings gab es im Norden mehr Bewegung in der Atmosphäre, weil da Luftmassen aus dem Norden auf das Tief Mitteleuropa getroffen sind. Das ist ein idealer Nährboden für Tornados.
BZ: Wie entsteht denn ein Tornado?
Gutwein: An den genauen Ursachen forschen die Wissenschaftler immer noch. Man weiß bislang, dass verschiedene Faktoren zusammenkommen müssen. Es muss eine vertikale Achse in einer Gewitterwolke vorhanden sein. Diese muss sehr tief stehen, also nicht weit vom Boden entfernt sein. Wenn dann noch die Windgeschwindigkeit zunimmt und die Windrichtung sich nach oben hin dreht, besteht das Risiko eines Tornados.
BZ: Nimmt deren Zahl zu?
Gutwein: Das kann man so pauschal nicht sagen. Zunächst einmal ist es schwierig zu entscheiden, wann wirklich ein Tornado am Werk war. Die Lebensdauer eines solchen Wirbelsturms ist nur wenige Minuten, und es gibt viele andere Windphänomene, die zu Verwüstungen führen können. Insofern weiß man nicht, ob es wirklich eine Zunahme gibt. Wir schätzen, dass es im Jahr einige Dutzend Tornados gibt. Das ist für uns nichts Alltägliches, aber doch auch etwas, was nicht völlig ungewöhnlich ist.
BZ: Können die überall auftreten?
Gutwein: Ja, das kann überall entstehen. Natürlich hat die Topographie schon Auswirkungen. Im Bergland oder bei Flüssen können zum Beispiel leichter Gewitter entstehen. Aber eine Region, in der man sicher sein kann, dass es zu keinem Tornado kommt, gibt es nicht.
BZ: Wie lange müssen wir mit dieser Wetterlage noch leben?
Gutwein: Diese schwül-dampfende Luftmasse bleibt uns zunächst erhalten. Allerdings beruhigt sich das ganze ab dem heutigen Donnerstag – die Unwettergefahr nimmt deutlich ab. Der Freitag wird sogar ein richtig schöner Frühsommertag. Erst zum Wochenende hin wird es in Südbaden wieder regnerisch. Nächste Woche wird es wechselhaft werden und einige Schauer geben und ab Ende nächster Woche könnte sogar eine markante Kaltfront zu uns kommen. Das Gute: Das Gewitter- und Unwetterrisiko nimmt deutlich ab. Die schlechte Nachricht: Von einem stabilen Sommerhoch sind wir derzeit auf jeden Fall meilenweit entfernt.
Die Serie von Unwettern in Deutschland ist aus Expertensicht beispiellos. In den vergangenen zwei Wochen bildeten sich mindestens vier Tornados, Schlamm und Wasserfluten trafen Städte und Dörfer, elf Menschen starben, Blitze verletzten zahlreiche Menschen. So traf ein Blitz am Mittwoch das Headset eines Mitarbeiters am Frankfurter Flughafen.
Die Experten gehen davon aus, dass es auch am Dienstag in Hamburg ein Tornado war, der schwere Schäden hinterließ. Die Feuerwehr räumte am Mittwoch in den betroffenen Stadtteilen im Nordosten der Hansestadt vor allem umgeknickte Bäume und abgebrochene Äste fort, wie ein Sprecher der Feuerwehr sagte. Der zwischenzeitlich verhängte Ausnahmezustand wurde aufgehoben. Laut DWD sind außerdem drei Tornados am 5. Juni bestätigt – einer im mittelhessischen Butzbach und zwei in Schleswig-Holstein. Es gebe außerdem viele Tornado-Verdachtsfälle.
- Sturzfluten: Welche Freiburger Stadtteile sind gefährdet?
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