Montage sind jetzt richtig trostlos

Diese Woche ist die letzte Ausgabe des einzigartigen Jugendmagazins "jetzt" erschienen / Ein Besuch in der Schlussredaktion.  

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Jetzt ist Schluss. Mit 3657 Gründen, warum es sich zu leben lohnt, hat sich die Redaktion am Montag von ihren Lesern verabschiedet. Nach neun erfolgreichen Jahren hat die Süddeutsche Zeitung ihr Jugendmagazin "jetzt" eingestellt - aus Kostengründen. Martin Müller besuchte die Redaktion beim Produzieren der letzten Ausgabe in München.

Der Fahrstuhl, der in die dritte Etage fährt ist älter. Älter als neun Jahre. Ruckend öffnet sich die Tür. Aus dem langen Gang ist Lachen zu hören. Man freut sich über Besuch. Die Bürostühle sind leer. Das liegt vielleicht an der Mittagszeit. Die Schreibtische aber nicht: Bücher, Zeitungen, Zettel und Briefe. Bei Alexandra Pieper, der Chefin vom Dienst, landet der Frust, die Wut und die Trauer. Aber diese Woche gab es vor allem Lob und aufmunternde Worte der jungen Leser aus ganz Deutschland. Handgeschrieben oder auf dem Computer getippt, verziert oder förmlich.

Das jetzt-Magazin ist nicht einfach so eine Zeitschrift für junge Menschen gewesen. Jetzt ist innerhalb von neun Jahren zu einer Institution geworden. Die erste richtige Liebe, Schule, ohne Eltern in die weite Welt reisen. Mit den besten Geschichten aus der schönsten Zeit des Lebens gehörte das Magazin zum Alltag von vielen. In der Zeit zwischen dem nicht mehr und noch nicht. In der vielleicht schwierigsten Zeit im Leben. Und der spannendsten.

Im hintersten Büro auf dem Gang ist nicht nur der Schreibtisch voll gepackt. Auf dem Bürostuhl davor sitzt Christian Seidl. Zwei Stunden noch, das Stakkato des Redaktionsschlusses im Hinterkopf, beantwortet der Verantwortliche für die Heftkonzeption die Frage nach der für ihn besten Ausgabe: "Das war mal im Mai ein Heft über Liebe. Da standen Dinge drin, die für das Leben absolut essentiell sind." Das Heft wird in die Geschichte eingehen. Ein letztes Mal wird jetzt am Computerserver gearbeitet. Gleich nebenan das Archiv: hunderte Ausgaben in allen Farben. Die Alten sind größer, die Neuen bunter.

jetzt hat sich mit den Generationen verändert. Alt ist es dabei nicht geworden - der Wunsch, den Millionen von Menschen hegen, ist dem Heft geglückt. Die Themen waren interessant wie das Leben: Wie verändert Plastik unser Leben? Wie funktioniert das seltsame Spiel namens Liebe? Was hat Regen in Cannes mit dem Traum eines Mädchens in Hollywood zu tun? Findet man in anderen Redaktionen Hefte von Konkurrenten, liegen hier nur längst vergangene Ausgaben von jetzt. Was soll sonst dort liegen? Das Magazin ist einzigartig.

"Lebenswert" gehörte dazu wie das Lenkrad zum Auto

In die Betriebsamkeit kurz vor Redaktionsschluss mischen sich merkwürdige Wörter: Betriebsrat, Termin bei den Verlagsgesellschaftern. Noch neunzig Minuten. Christian Seidl bearbeitet tausende Einsendungen von Lesern und Freunden des Heftes. Ihnen wurde zum letzten Mal die legendäre Frage gestellt, was ihr Leben lebenswert mache. Die Lebenswert-Liste: eine Rubrik die zu jetzt gehörte, wie das Lenkrad zu einem Auto.

Kurz vor der Deadline noch ein Gang zu einem der Redaktionsleiter des jetzt-Magazins, Michael Ebert. Vielleicht kann er das Unfassbare erklären. "Die heftigen Reaktionen auf die Einstellung haben uns beeindruckt aber gleichzeitig noch mehr frustriert. jetzt ist nicht einfach nur ein Heft gewesen. Wir waren auch ein Instrument zum Jugendmarketing", sagt der studierte Jurist. Vor seiner Arbeit beim jetzt-Magazin machte er Station bei der Schwäbischen- und Badischen Zeitung und war Redakteur beim Stern. Bleibt die Frage, ob Entscheidungen immer wirtschaftlichen Zwängen unterliegen müssen. Ebert: "Nicht immer. Aber in diesem Fall war es eben so. Das jetzt-Magazin wurde nicht konzipiert, um Geld zu verdienen, und das hat es auch nie. Es war als Instrument für kluges Jugendmarketing gedacht. Das hat sich der Verlag neun Jahre lang geleistet, und jetzt lässt er es eben sein."

Das Erfolgsrezept des Heftes, welches jeden Montag der Süddeutschen Zeitung beilag, erklärt Michael Ebert so: "Der wichtigste Punkt ist Glaubwürdigkeit gewesen. Wir haben nichts schön geredet und haben nie versucht, Jugend als die absolut tollste Zeit darzustellen, wo man nur Spaß hat. Es war eher ein Versuch, unsere Leser ernst zu nehmen."

Inwiefern das gelungen ist, beantwortet Michael Ebert selbst: "Die Reaktionen der vergangen Tage haben bewiesen, dass das jetzt-Magazin nicht nur gemocht, sondern von seinen Lesern geliebt wurde."

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