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Polen

Modelabel verkauft coole Klamotten mit Davidstern

  • Fr, 13. März 2015, 00:00 Uhr
    Panorama

Offensiver Umfang mit dem Jüdisch-Sein: Das Label "Risk Oy" verkauft und produziert jüdische Mode in Warschau – und steht für das Lebensgefühl junger Juden in Polen.

Anna Tenenbaum in einem ihrer T-Shirt ...k: „Oy oy my boy is goy“.   | Foto: Marta Kusmierz
Anna Tenenbaum in einem ihrer T-Shirt mit dem Aufdruck: „Oy oy my boy is goy“. Foto: Marta Kusmierz
Anna Tenenbaum sprüht vor Ideen. Kein Wunder, ist sie doch Kreativdirektorin eines Modelabels in Warschau. Seit kurzem lernt sie Jiddisch, die Sprache ihrer Großeltern.

Mitten in der Warschauer City. Der Geheimtipp heißt Szpitalna 6. Hier, nur zwei, drei Häuser neben der berühmten Schokoladen-Trinkhalle Wedel, soll der Laden "Risk made in Warsaw" sein. Doch kein Schild ist zu sehen. Auch nicht "Risk oy!" Doch hinter einem Schlagbaum, weit hinten in einem großen Hof streckt eine junge Frau die Arme in die Höhe. Sie winkt. Das muss sie sein: Anna Tenenbaum. Sie nickt lachend und deutet auf ihr schwarzes T-Shirt. "Oy oy my boy is goy" steht darauf. Ein Goi ist ein Mann, der nicht jüdisch ist.

"Das ist mein absolutes Lieblings-T-Shirt", sagt die 25-Jährige. Im Laden mit den hohen grau-weißen Wänden duftet es nach Espresso. Die Kulturwissenschaftlerin, die gerade ihr Studium abgeschlossen hat, lernt Jiddisch, schreibt für die polnisch-jiddische Kulturzeitschrift Cwiszn (Zwischen) und managt als Kreativdirektorin des Mode-Labels "Risk Oy" auch "jüdische Mode".

Innerhalb weniger Jahre ist die Bestseller-Kollektion entstanden. "Die Idee dazu hatten zwei junge Frauen, die Lust hatten, ihre polnische und polnisch-jüdische Identität auch in der Mode auszudrücken", erzählt sie. "Inzwischen sind wir allein hier in der Szpitalna 30 Leute. Und wir lassen in ganz Polen nähen." Drei junge Männer kommen in den Laden. Touristen. Einer weiß genau, was er will: ein Sweatshirt mit dem Aufdruck "ISREAL". Er probiert es an. Es passt, er lässt es gleich an. Die beiden anderen kaufen ein graues Sweatshirt mit drei weißen Davidsternen und der Aufschrift "Thanks to my mum" und eine dunkelgraue Mütze mit der Aufschrift "OY".

"Es kommen viele Israelis und Amerikaner hierher. Es klingt vielleicht etwas seltsam, aber was wir hier machen, ist so eine Art Rebranding des Jüdischen in Polen", sagt Tenenbaum. Normalerweise würden Juden in Polen entweder als nicht existent angesehen oder aber ausschließlich mit der Schoah in Verbindung gebracht. "Das hat mit uns, also der dritten Generation, kaum etwas zu tun", sagt sie.

Im Ladencafé mit Sicht auf den Innenhof erzählt sie von ihrer Familie, vom Überleben der Großeltern im Osten, dem Verlust des größten Teils der Verwandten in Warschau und der Neuansiedlung 1945 im ehemals deutschen Niederschlesien. "Meine Großeltern haben zu Hause nie etwas vom Krieg erzählt. Auch meine Eltern schnitten das Thema nicht an. Bis ich zehn war, wusste ich nicht einmal, dass der Name Tenenbaum eben nicht wie Kowalski klingt und unsere Familie ein bisschen anders ist als die meisten Familien meiner Freunde."

Das posttraumatische Syndrom, mit dem sich viele Kinder von Schoah-Überlebenden herumschlagen, hätte sie in ihrer Familie kaum erlebt. "Vor kurzem habe ich an einer Podiumsdiskussion mit Vertretern der zweiten und der dritten Generation teilgenommen, also der Kinder und Enkel der Schoah-Überlebenden", sagt sie. "Für mich ist das hochinteressant, denn bei uns gab es dieses lastende Schweigen gar nicht. Es wurde nichts verheimlicht. Aber meine Großeltern und Eltern warteten auf meine Fragen. Mit 16 war ich so weit. Da begann ich langsam zu begreifen, dass die Schoah mit meiner eigenen Familie zu tun hatte."

Dass sie inzwischen "jüdisch sozialisiert" sei, habe mit dem auch in Polen sehr aktiven American Jewish Joint Distribution Committee zu tun. Als Jugendliche sei sie in die Ostsee-Sommercamps von Joint gefahren. Dort habe die sogenannte zweite Generation versucht, die jüdische Tradition an die Kinder weiterzugeben. "Natürlich haben sie sich bemüht, das Trauma, das sie oft unbewusst von ihren Eltern übernommen hatten, nicht auch noch an uns weiterzugeben. Aber irgendwie leben wir ein bisschen nebeneinander her." Zwischen den Großeltern und den Enkeln sei der Kontakt einfacher. Inzwischen frage sie die Großeltern gar nicht mehr nach der Kriegszeit, sondern nach den späten 20er und frühen 30er Jahren. "Das ist ein ganz anderer Kosmos. Außerdem lerne ich Jiddisch, und dann ist es großartig, wenn ich mit meinem Großvater und meiner Großmutter in deren Mameloszn (Muttersprache) über die Aussprache einzelner Worte streiten kann. Denn diese sprechen verschiedene Dialekte, während ich an der Uni das standardisierte Jiddisch lerne."

Die dritte Generation habe auch kaum noch Probleme mit Deutschland oder "den Deutschen". "Ich könnte mir durchaus vorstellen, zusammen mit meinem Freund für eine Weile in Berlin zu leben. Oder auch in Stockholm oder in Tel Aviv." Es gehe nicht mehr darum, das jüdische Leben in Polen neu aufzubauen, wie noch für die zweite Generation. "Wir jungen Juden sind hier zu Hause – in Warschau und Krakau, Lodz, Breslau und Walbrzych. Überall und ganz normal."

Firmenhomepage des Labels unter http://mehr.bz/risk-oy

Ressort: Panorama

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Fr, 13. März 2015: PDF-Version herunterladen

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