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Neoliberale Motivationslieder

Simon Langemann
  • Mo, 30. Juli 2018
    Rock & Pop

Kontra K rappt beim ZMF über Einsatz und Zusammenhalt.

Kontra K beim ZMF  | Foto: wolfgang grabherr
Kontra K beim ZMF Foto: wolfgang grabherr
"Habt ihr noch Power?", fragt Kontra K. Das Publikum im ausverkauften Zirkuszelt brüllt ihm die Antwort ins Gesicht. "Ich frage eigentlich immer zwei mal. Aber scheiß drauf, das hat mir gereicht." Vor einer nächtlichen Häuserfassade als Bühnenbild steht der Rapper schwitzend im Spotlight. Seinem ZMF-Konzert ging einer der heißesten Tage des Jahres voran. Nach 30 Minuten ist das weiße Tanktop abgestreift und der volltätowierte, durchtrainierte Oberkörper entblößt.

Doch Kontra Ks Bestreben, seinen Fans einen unvergesslichen Abend zu bescheren, scheint ungebrochen. "Wir geben uns Mühe. Ich hoffe, das merkt man." Maximalen Einsatz bescheinigt der Berliner auch seinem Live-DJ. Der sei in einen Fluss gesprungen, in dem sich ein Stein verborgen habe – und dem Tod von der Schippe, mit angebrochenem Genick. Nun waltet er mit Halskrause über die mal epischen, mal treibenden Instrumentals, unterstützt von einem Schlagzeuger und einem Gitarristen.

Die Szene passt zum thematischen Schwerpunkt der Musik. Denn um Willenskraft und Leistungsstärke dreht sich der Großteil der Lieder. Blut, Schweiß, Kämpfen, Ehrgeiz, Disziplin: Das Vokabular im Song "Kampfgeist 2" mutet fast ein wenig militärisch an, hat bei Kontra K jedoch einen anderen Hintergrund: Der 31-Jährige ist Boxer und seit neuestem Boxexperte beim TV-Sender Sport 1. Und doch sind viele seiner Motivationslieder so allgemein formuliert, dass Kontra K durchaus als neoliberales Gegenstück zum drogenverherrlichenden Gangsta-Rap der 187 Strassenbande dient: "Du sagst, du kannst nicht, dann willst du nicht, ganz einfach / Talent ist nur Übung, und Übung macht den Meister", heißt es etwa in seinem größten Hit "Erfolg ist kein Glück".

Mit der skandalträchtigen Gruppe aus Hamburg verbindet den Berliner dennoch eine Freundschaft. Gemeinsam ist ihnen der beachtliche soziale Aufstieg von einem prekären, kriminellen Milieu an die kommerzielle Spitze deutschsprachiger Popmusik. Doch Kontra K hat seine Musik von allem Destruktiven befreit. Er verbindet ein raues Image mit familientauglichem Rap. Ein ungefähr vierjähriger Junge sitzt auf dem Arm seines Vaters und rappt schon vorsichtig mit, nur beim Stroboskop kneift er die Augen zusammen. Die etwas ältere Schwester steht mit der Mutter daneben. Auch sonst blickt man in für ZMF-Verhältnisse recht junge Gesichter – und auf ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis. Das gängige Spiel "Wo sind die Männer? Wo sind die Frauen?" gibt Aufschluss: Vorbei sind die Tage, in denen HipHop-Konzerte überwiegend Männeveranstaltungen waren.

Noch unmittelbarer fällt jedoch die unglaublich frenetische Stimmung auf. Auch das zweite große Thema, das sich gebetsmühlenartig durch Kontra Ks Schaffen zieht, scheint zu wirken: Zusammenhalt. "Stay Loyal" steht auf den T-Shirts, die der Berliner an seinem Andenkenstand verkaufen lässt. "Tag1er", sprich: Tageinser, heißt sein neu gegründetes Musiklabel. Wofür das steht? Kontra K wendet sich an seinen Backup-Rapper: "Er war da, als ich zwischen den Zeilen gelber Briefe meine ersten Texte schrieb. Und er ist noch heute da, wenn ich in Freiburg vor 3000 Leuten spiele."

So dankbar und herzlich, wie sich Kontra K an diesem Abend präsentiert, vermag einen das nicht weiter zu verwundern. "Ruf mich nachts an und ich rette deinen Arsch", lautet eine Zeile in seinem Song "Hassliebe". Man glaubt es ihm sofort.

Ressort: Rock & Pop

  • Artikel im Layout der gedruckten BZ vom Mo, 30. Juli 2018: PDF-Version herunterladen

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